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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 01.10.2005


Anna Loos-Liefers
Karin Effing

Die Darstellerin der Sally Bowles brilliert im Musical „Cabaret“ in der Bar jeder Vernunft. Im Interview erzählt die Sängerin und Schauspielerin von der Herausforderung und Entwicklung ihrer Rolle.




Die 1970 in Brandenburg geborene Sängerin und Schauspielerin sang in verschiedenen Bands und tourte durch Kanada bevor sie an der Hamburger "Stage School of Music, Dance and Drama" mit dem Schwerpunkt Gesang studierte. Noch während der Ausbildung wurde sie für das Kultmusical „Grease“ unter Vertrag genommen. Auch als Filmschauspielerin trat sie in zahlreichen Rollen in Aktion: von 1997 bis 2000 war sie zum Beispiel als Lissy Pütz, die Kriposekretärin der Kölner WDR-Tatort-Kommissare Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär, im heimischen Flimmerkasten zu sehen. Schlagartig bekannt wurde sie durch den Gruselschocker "Anatomie" (1999, Regie: Stefan Ruzowitzky) für den sie auch den Filmsong "My Truth" performte.
Im Musical "Cabaret" in der Bar jeder Vernunft eroberte Anna Loos-Liefers in der Spielzeit 2004/2005 die Herzen der ZuschauerInnen. Sie kreierte unter ihrer roten Perücke eine neue und überzeugende Sally Bowles, die sich mit der quirligen Liza Minelli messen kann. In der Wiederaufnahme des Musicals agiert Anna Loos-Liefers nun mit neuen Partnern: Ursli in der Rolle des Conférenciers und Toni Pfister als ihr Geliebter Clifford Bradshaw.

AVIVA-Berlin: Haben Sie gleich angenommen, als man sie gefragt hat, erneut die Sally Bowles zu spielen? Oder mussten Sie lange überlegen?
Anna Loos-Liefers: Mhhh, ich habe schon darüber nachgedacht. Ich habe dann beschlossen, dass ich es mache, weil es mir einfach großen Spaß gemacht und die Rolle sich wahnsinnig entwickelt hat. Wir hatten ja sehr viele Aufführungen und mit der Zeit entdeckte ich: "Das ist echt mein Ding“ Nach dem Motto: "Das ist mein kleines Spiegelzelt und mein Stück und meine Rolle." Das konnte ich schwer loslassen und so habe ich gesagt: "Klar, ich mache das."
Als ich mit Vincent Paterson (Regie und Choreographie) darüber gesprochen habe, meinte er: „Ich komme wieder und wir arbeiten noch mal dran und vielleicht legen wir noch einen drauf.“
Wenn man ein Stück lange spielt erlangt man dadurch auch mehr Sicherheit. Dann kann man weitere Ebenen der Rolle finden, andere Facetten. Es ermöglicht einem, die Figur anders und freier zu betrachten.
Das macht die Arbeit ja auch interessanter, bereichert sie.

AVIVA-Berlin: Sie stehen ja nicht nur auf der Bühne, sondern drehen auch…
Anna Loos-Liefers: Ich spiele jetzt halt nicht mehr durchgängig, sondern unterbreche manchmal die Spielzeit für einen Dreh, um nicht wieder in die Situation zu kommen, ein halbes Jahr überhaupt nicht drehen zu können. Das habe ich beim letzten Mal gemacht und das wollte ich so dieses mal nicht machen.
Wenn ich das Musical spiele, dann spiele ich das Musical und wenn ich drehe, dann drehe ich.

AVIVA-Berlin: Tobias Bonn von den Geschwistern Pfister spielt in der Wiederaufnahme Clifford Bradshaw. Der ist vom Typ etwas anders als der vorherige Partner, Guido Kleineidam. Inwiefern hat sich dadurch etwas verändert?
Anna Loos-Liefers: Natürlich vergleicht man am Anfang noch so ein bisschen. Ich würde sagen, bei den ersten zwei Proben mit Tobias habe ich ihn innerlich mit Guido Kleineidam verglichen, aber irgendwann weicht das dann. Und dann bekommt jede Szene dadurch einen neuen Dreh. Das macht das Spielen letztendlich interessanter. Das ist eher positiv, weil es eben was Neues und Anregendes ist.

AVIVA-Berlin: Hat der Besetzungswechsel auch Auswirkungen auf Sally gehabt?
Anna Loos-Liefers: Ja, Sally hat sich ebenfalls gewandelt, da ich sie ja schon besser kannte, hatte ich beim Spielen einfach mehr Sicherheit, andere Seiten der Figur auszuprobieren.

