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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 26.09.2008


Alice Salomon - ein Leben für die Bildung und die Frauen
Karolin Korthase

Die von Alice Salomon gegründete Hochschule für Soziale Arbeit und Pädagogik wird in diesem Jahr 100. Ein schöner Anlass, um zurückzublicken auf das Leben und Wirken dieser außergewöhnlichen Frau.




Wie die meisten Frauen ihrer Generation besuchte die Jüdin Alice Salomon die Schule nur bis zur neunten Klasse. Dank ihres großen Kämpfergeists, ihrer Klugheit und ihrer Weitsicht, zählt sie heute dennoch zu den bedeutendsten Frauenrechtlerinnen und Sozialreformerinnen des letzten Jahrhunderts. Sie erkämpfte sich ein Studium, eine Promotion, gründete Lehrinstitutionen und Vereine und machte immer wieder auf soziale Ungleichheiten und Missstände aufmerksam. Grund genug an ihre außergewöhnliche Lebensgeschichte zu erinnern.

Am 19. April 1872 in Berlin geboren, wuchs sie in einer wohlhabenden Familie auf und da es sich für eine Tochter aus höherem Hause nicht geziemte zu arbeiten oder zu studieren, verbrachte sie die Zeit von ihrem 15. bis zum 20. Lebensjahr zu Hause. Später wird sie sagen, das sei die unglücklichste Zeit ihres Lebens gewesen, bis sie im Jahre 1893 an der Gründungsversammlung der Berliner "Mädchen- und Frauengruppe für soziale Hilfsarbeit" im Roten Rathaus teilnahm. Ihr Interesse an Sozialarbeit war geweckt und sie begann einmal pro Woche und gegen den Willen ihrer Familie, in einem Mädchenhort zu arbeiten. Auch pflegte sie intensiven Kontakt zu Jeanette Schwerin, Vorsitzende der Mädchen – und Frauengruppe, von der sie dazu bestärkt wurde sich zu engagieren und weiterzubilden. Mit 29 Jahren wurde sie jüngstes Mitglied im Vorstand des "Bundes Deutscher Frauenvereine" (BDF) . Später bekleidete sie das Amt der stellvertretenden Vorsitzenden bis 1920, brachte es allerdings aufgrund ihrer jüdischen Herkunft und trotz ihrer Konvertierung zum protestantischen Glauben im Jahre 1914 nie zur Vorsitzenden.

Im Jahre 1902 nahm sie ein Studium an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin auf. Trotz fehlendem Abitur erhielt sie die Studien – und Promotionszulassung, weil sie die Publikation mehrerer wissenschaftlicher Artikel vorweisen konnte. Vier Jahre später promovierte sie als eine der wenigen Frauen im Fach Nationalökonomie, über "Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer – und Frauenarbeit".

© Alice Salomon Archiv.
Studierende in den 1920er Jahren

Der Doktortitel ermöglichte es ihr Lehrerin zu werden – ein Wunsch, den sie schon seit frühester Kindheit hegte, der aber bei ihrer Familie stets auf Missbilligung stieß. Die Förderung sozialer Frauenarbeit und die Eliminierung sozialer Ungleichheiten lag ihr besonders nahe und so gründete sie 1908 in Berlin-Schöneberg die erste soziale Frauenschule in Berlin, deren Leiterin sie dann auch wurde. Oberstes Ziel war es, junge Mädchen für speziell soziale Hilfstätigkeiten und Berufe professionell auszubilden. Dieses Konzept war äußerst erfolgreich und trug die Schule durch historische Stürme wie den Nationalsozialismus und sicherte ihr Fortbestehen bis heute. Inzwischen trägt die pädagogische Institution den Namen "Alice Salomon Hochschule Berlin - Fachhochschule für Soziale Arbeit, Gesundheit, Bildung und Erziehung" und hat ihren Sitz in Berlin-Hellersdorf am Alice-Salomon-Platz.

