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AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 07.06.2005


Interview mit Lisa Moos, ehemalige Prostituierte und Autorin
Ursula Schatzl, Sharon Adler

Bei der Buchpremiere von "Das erste Mal und immer wieder" gaben sich neben allerlei schweren Jungs und leichten Mädchen auch Szenegrößen wie Molly Luft und Rolf Eden die Ehre.




AVIVA-Berlin: Jahrelang haben Sie Ihr Geld mit Prostitution verdient, jetzt sind Sie Gründerin und Geschäftsführerin einer eigenen Internet Medienagentur. Sind Sie glücklich, das Milieu verlassen zu haben?
Lisa Moos: Ich bin nicht glücklich und auch nicht unglücklich. Viele Jahre lebte ich in dem Glauben, der "ordentlichen Gesellschaft" anzugehören wäre sehr erstrebenswert, weil das immer alle gesagt haben. Mit diesem leicht vorwurfsvollen Blick von der Seite auf mich. So viele Menschen können doch nicht irren, habe ich mir gedacht. Aber die Wege dorthin sind, realistisch gesehen, dann doch nicht einfach so offen "für eine wie mich".
Nachdem ich "Josch" kennen gelernt hatte, war ich glücklich, dass ich "ausgestiegen" bin. Unglücklich wurde ich erst wieder, als er fort war. Trotzdem habe ich durchgehalten und bin meinen Weg gegangen, denn mit jedem Tag in dieser "anderen" Welt finde ich mich besser darin zurecht! Und jeden Tag kommen Menschen dazu, die mich respektieren und meine Vergangenheit nicht negativ beurteilen. Jeden Tag Menschen, die mich loben und mir Mut machen.
Das macht auch ganz sicher glücklich!

AVIVA-Berlin: Wie kam es dazu, die Internet Medienagentur zu gründen und was genau ist das Profil Ihrer Internet Medienagentur?
Lisa Moos: Internet fasziniert mich und ist immer schon mein Hobby gewesen. Man kann dort alles erfahren und alles sehen, Orte und Menschen auf der ganzen Welt kennen- lernen. Dazugelernt habe ich immer, Kurse gemacht, PC-Bücher und Zeitschriften verschlungen. Mein erster richtiger Job war dann auch in einer Medienagentur. Wir haben Online-Werbekampagnen für verschiedene Firmen erstellt und kontrolliert. Dann lernte ich durch ein Jobinserat im "Mallorca Inselradio" meinen letzten Chef kennen, der Gründer und Inhaber einer erfolgreichen Onlinemedienagentur ist. Ich legte die Karten auf den Tisch und er stellte mich ein. Trotz meiner Vergangenheit vertraute er mir und mit ihm die ganze Firma. Es war phänomenal! Ich erkannte, dass es auch Menschen gibt, die vorurteilsfrei sind. Wir waren dicke Freunde, eine richtige Familie. Ich erkannte, dass ich mich auch in der "seriösen Welt" geborgen fühlen konnte.
Mit den richtigen Menschen an der Seite ist fast alles möglich. Nach einem Jahr der harten Schule stießen am Ende aber auch zwei egoistische Dickköpfe aufeinander, deswegen gab es eine Trennung in aller Freundschaft. Die Onlinebranche ist interessant und kann lukrativ sein. Deshalb habe ich mich im April für eine eigene Firma in einem ähnlichen Bereich entschieden.
Zukünftig werde ich kostenpflichtigen Content für spanische Webmaster im Programm haben, die diese Inhalte auf ihren Portalen den Usern zur Verfügung stellen können. Außerdem geht in wenigen Tagen mein eigenes, spanisches Erotikportal online. Ich werde also einen ganz normalen Bürojob machen.

