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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 20.01.2006


Sexe fort. Patricia Kaas im Interview.
AC Coppens

Der schillernde Star aus Frankreich - Diva und "fille de l´est" - spricht über Frauen als das starke Geschlecht, ihre Arbeitsweise als Interpretin, Aufrichtigkeit und ihr Verhältnis zu Europa.




Das Interview führte Anne-Catherine Coppens. Konzeption: Ruth Niehaus, Silke Buttgereit und Sharon Adler.

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Den rauchigen Ton von "Mademoiselle chante le blues" wird jede sofort im Ohr haben, die an Patricia Kaas denkt. Das gleichnamige Debütalbum führte sie 1987 ohne Umwege auf die Bühne des Olympia, der "hall of fame" des französischen Chanson. Für die gerade 20-jährige Elsässerin, jüngstes Kind von 7 Geschwistern deutsch-französischer Eltern, begann damit eine große Karriere.
Ihr Gesang, der mühelos zwischen Rock/Pop, Blues, und zartem Chanson changiert, hat sie schnell über die Grenzen Frankreichs hinaus einem internationalen Publikum bekannt gemacht.
"Sexe fort" ist ihr nunmehr 7. Studioalbum, erschienen im Dezember 2003. Die Liste der Künstler, die sich daran beteiligten, ist lang und beeindruckend: Es wirkten u.a. mit: Francis Cabrel, Renaud, Stéphane Eicher und J.-J. Goldman.
Ihre Deutschlandtour 2004 nutzte die 38 jährige Sängerin, um einen Song mit den Rosenstolz-Songwritern und -Produzenten Peter Plate und Ulf Sommer aufzunehmen. Der Titel "Herz eines Kämpfers" wurde bereits im Verlauf der aktuellen Konzertreise dem deutschen Patricia-Kaas-Publikum vorgestellt und erscheint am 14.03.2005.

AVIVA-Berlin: Der Titel Ihres neuesten Albums lautet "Starkes Geschlecht". Die Fotos im Booklet dieser CD spielen mit einer sehr ästhetisierten SM-Symbolik: Leder-Harness, Piercing, Tatoos, dazu der Titel "Starkes Geschlecht" und das Frauenzeichen sozusagen als Logo der CD. Ist das "nur" Ästhetik oder steckt dahinter auch ein bißchen Ironie?
Patricia Kaas: Das Album "Starkes Geschlecht" wird getragen von einem bestimmten Gefühl, aus diesem Gefühl schöpft es seine Kraft. Ich wollte also versuchen, ein Bild, ein Foto zu finden, welches beide Aspekte -Gefühl und Kraft- vermitteln könnte. Das war mir wichtig und es war ziemlich schwierig. In meinen Augen zeigte sich diese Kraft tatsächlich im Gefühl, transportiert über ein Bild von Reinheit, von nackter Haut - aber ohne jede sinnliche oder besser sexuelle Anspielung...
Ich machte mich dann auf die Suche nach einem Titel für das Album. Ich habe eigentlich immer ungewöhnliche Titel für meine Platten ausgewählt, also suchte ich und suchte ich und kam schließlich auf das Wort vom "Starken Geschlecht" und das Frauenzeichen, aber mehr in einem femininen, denn feministischen Sinne… Es ist ein Symbol, das gut zu mir paßt: es vermittelt Kraft, und Weiblichkeit, die Form, die Rundheit dieses Symbols gefallen mir sehr.
Es war also keine Ironie im Spiel.

AVIVA-Berlin: Der Titel des Albums stammt demnach von Ihnen?
Patricia Kaas: Ja, ich suchte wirklich so etwas wie "Kraft, intensiv, Macht", aber das gefiel mir alles nicht und als ich im Lexikon nach all diesen Begriffen schaute, stieß ich auf "Starkes Geschlecht", selbstverständlich bezogen auf den Mann, so kam ich also auf die Idee, "Starkes Geschlecht" mit dem Frauenzeichen zu verbinden.

