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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 03.03.2005


World Women Work 2005 - Anke Domscheit
AVIVA-Redaktion

Anke Domscheit, Managerin bei Accenture im Bereich Post and Public Services und Vorstandssprecherin des EWMD Berlin-Brandenburg.




AVIVA-Berlin: Das Motto der WWW 2005: "Wandel als Chance". Zwishen Work-Life-Balanceund Netzwerk-Ökonomie: Herausforderungen und Perspektiven ineine zunehmend globalisierten Lebensumfeld. Wo sehen Sie persönlich diese Herausforderungen und Perspektiven?

Anke Domscheit: Interessante Frage. Ich gehe mal in die Vergangenheit statt in die Zukunft und da insbesondere in meine persönliche Biographie: Ich bin ja in der DDR sozialisiert worden und hatte mich seinerzeit aus persönlichen Präferenzen entschieden, "Angewandte Kunst" zu studieren. Das machte ich auch mit großer Begeisterung, studierte Textilkunst, ein Fach, das es so im Westen gar nicht gibt, also Freie Kunst mit textilem Material. Ein außerordentlich spannendes Studium, nur ist direkt in meine Diplomphase die Wende gefallen. An sich war das natürlich ein sehr positiver Umstand, weil Wende ist toll, Freiheit ist toll, Reisen ist toll. Aber mein bis dato geplanter Berufsweg hatte sich damit eigentlich erledigt, weil Kunst im Kapitalismus im allgemeinen kein besonders gutes Ernährungsmodell ist und direkt in einer solchen Wende im Osten schon gleich gar nicht. Also Geld für Kunst, das gab es nicht und so bin ich dann das erste Mal in meinem Leben zu einem Arbeitsamt marschiert, wo man mir sagte, man könnte mir eine Umschulung zur Bäuerin anbieten. Das fand ich eine mäßig zukunftssichere Perspektive und auch nicht ganz meinen persönlichen Interessen und Talenten entsprechend. So habe ich dann mein Leben selbst in die Hand genommen und bin, ohne eigentlich zu wissen, was aus mir wird, nach Frankfurt am Main gegangen und arbeitete dort erstmal zwei, drei Jahre bei einem Reiseveranstalter als Bürokraft und habe da die Zeit genutzt, um mir zu überlegen, was jetzt eigentlich aus mir wird. Das war ein extrem eklatanter Wandel in meinem Leben, der durch einen enormen Wandel in der gesamten Gesellschaft um mich herum geprägt war. Ich studierte dann internationale Betriebswirtschaft mit mehreren Fremdsprachen, war auch ein Jahr im Ausland, in England und habe dann direkt danach mit der Unternehmensberatung einen völlig anderen Zweig begonnen. Ich konservierte aber immer noch Dinge aus meinem alten Studium und kann das importieren. Wir müssen ja in der Unternehmensberatung immer wieder für irgendwelche Probleme von irgendwelchen Kunden uns immer neue Lösungen überlegen, obwohl wir teilweise weder die Kunden vorher kannten - jedenfalls nicht von innen - noch die spezifischen Probleme. Bei meinem damaligen Kunststudium haben wir damals systematisch trainiert, wie man kreativ sein kann, Kreativität zu fördern und zu entwickeln. Und ich merke, dass - das Frausein spielt vielleicht auch eine gewisse Rolle - das Kunststudium mir eine gewisse Stärke gibt im Vergleich zu typischen "Nur-BWL-Studenten", ohne das abwerten zu wollen. Ich kann einfach mehr um die Ecke denken und ich glaube, dass das generell dann so ist, wenn Menschen in ihrem Leben nicht sehr gradlinig waren, sondern wenn sie größere Wandel und Knicke in ihrem Leben hatten. Das kommt bei Frauen häufiger vor als bei Männern und gibt ihnen daher eine gewisse Stärke. Allein durch die Biographie sind sie sehr oft dazu gezwungen, völlig andere Perspektiven - Familie ist ja auch eine ganz andere Perspektive - anzunehmen. Ich habe auch ein kleines Kind und weiss, wovon ich rede. Frauen schaffen dann nicht immer den Wiedereinstieg in die gleiche Positionsebene oder in das gleiche Unternehmen, sondern tun dann unter Umständen völlig andere Dinge. Ich glaube immer dann gibt es eine ganz besondere Bereicherung für das Arbeitsumfeld.

AVIVA-Berlin: Und wo sehen Sie die Risiken?