AVIVA-Berlin: Als 16-jährige haben Sie erstmals Ihren Körper verkauft, weil Sie schwanger waren und das Geld für eine Abtreibung brauchten. Sie hatten damals weder einen Schulabschluß, noch eine Ausbildung in Aussicht. Wenn Sie heute eine 16-jährige Tochter hätten - was würden Sie ihr raten, wenn sie sich in einer ähnlichen Situation befände?
Lisa Moos: Das ist eine sehr schwierige Frage! Gerade ich habe erfahren, dass ein Kind so viel sein kann, so viel mehr, als man ahnt und weiß. Wenn man jung ist, verzweifelt und schwanger, womöglich noch allein... Ohne meine Söhne hätte ich sicher mehr als einmal aufgegeben, denn Kinder geben in erster Linie Kraft!
Ich würde ihr zur Seite stehen, egal welche Entscheidung sie treffen würde.
Wäre sie gegen das Kind, würde ich sicher auf eine Adoptionsmöglichkeit oder so etwas in der Art hinweisen. Ich denke, auch das kann eine mögliche Alternative sein. Aber es gibt Situationen, da gibt es nur einen Ausweg. Dann sollte man ihn auch gehen, aber sich bewusst sein, dass diese Entscheidung immer gegenwärtig ist. Wenn nichts von all dem zutrifft, dann kann ich nur raten: "Her mit dem Baby, es gibt viel Schlimmeres auf der Welt!"

AVIVA-Berlin: Angenommen, Sie hätten statt Ihrer beiden Söhne zwei Töchter bekommen, wären Sie Töchtern gegenüber anders mit dem Thema Prostitution umgegangen?
Lisa Moos: Das kann ich ehrlich nicht sagen, aber ich denke schon. Meine Töchter in der Prostitution hätte ich niemals akzeptiert. Ich wäre wohl jeden Weg gegangen, sie davor zu bewahren.
Das hängt aber in erster Linie mit dem Thema "Mutterliebe" zusammen.
Prostitution kann sehr schmerzhaft und erniedrigend sein, meine Kinder so leiden zu sehen, wäre undenkbar für mich.

AVIVA-Berlin: Manche Frauen prostituieren sich, um ihren Drogenkonsum zu finanzieren, dies trifft auf Sie nicht zu, da Sie nie drogenabhängig waren. Was hat es für Sie so schwer gemacht, den Ausstieg aus der Prostitution zu finden? Ist es eine andere Sucht, wie z.B. die Sucht nach Geld oder Anerkennung?
Lisa Moos: Es ist die Sucht nach Geborgenheit und Anerkennung, genauso wie die Sucht nach Unabhängigkeit. Geld bedeutet auch Freiheit, man kann sich damit trösten, sich damit verwöhnen, aber auch im Notfall helfen. Geld ist ganz sicher nicht alles in der Welt, aber im Taxi heult es sich bequemer als im Autobus.
Der Ausstieg aus der Prostitution war ein Sprung in ein unbekanntes Gebiet, nicht alle Menschen reagieren positiv auf "ehemalige Huren" und auch die Tätigkeitsfelder sind ja sehr eingeschränkt. Es steht nach einem Ausstieg den Damen in keiner Weise alles offen. Wenn man dann nicht genug Kraft hat oder gute Freunde, ist der Weg zurück viel einfacher als der Weg nach vorn.

AVIVA-Berlin: Wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Sohn als Berufswunsch äußern würde, Callboy werden zu wollen?
Lisa Moos: Durchdrehen! Aber das könnte gar nicht passieren, denn mein Sohn ist ein Teil meiner Geschichte, er ging aus ihr hervor und er hat sie mit mir gelebt. Er verherrlicht dieses Leben ganz und gar nicht, er ist sehr konservativ dabei geworden, hat in jedem Fall gelernt, was er nicht daraus braucht. Vieles ging ihm viel zu nahe und er hat einiges erlebt, was ich ihm gern erspart hätte. Er geht demnächst auf die spanische Polizeiakademie.

AVIVA-Berlin: 20 Jahre sind eine lange Zeit - wie hat Sie Ihr Leben als Prostituierte geprägt?
Lisa Moos: Prostituierte sind immer etwas anders als andere Frauen. Sie sind oft blonder, viel offener und haben keine Angst vor auffälligen Klamotten. Man kann es einem irgendwie immer ansehen, wenn man im Milieu war oder darin ist. Mein Leben ist geprägt worden von Oberflächlichkeit und Äußerlichkeit. Beides sind Dinge, die ich heute konsequent versuche, aus meinem Leben auszuschließen.
Äußerlichkeiten haben null Stellenwert für mich und Oberflächlichkeiten hasse ich!

