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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 24.01.2005


Interview mit Mahide Lein
Julia Mende + Sharon Adler

Die Queere KulturVermittlerin und Macherin von AHOI - Kunst + Kultur erhielt im Sommer 2004 den CSD - Zivilcouragepreis. Hier spricht sie über Feminismus, Sexarbeit, zukünftige und aktuelle Projekte




AVIVA-Berlin: Im Sommer 2004 erhielten Sie für Ihren jahrzehntelangen unermüdlichen Einsatz zu Themen wie Feminismus, die Verknüpfung von lesbischem Sex und Politik mit kulturellen Darbietungen aus aller Welt den CSD - Zivilcouragepreis. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?
Mahide Lein: Der Zivilcouragepreis vom CSD-Berlin eV. ist eine starke Bestätigung meiner Arbeit, zugleich eine Ermunterung und Motivation weiterzumachen, eine moralische Unterstützung zu wissen, dass ich nicht alleine bin.

AVIVA- Berlin: Was waren wichtige Einschnitte in Ihrem Leben? Welche Stationen Ihres Lebenslaufes sind für Sie persönlich am Bedeutendsten?
Mahide Lein: Es fällt mir schwer, aus der Vielzahl meiner Projekte einige heraus zu suchen, doch seien vier Highlights hier genannt:
PELZE-multimedia /1986-90 BERLIN. Dieser tägliche Raum in Bewegung und internationaler Treffpunkt von Künstlerinnen und Aktivistinnen war ein herausragendes Ereignis für mich und viele Frauen. Wir bearbeiteten Themen wie Sexualität, Tod, Verrückt-Sein, wo ist die Grenzüberschreitung unserer Moral, Spielzimmer, Politisches uvm. Ausstellungen, Rauminstallationen, Diskussionen, Konzerte, Literatur, Performances, Experimentelles und Partys. Zuvor sammelte ich Erfahrungen in drei Frauentreffs in Frankfurt am Main und Berlin, doch PELZE-multimedia war ein Höhepunkt der Frauenbewegung mit vielen experimentellen und künstlerischen Ereignissen!
1. lesbischwules KulturFestival & 1. CSD in Russland, St.Petersburg /1992:
Mein erstes Projekt in Zusammenarbeit mit schwulen Männern, u.a. mit Andreas Strohfeldt /DDR, dem Frauenzentrum St.Petersburg und der Tschaikowsky-Foundation feierten wir mit 60 angereisten queeren Leuten aus Berlin und ca. 3.000 RussInnen aus ganz Russland vier Tage lang die Befreiung des §121, der Homosexualität kriminalisierte: Ausstellung, Videoprogramm, Konzerte und Performances, Workshops und Aktionen. Zu diesem Zeitpunkt gab es keinen lesbischwulen Treffpunkt in Russland. Dieses Fest war das glücklichste Ereignis, was ich mit mehreren Leuten teilte, denn alle waren total ausgelassen, alle Chakren gingen auf, weil zum ersten Mal in ihrem Leben die Leute sich öffentlich im stark homophoben Land trafen! Bis 1995 veranstalteten wir halbjährlich in Berlin und Russland ein austauschendes kulturelles Programm, auch das erste große queere Filmfestival mit vielen FilmarbeiterInnen uvm. Nach 1995 wurden die wirtschaftlichen Zeiten so hart, die entstehenden queeren Projekte wurden vernichtet und mittlerweile gibt es nur noch kleine festliche Anlässe und Clubs, die lange nicht unserer Selbstverständlichkeit entsprechen.
1. AFRIKA-Reise nach ZIMBABWE 1996, anläßlich Filmarbeiten: "Schick mit mal ne Postkarte":
Der regierende Präsident Mugabe kriminalisiert bis heute Homosexualität, 1995 machte er seine Homophobie öffentlich und verbot die Teilnahme schwuler Literatur an der Buchmesse. Gleichzeitig lernte ich in Amsterdam durch meine Arbeit mit MAMA KUMBA (12 Musikerinnen aus Surinam) Sue Pakeipei Maluwa-Bruce kennen. Spannend war hierbei, dass ich durch meine internationalen Kontakte mehr über queere Projekte erfuhr als Sue in ihrem Heimatland, weil es dort keine Vernetzungen, Flyer etc. gab/gibt. Wir arbeiteten gemeinsamen an o.g. Film zu den Themen: Homosexualität, Weibliche Sexualität, besuchten erste Frauen- & HIVpos.-Projekte, Huren, KünstlerInnen und Musikerinnen, die wir später nach Berlin einluden. Durch das Zusammensein mit afrikanischen Männern, Frauen und Kindern öffnete sich mein Herz für die gesamte Menschheit der Erde und veränderte mein zukünftiges Leben! Ich wollte mich nach dieser Reise auch in Berlin nur noch mit afrikanischen Leuten umgeben und produzierte mit AHOI und meiner angenommenen Tochter Djatou Touré (Sängerin aus Elfenbeinküste) zwei Jahre lang den wöchentlichen afrikanischen Salon: MoKATO mit Leuten aus allen Teilen Afrikas mit: Ausstellung, Konzerten, Literatur, Party und einem offenen Mikrofon für aktuelle Geschichten, Eine fantastische Balance zwischen Publikum und Bühne und ein ganz wichtiger, spannender multikultureller Treffpunkt in Berlin! Durch diese Arbeit ist AHOI mit einer hohen Zahl afrikanischer KünstlerInnen vertreten.
KultHurFestival 2000 Berlin: in Zusammenarbeit mit Dr. Laura Meritt und berühmten VeteranInnen der Hurenbewegung aus aller Huren Länder (Lateinamerika, USA, Afrika, Asien und vielen Teilen Europas) feierten wir das 25. Jubiläum des Internationalen Hurentages: Sexarbeiterinnen & Sexarbeiter aus aller Welt laden ein zur Filmreihe, Ausstellung: Aus aller Huren Länder - Vom Hursprung an, Podiumsdiskussion, Workshops, Lesungen, Theater & Konzerten, Partys, Demonstration: Karawan of Love=Money, Wettbewerb: Preisgekrönte Exponate "Denkmal an die unbekannte Hure", Frauen-Frühschoppen: Prostituierte sind die besseren Feministinnen, uvm. - Eine uralte Forderung der Frauenbewegung ist: die Gleichstellung Sexarbeit mit anderen Berufen! Huren sind Grenzgängerinnen, Gradwanderinnen. Sie heißen willkommen, beurteilen nicht, sind zärtlich zu den Ungeliebten, heilend für Leib und Seele. Wo Gesellschaften versagen, können sie Wärme geben. Eine Tempelhure in der antiken Zeit bedeutete Glück, Fruchtbarkeit und Wohlstand. Ihren Leib zu berühren war ein sakraler Akt. Weit entfernt von derartigen Anschauungen sind wir in unserer heutigen Zeit, weit entfernt von einer gesellschaftlichen Akzeptanz oder gar Fürsorge, d.h. soziale Anerkennung für diese Sex-Arbeiterinnen. Feministinnen setzen frauenfeindlichen und sexarbeiterfeindlichen Äußerungen ein Ende! - Außerdem bin ich der Meinung, wenn der Beruf Hure nicht in die Schiene der Doppelmoral ist, unsere gesamte Sexualität aufgewertet würde und hat mich bewegt dieses Festival zu realisieren.