Anke Domscheit: Die Risiken sind, dass man seine Komfortzone verlassen muss. Komfortzone definiert als die Zone, in der ich mich auskenne, kompetent bin, mich bewährt habe, meine Beziehungen und Kontakte habe. In dem Moment, in dem ich einen anderen Bereich betrete, habe ich das erstmal nicht. Ich kenne keinen, ich kann eigentlich nichts, denke ich in dem Moment und muss dann lernen, wie ich die Fähigkeiten aus dem anderen Bereich in den neuen überführe, dort auch nutze und gleichzeitig meine Fähigkeiten entwickle. Das ist die sogenannte Risikozone und die hat den Charme, dass sich, wenn ich dort erstmal drin bin - eigentlich egal, wie erfolgreich ich war - meine Komfortzone erweitert, dass ich also mehr Spielräume und mehr Breite habe in Bereichen, in denen ich mich gut fühle und wo ich kompetent auftreten kann.

AVIVA-Berlin: Wie bewerten Sie die Podiumsfrage 2 - Gleichstellung auch ohne Quote und Gesetz? Sie wurde ja sehr kontrovers zwischen Podium und Auditorium diskutiert.

Anke Domscheit: Ich persönlich bin pro Gesetz, weil ich der Meinung bin, ohne Gesetz, nur freiwillig, wird sich nicht viel ändern. Ich bin aber inzwischen zu der Erkenntnis gelangt, dass - ich lasse mich sehr gern positiv überraschen - es unrealistisch ist, auf ein Gesetz zu warten. Deswegen versuche ich, seit es diese freiwillige Vereinbarung gibt, über dieses sehr unvollkommene Vehikel freiwillige Vereinbarung, das ich bis jetzt für komplett nicht erfolgreich halte, herauszufinden, wie man das zu einem funktionierenden Vehikel machen kann. Das war der Punkt, den ich hier auch angesprochen habe, dass man irgendwie die Unternehmen, von denen gerade viele der großen der Meinung sind, sie wollen tatsächlich etwas verändern, sie wollen mehr Frauen in Führungspositionen, mehr Frauen in technischen Berufen, dazu bringen muss, sich auch an Zahlen zu binden, freiwillige Ziele zu vereinbaren, die man dann auch wirklich Zielvereinbarungen nennen kann. So was wuschiges wie diese freiwillige Vereinbarung, in der keine einzige Zahl enthalten ist - weder eine Ausgangszahl noch eine Zielzahl - das kann es nicht sein und das führt uns auch nicht ans Ziel.

AVIVA-Berlin: Was tun Sie in Ihrem Unternehmen für den Bereich Frauenförderung

Anke Domscheit: Ich persönlich bin in der women´s Initiative von Accenture sehr aktiv. Accenture ist auch Corporate Member des EWMD, des European women´s Management Development International Network. Ich manage diese Corporate Membership, das heißt, ich nehme an den Corporate Member Meetings teil. Diese finden zweimal jährlich statt. Dort tauschen wir uns mit anderen Unternehmen, die auch Corporate Member sind, aus, insbesondere im Bereich Best Practice. Außerdem beschäftige ich mich schon sehr lange mit dem Thema "Frauen in Führungspositionen und gläserne Decken" und habe da auch schon verschiedene Workshops entwickelt, die insbesondere Frauen in Führungspositionen helfen, zumindest zum Teil diese gläsernen Decken zu durchbrechen. Im Rahmen dessen, was eine Frau beeinflussen kann, versuche ich ihnen Werkzeug und Ideen an die Hand zu geben. Diese Workshops habe ich bei Accenture schon in Deutschland, Österreich und der Schweiz an verschiedenen Standorten gehalten. Ich habe auch im Rahmen der women´s Initiative bei uns interne Networking Events organisiert. Zu denen habe ich externe Referenten hereingeholt und dazu auch immer eine Geschäftsführerin von Accenture. Denn weibliche Geschäftsführerinnen gibt es bei uns auch nicht so viele wie wir wollen, so dass eine Frau in einer mittleren Führungsposition nicht oft eine Chance hat, eine Geschäftsführerin - wie z.B. Susanne Klöß - zu treffen. Diese Networking Events sind kleine Kreise von vielleicht zwanzig Frauen. Im Anschluß an die Referentenvorträge oder Workshops können die Frauen sich dann eben auch mit der Geschäftsführerin unterhalten, auch als role model und Fragen klären, wie: wie hast du das denn gemacht, wie hast du das mit Kindern geschafft? Das hilft den Frauen sehr und da gibt es auch ein sehr positives Feedback. Das sind so kleine Graswurzel-Aktivitäten, aber auf die kommt es an.

AVIVA-Berlin: Wie beurteilen Sie den Trend bezüglich der Debatte um Work-Life-Balance, die in Deutschland zunehmend auf die Work-Family-Debatte reduziert wurde?