AVIVA-Berlin: Einmal und immer wieder - wie sicher können Sie heute sein, für den Rest Ihres Lebens mit der Prostitution aufgehört zu haben?
Lisa Moos: Es ist wie ein abgeschlossener Schrank zum einen, zum anderen habe ich einen Platz gefunden in diesem "anderen Leben, dieser anderen Gesellschaft". Mein Leben war keine Qual, ich bin nicht verhärmt und sehe mich auch nicht als Opfer von irgendwem. Ich hatte mich einst für das Milieu entschieden und habe es "ausgelebt".
Ein Leben kann sich auch mal ändern und das habe ich getan. Eine neue Erfahrung, nicht weniger intensiv und nicht weniger spannend. Sicher kann man vielleicht nie sein, aber wenn ich mich umdrehe, sehe ich nur eine dicke Mauer.

AVIVA-Berlin: Was waren Ihre Beweggründe, Ihre Erfahrungen auf dem Straßenstrich, als Hure im Luxushotel und als Domina aufzuschreiben und zu veröffentlichen?
Lisa Moos: Ich schrieb es für einen Mann, den ich liebte, wollte ihm alles über mich erzählen, wollte mein Inneres irgendwie "ausfegen", um Platz zu machen für ihn und unsere Zukunft. Es war ein Zeitpunkt, wo ich mich aufräumen und ordnen wollte. Dazu kam es leider nicht, stattdessen kam die Trennung. Aber das Buch war fertig und dank meines Agenten, Herrn Jessen aus der Literaturagentur Thomas Schlueck, hat es dann der Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag in Berlin gesehen und auch verlegt.

AVIVA-Berlin: In nur 3 Wochen und ohne Co-Autor haben Sie Ihr Buch verfaßt, fühlen Sie sich dadurch befreit, haben Sie sich Ihr Leben als Hure von der Seele geschrieben, auch um damit abschließen zu können?
Lisa Moos: Nein, das hätte ich dazu nicht gebraucht, aber es ist vielleicht so etwas wie ein Resümee für mich. Und ich fand nicht alles schlecht, war stolz auf mich, etwas, was mir beim Schreiben deutlich geworden ist. Und einige Fehler konnte ich mir dabei leichter verzeihen.

AVIVA-Berlin: Sie sagen stolz von sich: "Ich war eine gute Hure." Was macht Ihrer Meinung nach eine gute Hure aus?
Lisa Moos: Eine gute Hure gewährt ihre Dienstleistung jedem und macht alles, was der Kunde wünscht, solange weder Leib noch Leben in Gefahr sind und auch keine kriminelle Handlung begangen wird. Eine gute Hure liebt sich selbst und schämt sich nicht. Eine gute Hure braucht sich deshalb auch niemals und bei keinem für ihr Handeln zu entschuldigen.

AVIVA-Berlin: Denken Sie, dass die Rechte der Prostituierten ausreichend gesichert sind? Wenn nicht, was müsste Ihrer Meinung nach getan werden, um den Beruf "Hure" gesellschaftsfähig zu machen?
Lisa Moos: Dieser Beruf wird niemals gesellschaftsfähig. Und solange Menschen das zu erreichen versuchen, die selber nur die Theorie kennen, ist es noch aussichtsloser.
Dazu kommt, dass die Huren keine Lobby brauchen, wozu auch? Sie leben in ihrer eigenen Welt, weil sie das so wollen.
Helfen soll man denen, die unfreiwillig in der Prostitution arbeiten, zum Beispiel Drogensüchtigen. Oder Mädchen, die diesen Weg beschreiten, obwohl sie ganz andere Träume haben. Helfen sollte man den "Hartz IV" Frauen, die jetzt schon ins Milieu strömen, um sich ein Taschengeld zu verdienen.
Ich bin kein Politiker und weiß ganz ehrlich auch nicht soviel darüber.
Aber der erste Fehler, der hier schon wieder am Anfang gemacht wird, ist das "Milieu" als Gesamtes zu umfassen und "behandeln zu wollen"
Man sollte denen helfen, die wirklich Hilfe wollen, die anderen helfen sich selber.

AVIVA-Berlin: Was sind Ihre Pläne und Visionen für die Zukunft?
Lisa Moos: Ich werde versuchen, mit meiner kleinen Firma erfolgreich zu werden und ein zweites Buch schreiben, um die Menschen zu überzeugen, die glauben, "Das erste Mal und immer wieder" sei kein Buch, sondern nur ein Thema.
Denn gut schreiben kann ich auch.

AVIVA-Berlin: Danke für Ihre offenen Antworten!

Lesen Sie mehr zur Autobiographie von Lisa Moos auf AVIVA-Berlin.


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Beitrag vom 07.06.2005

AVIVA-Redaktion