AVIVA- Berlin: "Feministin zu sein bedeutet nichts anderes, als nicht zu glauben, dass Frauen Menschen zweiter Klasse sind", so die Definition der amerikanischen Schauspielerin Geena Davis. Wie definieren Sie den Begriff "Feminismus"?
Mahide Lein: Für mich ist Feminismus die Gleichheit aller Geschlechter und Kulturen. 1999 produzierte AHOI mit Orlanda-Frauenverlag und Adefra eV zu Ehren des Besuchs von Dr.Gloria I. Joseph den Event Trans Feminisme, wo sich transgender, transreligion, transcultural, transformation, transzendental traf.
Schon in der Schule wurde ich Frauenrechtlerin beschimpft, weil ich mich gegen die Ungerechtigkeiten, Benachteiligungen, festgefahrene Geschlechterrollen einsetzte, mich jedoch auch zu anderen Themen heftig äußerte. Immer wieder versuchte ich, das Selbstbewusstsein der Frau/Mädchen und die Rolle der Frau/Mädchen in der Gesellschaft zu stärken. Meine Mutter tat alles Mögliche tat, gegen ihre herkömmliche Hausfrauen- und Mutterrolle anzukämpfen, sie war immer in Gefahr, dadurch mit einem halben Bein in der Psychiatrie zu landen. Ich verteidigte meine Mutter, war stolz auf sie, dass sie nicht mainstream war und es gefiel auch meinen MitschülerInnen, die z.B. zuhause in den 50igern keine Hosen tragen durften. In unserem Wohnungsflur wurden vor dem Schulbesuch die Röcke ausgezogen und heimlich Hosen angezogen. Nach der Schule wieder die Röcke zum Nachhauseweg angezogen, uvm. Bei meiner Mutter war sozusagen alles erlaubt und förderte möglichst alle Kinder in ihrer Persönlichkeit, beantwortete tabuisierte Themen und probierte neue Lebenswege aus. Sie half mir, zu erkennen, dass Kunst ein beliebtes Mittel ist, dem eigenen Stil Ausdruck zu geben.
Da ich multikulturell arbeite, sind unsere erkämpften Frauenrechte in anderen Kulturen nicht vorhanden oder müssen andere Frauenrechte erkämpft werden, so greife ich oft zur alten feministischen Schule. Feminismus ist out - es lebe der neue Feminismus! - z.B. sind 55% der Kunststudentinnen nur mit 5% in Galerien vertreten.
Die Transgenderbewegung hat mir geholfen, die Vielblättrigkeit der Geschlechter ins Unendliche zu erkennen.
Spirituell gesehen erübrigt sich Sexismus, Rassismus und Klassenhass, weil wir in allen Geschlechterrollen, Hautfarben und Lebensweisen wieder inkarniert werden können und uns Alles praktisch nur selbst antun! We are one!