Anke Domscheit: Meine große Hoffnung ist, dass die Männer da mehr einfordern. Nicht nur zum Thema Familie, was sie auch zunehmend tun, aber insbesondere auch zum Thema Freizeit im Allgemeinen. In dem Moment, wo ich das Thema Familie für die, die wählen, keine Kinder haben zu wollen, ausklammere, ist das Thema Freizeit das, was reingeht, wenn wir von Work-Life-Balance sprechen. Ich finde es komplett asozial - gerade in Führungspositionen - 16 Stunden am Tag arbeiten zu müssen. Das ist für Frauen krank und das ist für Männer genauso krank. Das ist asozial, es ist "menschenschädlich", es ist ungesund und es führt dazu, dass inzwischen auch bei Frauen Herzinfarkt die Todesursache Nr. 1 ist. Das ist nicht erstrebenswert, nicht wünschenswert und für die Gesellschaft insgesamt blöd. Das heißt, wenn wir erreichen, die Diskussion Work-Life-Balance zu erweitern von Familie auf Freizeit und damit die Arbeitskraft regenerieren, die Leistung wieder hochbringen - keiner ist 16 Stunden am Tag effizient, das gibt es überhaupt nicht - dann wäre das für alle besser.

AVIVA-Berlin: Warum sind Sie hier? Welche Erwartungen haben Sie?

Anke Domscheit: Role Model sehen und hören. Zum einen die auf dem Podium sehen und hören und da Anregungen, auch aus anderen Ländern bekommen. Die habe ich zum größten Teil auch bekommen, nicht in jedem Fall, das war aber auch nicht zu erwarten. Ein ganz wichtiger weiterer Punkt für mich ist, dass ich auch von denen, die im Auditorium sind, möglichst viele kennenlerne. Ich bin ja Netzwerkerin aus Leidenschaft. Ich möchte hier also viel herumnetzwerken und auch mal jemanden aus meinem Netzwerk rechter Hand mit jemandem aus dem Netzwerk linker Hand miteinander verknüpfen, wie in diesem Fall geschehen. Ich bin aber auch im Bereich Business Development für Accenture tätig und hoffe, auch da den einen oder anderen für das Business nutzbaren Kontakt zu knüpfen, also über das private Interesse heraus.

AVIVA-Berlin: Was würden Sie sich für die WWW 2006 wünschen, was möchten Sie diskutiert wissen?

Anke Domscheit: Das Thema Kinderbetreuung jedenfalls nicht mehr. Ich hätte gerne noch mehr Best Practice, gerne auch mal aus dem Inland, gerne möchte ich auch das Thema Top-Frauen in Top-Führungspositionen - so hoch wie möglich und so einflußreich wie möglich - weiter fortgesetzt wissen. Von denen möchte ich Lebensgeschichten hören, also nicht immer nur einen Vortrag zu einem bestimmten Thema, wie Leadership oder Demographie, sondern einfach mal eine Biographie. Das erlebte ich bei einer anderen Konferenz und fand es großartig. Da hat eine Frau, ganz oben Top-Führungsposition sitzend, einfach nur eine halbe Stunde lang erzählt, wie aus ihr als Abiturientin diese Person geworden ist. Das hat mir so viel gegeben und ich hörte von vielen anderen Frauen in der Pause danach auch ein äußerst positives Feedback. Das sind solche Sachen, die man auf sich selbst beziehen kann und sich vorstellen kann, wie bei so einer "normalen" Person Schritt für Schritt diese oder jene Veränderung eintritt und sie dann tatsächlich da oben ankommt. Das ist eigentlich das, was man auch als Einzelperson lernen möchte, wenn man jetzt nicht eine Best Practice für eine Firma im Bereich Human Resources sucht, sondern einfach für sich selbst: Wie komme ich konkret von A nach B?

AVIVA-Berlin: Was nehmen Sie mit? Ihr Fazit?

Anke Domscheit: Mich hat Irene Natividad in einem Punkt bestätigt, und das war ihre extreme Betonung des Business Case. Diesen Punkt kommuniziere ich zwar auch schon, aber nicht mit diesem Schwerpunkt, der Argumentation mit Zahlen. Das werde ich in Zukunft tun, ab gestern. Ich bin ja ohnehin ein Zahlenmensch und mein Lieblingsmotto ist: You get what you measure. Also was das Measuring für Shareholder Value bedeutet, für Innovationsraten, was Frauenanteile - vor allem in Führungspositionen - bedeuten für Nachhaltigkeit, für Marktanteile, für das richtige Zugehen auf Kunden bedeuten. Denn nur damit kann man Vorstandsetagen erreichen. Etwas anderes verstehen die nicht.

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für´s Interview.


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Beitrag vom 03.03.2005

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