Ihr nächstes und bis dato größtes Projekt umfasste die Gründung der "Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit" in Berlin im Jahre 1925, wo Lehrkräfte und Dozentinnen ausgebildet werden sollten. Mit der Gründung dieser Akademie reagierte Salomon auf den von ihr schon lange beobachteten Missstand, dass zu wenig Frauen führende und leitende Positionen bekleideten. Das besondere an der Akademie war zudem, dass eine Abteilung für empirische Sozialforschung eingerichtet wurde, die Alice Salomon für sehr wichtig erachtete.

Neben ihrem Engagement für die soziale Frauenschule und die Frauenakademie, übernahm sie 1929 den Vorsitz des von ihr mitgegründeten "Internationalen Komitees Sozialer Schulen" und organisierte außerdem in regelmäßigen Abständen internationale Sozialarbeitskongresse. Ab 1909 engagierte sich auch in der internationalen Frauenbewegung im International Council of Women, ab 1920 als Vizepräsidentin. Sie war inzwischen zu eine der führenden und einflussreichsten Sozialpolitikerinnen und Frauenrechtlerinnen in Deutschland aufgestiegen.

© Alice Salomon Archiv.
Alice Salomon ca. 1908

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten sah sie ihr Werk und Wirken in Gefahr und veranlasste 1933 die Auflösung der Frauenakademie, um der drohenden Hausdurchsuchung und Räumung durch die Gestapo zu entgehen. Die soziale Frauenschule wurde hingegen von den Nazis übernommen und von "Alice-Salomon-Schule", wie sie zu Ehren ihrer Gründerin erst seit 1932 hieß, in "Frauenfachschule für Volkspflege" umbenannt. Obwohl ihr Freundinnen dringend anrieten, auszuwandern, verließ Alice Salomon Deutschland zunächst nicht, sondern verhalf Kolleginnen zur Flucht. Erst nach einem Verhör durch die Gestapo im Jahre 1937, beschloss sie in die USA zu emigrieren, wo sie bis zu ihrem Lebensende blieb.

Obwohl sie in den USA eine hohe Reputation besaß, erhielt sie keine Arbeitsangebote, sondern musste im Gegenteil mit ihren Forschungsarbeiten hausieren gehen. Im Jahre 1939 wurden ihr die Doktortitel und die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Zwar wurde sie fünf Jahre später auf dem Papier zur Amerikanerin, aber sie hatte ihre Heimat verloren und konnte auch in den USA keine Neue finden. Bis zu ihrem Tod am 30. August 1948 in New York City arbeitete sie in zunehmender Einsamkeit und Isolation an ihren Memoiren, die erst 1983 unter dem Titel "Charakter ist Schicksal" veröffentlicht wurden.

Veranstaltungshinweis:
Die soziale Frauenschule hat den Tod ihrer Gründerin lange überdauert und feierte am 23. und 24. Oktober 2008 ein Jahrhundert erfolgreicher Bildungsarbeit. Die "Alice Salomon Hochschule Berlin - Fachhochschule für Soziale Arbeit, Gesundheit, Bildung und Erziehung", wie die Schule heute heißt, lud im Rahmen der Festlichkeiten auch zu der Verleihung des "Alice Salomon Award" an Barbara Lochbihler, Generalsekretärin von "Amnesty International Berlin", ein. Prof. Gesine Schwan war als Festrednerin anwesend.

Alice Salomon Hochschule Berlin - Fachhochschule für Soziale Arbeit, Gesundheit, Bildung und Erziehung:
Die Alice-Salomon-Hochschule in Berlin Hellerdorf ist eine traditionsreiche Hochschule, die Bachelor- und Masterstudiengänge mit dem Schwerpunkt auf Soziale Arbeit, den Gesundheitsbereich und Bildung im Kindesalter anbietet.

Weitere Informationen zu Alice Salomon und zur Alice-Salomon-Fachhochschule: www.ash-berlin.eu


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Beitrag vom 26.09.2008

AVIVA-Redaktion