AVIVA- Berlin: Wie haben Sie in finanziell knappen Zeiten Ihre Kulturprojekte durchbringen können? Welche Rückschläge mussten Sie auf Ihrem Weg einstecken und wie sind Sie damit umgegangen?
Mahide Lein: Meine Eltern hinterließen Geld und die ersten Projekte waren wie im Schlaraffenland. Das Geld ging aus, aber die Ideen blieben, Senats-, Stiftungsgelder und soziale Vernetzungen halfen. Viele Projekte riskierte ich, die nicht voll finanziert waren und fiel viele Male bitterlich auf die Schnauze mit meinem Leichtsinn, Event-Ideen zu realisieren. Immer wieder stehe ich auf und machte weiter .... puhhh - never give up!
Jetzt bin ich in einem Stadium, wo mir Professionalität wichtig ist. Wenn ich nicht genug PartnerInnen finde, die mit einsteigen, stoppe ich die Projekt-Idee schweren Herzens (2005 gibt es kein LOSAR - tibetisches Neujahrsfest - ein Benefit für Projekte in Tibet und kein geplantes 2.KultHurFestival) und widme meine Arbeit mehr dem Booking von AHOI-KünstlerInnen, die aus aller Welt - in alle Welt zu Festivals, Konzerthallen, Ausstellungen und privaten Feiern vermittelt werden.

AVIVA -Berlin: Stellen Sie sich vor, Sie bekämen heute 1 Million Euro für Ihre Projekte. Welches Projekt würden Sie sofort ausbauen oder ins Leben rufen?
Mahide Lein: AHOI-Kulturhaus für ca. 500 Leute, wo sich alle Lebensstile und Kulturen treffen, austauschen, experimentieren und vernetzen. Einen Teil des Gewinns geht zugunsten anderer Projekte, wie z.B. Frauenprojekt in Eritrea, Schulen in Tibet, Gay-Center in Ukraine, HIVpos-Center in Zimbabwe uvm.

AVIVA- Berlin: Als Kunst- und Kulturvermittlerin bringen Sie Künstlerinnen unterschiedlicher Nationalitäten auf die Bühne. Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?
Mahide Lein: Mich interessiert, unterschiedliche Kulturen und Lebensweisen zusammenzubringen, zur Erhaltung der Lebensfreude. Ich schöpfe Kraft aus der Umsetzung grenzüberschreitender Themen, kratze Tabuthemen an und mache sie öffentlich, vernetze Kulturen und Lebensstile, zur Unterstützung der Kreativität, um die Welt in ihrer Vielfalt erleben.

AVIVA- Berlin: Ihre Kunst- und Kulturvermittlung trägt den Namen AHOI.
Wurden Sie bei der Namensgebung etwa vom berühmten AHOI Brausepulver inspiriert?
Mahide Lein: AHOJ-Brause hat mich nicht inspiriert, sondern der Piratengruß AHOI, der auf der ganzen Welt in vielen Ur-Sprachen (Native American, Südafrika, Australien, Tschecholowakai ua.) für Hallo und Tschüss steht. Lange Zeit wurde ich in der Frauenszene CAPITANA MAHIDE genannt, weil ich eine Kapitänsmütze trug, die Leute grüßten auf der Straße: AHOI, ich grüßte zurück: AHOI ---! 1992-94 machte ich die Moderation bei LÄSBISCH-TV bei FAB (Fernsehn aus Berlin), dem Ersten Lesbischen Fernsehmagazin auf diesem Planeten und begrüßte die Leute mit AHOI, es sprach sich rum... und eines Tages war es soweit meiner Künstler- & Event-Agentur einen Namen zu geben: AHOI, das passt. Wir reisen mit dem Grußwort mit vielen KünstlerInnen um die ganze Welt, AHOI ist ihre Heimat.

AVIVA- Berlin: Ihre zukünftigen und aktuellen Projekte? Was liegt Ihnen besonders am Herzen?
Mahide Lein: Ich versuche meinen Traum zu realisieren, das AHOI-Veranstaltungshaus: ein Mix aus PELZE-multimedia, LOSAR, MoKATO und vielen neuen Ideen, multikulturell mit allen möglichen Lebensstilen. Ein kunterbuntes Erleben im bewegten Raum und das einzige transkategoriale Zusammenspiel: Sex, Ethno, Gender ... all incl. Open your heart!
Gleichzeitig vermittelt AHOI Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt - in alle Welt.

AVIVA- Berlin: Ihr Credo?
Mahide Lein: GLOBALL_AMORALL, zur Erhaltung der Lebensfreude.

Mehr zu Mahide Lein und AHOI im Netz:
www.AHOI-kultur.de


Women + Work

Beitrag vom 24.01.2005

AVIVA-Redaktion