AVIVA-Berlin: Für jene, die die französischen Texte nicht verstehen: Ist der Titel als eine Art Klammer zu verstehen, die alles zusammenfaßt, was Sie mit der Platte sagen wollen?
Patricia Kaas: Nicht nur. Ich spreche auf diesem Album eine direktere Sprache.
Was die Arrangements angeht, sind die Stücke gewissermaßen roher, und dann hat es auch mit meinem Charakter zu tun. Das heißt, "Starkes Geschlecht" bedeutet für mich Unabhängigkeit und Willenskraft zugleich. Aber - auch wenn ich starkes Geschlecht sage, weiß ich um meine Schwächen, wichtig ist also auch eine gewisse Sensibilität, die für mich übrigens keineswegs gleichbedeutend mit Schwäche ist, im Gegenteil, sie ist ein Trumpf.
In jedem von uns gibt es eine männliche und eine weibliche Seite und für die weibliche werden gern Begriffe wie sensibel u.s.w. genannt.
Für mich ist das nichts Negatives, aber Männer meinen oft, diese Seite nicht zeigen zu dürfen. Meiner Erfahrung nach vergraben sich Männer oft in ihren eigenen Gefühlen. Obwohl, ein Mann könnte dies vielleicht auch von mir sagen. Denn ich bin eine Frau die sehr selten weint.
Ich wünschte, ich könnte leichter weinen, aber….ich habe meine Eltern sehr früh verloren und vor zwei Jahren ist mein Bruder gestorben. Das hat tiefe Spuren in mir hinterlassen, ich habe Schwierigkeiten, die Tränen fließen zu lassen…das sitzt so tief... .
Ich glaube, deshalb hat mir Claude Lelouche eine Rolle in seinem Film gegeben: er meinte, selbst in meinem Lächeln wäre immer etwas Traurigkeit. Ich selbst sehe das natürlich nicht, wenn ich in einen Spiegel schaue, aber es ist da.
Wir alle möchten permanent die Starken spielen, aber wir haben auch das Recht zu sagen: ich bin erschöpft.

AVIVA-Berlin: Die Texte auf "Sexe fort" stammen fast ausnahmslos von Männern. Ist das Zufall?
Praticia Kaas: Ja, das ist Zufall, das ist wirklich ein Zufall, und was für ein Riesenzufall!!
Unter den 27 Textern und Komponisten sind 25 Jungs und 2 Mädels.
Ich habe mir wirklich die Lieder ausgesucht, die mir am besten gefielen und war mir überhaupt nicht darüber im Klaren, das da so viele Männer hintersteckten.
Die Namen sind in Frankreich ziemlich bekannt.
Ich habe die Leute angerufen, mit denen ich bereits zusammengearbeitet habe, sei es Obispo, oder Goldmann, aber darüber hinaus gibt es auch so viele Überraschungen, wie Renaud beispielsweise.
Ich bin einzig und allein Interpretin, ich schreibe selbst nicht. Nach so vielen Jahren Karriere wissen wir Interpreten manchmal nicht mehr, wo unser Platz ist. Es gibt heute so viele Sendungen wie "Star-Academy, Deutschland sucht den Superstar" und was weiß ich.
Wir wissen gerade nicht so genau, welche Rolle wir spielen und zu wissen, daß so viele Autoren und Komponisten Lust haben, für dich zu schreiben, also das gibt dir einen wirklichen Schub, so dass du sagen kannst "Genial, ich existiere!".
Es hat mir wirklich gut getan, zu wissen, daß so viele Leute etwas zu diesem Album beitragen wollten.