AVIVA-Berlin: Apropos Vergleichen... Haben Sie sich selbst mit Liza Minelli verglichen? Das große Vorbild ist doch bestimmt erstmal eine große Last gewesen, oder?
Anna Loos-Liefers: Ich komme aus dem Osten, ich hatte den Film mit ihr in der Kindheit nicht zehnmal gesehen, so wie das anscheinend im Westen der Fall war. Ich wusste halt, es gibt da diesen Film…

AVIVA-Berlin: Haben Sie ihn sich vor den Proben angeschaut?
Anna Loos-Liefers: Ich habe ihn mir während der Proben nicht angeschaut. Wenn man mich nicht leiden kann, würde man mir Desinteresse unterstellen. Ich habe mich anders vorbereitet, habe Bücher über diese Zeit gelesen. Ich habe mich mit Leuten wie Anita Berber beschäftigt. Und dann ganz am Ende der Probenzeit, vor der ersten Vorführung, habe ich mir den Film angeschaut. Das war, glaube ich, nicht so eine gute Idee... (lacht). Ich wusste ja immer, das muss ein toller grandioser Film sein… (lacht) Naja, das hat mich schon verunsichert.
Aber es bringt ja nichts, den Film anzugucken und dann Liza Minelli nachzumachen.
Ich wollte herausbekommen, wie meine Sally aussieht.

AVIVA-Berlin: Das ist ja auch gelungen.
Anna Loos-Liefers: Am Anfang war ich wahnsinnig unsicher, als ich den Film gesehen habe. Und jetzt ist es so, dass ich denke: „Der Film ist der Film und das Stück ist das Stück.“ Aber da habe ich auch eine Weile für gebraucht. (lacht)

AVIVA-Berlin: Man kommt ja auch als Zuschauerin mit dem Bild der Liza Minelli in das Musical … Mich hat aber Ihre Sally überzeugt.
Anna Loos-Liefers: Jut, danke.

AVIVA-Berlin: Die Inszenierung ist ja mehr zeitbezogen als der Film. Sie geht mit der Liebesgeschichte zwischen Herrn Schulz und Fräulein Schneider stärker auf die politischen Hintergründe ein.
Anna Loos-Liefers: Die Liebesgeschichte des Herrn Schulz und des Fräulein Schneider ist wunderschön. Zwei ältere Leute, die zueinander finden. Ein jüdischer Obsthändler und das Fräulein Schneider, die eine Pension betreibt.
Das haben die Amerikaner in ihrem Film weggelassen. Das Stück gab es zuerst in der Bühnenfassung und ich finde, dass es eine ganz wichtige Geschichte ist.

AVIVA-Berlin: In der ersten Bühnenfassung war es also noch drin?
Anna Loos-Liefers: Ja, genau. Wir spielen die ursprüngliche Bühnenfassung. So wie wir es spielen, ist das Stück im Original angelegt.
Die Amerikaner haben sich dann im Film auf Sally und Clifford Bradshaw konzentriert, was ich schade finde. Die politischen Geschehnisse sind ja wichtig… Gerade, wenn man es in Deutschland aufführt, hier in Berlin.
Das ist einfach ein unglaublich wichtiges Thema: Die Nazis, die Juden, wie sich das deutsche Volk mit den Ereignissen der Zeit arrangiert hat. Wie dann mit den Juden umgesprungen worden ist, die ja Nachbarn waren, Freunde. Oder Verlobte, so wie im Stück ja Herr Schulz der Verlobte von Fräulein Schneider ist, die dann die Verlobung aus Angst löst.
Ich finde es toll, dass wir diese rührende und besondere Geschichte hier zeigen. Angela Winkler, die das Fräulein Schneider spielt, ist einfach eine unglaublich tolle Schauspielerin!

AVIVA-Berlin: In der Inszenierung kommt so sehr gut zum Vorschein, dass diese kleinen Leute mit den großen Problemen ihrer Zeit überfordert sind.
Wie ist das mit Sally?
Anna Loos-Liefers: Ja, die sind eigentlich alle überfordert. Auch Sally.

AVIVA-Berlin: Danke für das Interview und viel Erfolg!

Lesen Sie mehr über das Musical "Cabaret" in der Bar jeder Vernunft, sowie das Interview mit der weiteren Sally Bowles-Darstellerin Katharine Mehrling.



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Beitrag vom 01.10.2005

AVIVA-Redaktion