AVIVA-Berlin: O.k., man schreibt für Sie, ob es nun die Musik ist oder die Texte, aber Sie haben doch sicherlich eine Botschaft. Welche?
Patricia Kaas: Ich habe lange nach Liedern mit einer gewissen Kraft gesucht, aber die sind nicht immer leicht zu finden. Es kommt oft vor, daß mir Autoren sagen, ich würde in meinen Liedern Gefühl und Empfindsamkeit vermitteln und bei anderen auslösen. Es ist also immer ein bißchen schwierig, die richtigen Lieder zu finden. Lieder wie "Où sont les hommes" habe ich auf diesem Album sofort gemocht, weil es diese Kraft gibt, und das mag ich.
Es stimmt, es wäre großartig, selbst Stücke schreiben zu können. Ich mache es nicht, denn zum einen gibt es diese Angst vor dem ersten Mal und zum Zweiten sage ich mir, ich könnte es nicht besser machen. Abgesehen davon, ich weiß nicht, vielleicht wäre es auch zu... persönlich.

AVIVA-Berlin: Gefühle werden über etwas so Intimes wie die Stimme transportiert, aber wenn es nur einen einzigen Satz zu sagen gäbe, nur eine Botschaft zu vermitteln, was würden Sie all Ihren Fans sagen wollen, all jenen, die Ihnen zuhören, was würden Sie gern hinterlassen?
Patricia Kaas: Aufrichtigkeit, glaube ich, ist am wichtigsten. Ich bin mit viel Liebe und Aufrichtigkeit aufgewachsen und das ist für mich das Allerwichtigste.
Sicher, ich erlebe phantastische Dinge, aber ich vergesse nicht, woher ich komme. Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich im Laufe meiner Karriere auch mal etwas riskiert habe. Wenn ich z.B ein Lied abgelehnt habe, was die Plattenfirmen aber besonders "effizient" fanden, dann habe ich gesagt, "Ich habe keine Lust, es zu singen, weil es mich nicht berührt. Das ist vielleicht nicht effizient, aber das bin ich."
Sicherlich gab es auch weniger erfolgreiche Momente, aber diese waren für mich oft gleichzeitig ein Erfolg, weil sie mir etwas anderes gebracht haben.
Ein Album wie "Dans ma chair", das vielleicht nicht so gut verkauft wurde, hat mich selbstbewußter gemacht, weil ich so weit gehen mußte wie noch nie, um mich selbst wiederzufinden. Da ich lange Jahre im Schatten meiner Mutter gelebt habe, kannte ich mich nicht. Ich mußte diesen Weg gehen, um wirklich ich selbst zu werden.
Ich sage mir, ein Album ist nicht immer nur eine Verkaufszahl, ein Album bedeutet etwas ganz Anderes, es ist eine Botschaft.

AVIVA-Berlin: Sie sind deutsch-französischer Herkunft, haben Sie einen besonderen Bezug zu Europa?
Patricia Kaas: Das ist schwer zu sagen. Ich bin in der Nähe der Grenze geboren, mein Land ist Lothringen, aber auch das Elsaß, nicht Deutschland und Frankreich. Da meine Mutter Deutsche war, habe ich französisches und deutsches Blut in den Adern.
Ich liebe es, in viele verschiedene Länder zu reisen, die kulturellen Unterschiede zu erleben. Ich bin sicherlich Europäerin, ohne mich jedoch zu bemühen, eine zu sein, weil ich dort geboren wurde, an der Grenze zweier Länder und dann, weil ich jemand bin, der gern teilt und der neugierig ist. Etwas mit anderen zu teilen, das ist meine Leidenschaft - vor allem anderen.

AVIVA-Berlin: Liebe Frau Kaas, danke für das Interview.

Mehr zu Patricia Kaas im Netz:
www.patriciakaas.net


Patricia Kaas
Herz eines Kämpfers

Label: Sony Music International. VÖ: 14.03.2005
7,00 Euro90008115&artiId=4129736"

Patricia Kaas
Sexe fort

Label: Sony Music International. VÖ: 01.12.2003
20,99 Euro

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Beitrag vom 20.01.2006

AVIVA-Redaktion