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Beitrag vom 21.07.2005
Interview mit Franziska Meletzky und Dagmar Manzel
Sarah Ross
Was passierte hinter den Kulissen des Kinofilms "Nachbarinnen"? Die Regisseurin und Hauptdarstellerin sprechen mit AVIVA-Berlin unter anderem über die schönsten Momenten bei den Dreharbeiten.
AVIVA-Berlin: Konnten Sie eigene Ideen ins Drehbuch einbringen, oder ist es ausschließlich ein Werk der Drehbuchautorin Elke Rössler?
Franziska Meletzky: Es ist beides: Am Anfang stand die Geschichte von Elke und dann sucht man zusammen, was einen interessiert. Da ich relativ schnell gesagt habe, ich würde gerne für Dagmar Manzel und Grazyna Szapolowska schreiben, waren die Frauen dann ganz schnell nicht mehr Mitte zwanzig, sondern im Alter der Schauspielerinnen. Als das einmal klar war, sind wir in die Wohnung eingezogen, damit die Konflikte auf engerem Raum passieren. Von vorne herein war die Verabredung zwischen Elke, Dagmar und mir, dass es uns eben nicht um eine große äußere Gefahr geht, sondern um die Abgründe.
AVIVA-Berlin: Warum sind für Sie Dagmar Manzel, Grazyna Szapolowska und Jörg Schüttauf die Idealbesetzung?
Franziska Meletzky: Das kann ich gar nicht richtig sagen, es war einfach klar. Es sind SchauspielerInnen, die ich sehr schätze, deren Arbeit ich absolut liebe und mit denen ich auch weiter arbeiten will.
AVIVA-Berlin: Konnten auch Sie ihre eigenen Ideen zur Umsetzung der Rolle (Dora) mit einbringen?
Dagmar Manzel: Ja. Franziska hatte mir die erste Fassung gegeben. Wir kannten uns überhaupt nicht: Sie sagte ich bin Franziska Meletzky, ich möchte gerne einen Film mit Ihnen machen, meinen Abschlußfilm. Lesen Sie doch einmal das Buch. Ich habe es gelesen und fand die Geschichte eigentlich ganz gut, aber es gab so ein paar Sachen, die mir nicht so gefallen haben, oder wo ich gesagt habe: "das kann ich so nicht spielen". Die Einsamkeit, die Reduktion, die Spielweise, die wir nachher gefunden haben, und die Einsamkeit dieser Figur war vorher nicht so. Es war alles ein bisschen lebendiger, es tauchten viel mehr Figuren auf. Wir trafen uns dann, haben uns kennengelernt und ich habe gesagt, dass dieses und jenes mich mehr interessieren würde. Sie sagte sie schickt mir irgendwann wieder ein Buch und ich dachte: "na ja gut, war zwar ein schönes Gespräch...". Dann bekam ich nach vier Wochen doch das Buch, was mich schon verwundert hat. Ich habe es gelesen und bin sofort zum Telefon und habe gesagt "ich mach es!". Alles, was wir besprochen hatten, wurde auch so umgesetzt, und das hat mich total überrascht und hat mir sehr gefallen.
AVIVA-Berlin: War es eine besondere Herausforderung für Sie eine stille und zurückgezogene Figur zu spielen?
Dagmar Manzel: Für mich war es sehr schön, weil ich vorher am Theater das erste Mal sehr reduzierte Theaterarbeit mit Luk Perceval, "Traum im Herbst", gemacht hatte, so wie ich noch nie Theater in diese Richtung gespielt habe. Dann habe ich einen Film, "Leben wäre schön", gemacht, der sehr viel über die Bilder und den Ausdruck erzählt, nicht über die ständigen Dialoge. Der Film war etwas, wo ich dachte, das geht so in die Richtung weiter und man kann noch extremer werden. Das hat mich sehr gereizt. Alle drei Arbeiten waren also sehr miteinander verbunden. Es war für mich eine neue Art Theater und Film zu spielen.
Franziska Meletzky: Um noch mal auf die Frage von vorhin zurückzukommen: Einer der Hauptgründe für die Zusammenarbeit mit Dagmar, Grazyna und Jörg ist, dass ich ihre Erfahrungen nutzen kann, und wir zusammen was Neues schaffen können. Das ist etwas, dass ich erst im nachhinein formulieren kann.
AVIVA-Berlin: Als junge Regisseurin haben Sie also durch die Erfahrung der SchauspielerInnen dazugelernt?
Franziska Meletzky: Ja absolut! Es geht darum weniger zu denken: "was wäre jetzt schön im Film", sondern aus der Figur heraus zu denken und erst dann, was wertvoll für den Film ist. Zum Beispiel die Szene, wo anfangs beide Frauen in der Badewanne sitzen, ist jetzt die Szene, wo Dora das Telefon repariert, die viel schlüssiger in sich ist. Das Telefon wird durchgeführt, es gibt diese Gymnastik, die beide zusammenführt und dann aber eben doch nicht. Das sind Momente, die gibt es nicht schon zehn Mal. Und so tasten wir uns heran. Dagmar sagt "nein, das finde ich so nicht interessant" und dann finden wir entweder zusammen was Neues, oder Elke bietet was Neues an. So kann ich immer den Abgrund, oder das Verrückte, einfach das, worum es mir gerade in der Szene geht, trotzdem immer erzählen.
AVIVA-Berlin: "Nachbarinnen" ist als Kammerspiel inszeniert worden, greifen dort Theater und Film ineinander? Wie ist das zu verstehen?
Franziska Meletzky: Das ist immer diese Trennung, mit der ich an sich nicht so viel anfangen kann. Denn als Regisseurin erzähle ich mit beidem Geschichten. Ich sehe Theater ganz klar als Basis. Ich habe vorher Theater gemacht, und ich finde da lernt man wirklich worum es geht, beim Geschichten erzählen. Das ist meine Haltung, ich weiß, das sehen andere Leute anders. Aber das sehe ich so für Regie als auch für Schauspiel. Und Film ist dann einfach das Ganze mit mehr Bildern und mehr Bewegung.
AVIVA-Berlin: Es heißt, der Film sei im Stil der Neuen Berliner Schule, trifft das zu?
Franziska Meletzky: Das kann man gleich löschen! Das ist eine Schublade, da bin ich rein geschoben worden.
Dagmar Manzel: Was ist denn nun "Neue Berliner Schule"? Man muss ja für alles immer eine Schublade haben.
Franziska Meletzky: Mir wurde erklärt, dass diese Schublade sich total gut verkaufen läßt. Meine Erfahrung ist aber, dass alle immer fragen: "was ist denn das überhaupt?". So wie ich gehört habe, sind das die Regisseure, meistens Männer nur einige Frauen, die in den letzten zehn Jahren hier in Berlin Filme gemacht haben. Sie haben eine bestimmte Art von Film gemacht, der im Hier und Jetzt spielt. Sie erzählen Geschichten von Menschen, die jetzt ein akutes Alltagsproblem haben. Aber ich sehe mich nicht als Berliner Schule, ich sehe mich mehr als ein Einzelfall. Ich wollte gerne mit diesen Schauspielerinnen diesen Film machen und meine Heimat hat sich da angeboten.
AVIVA-Berlin: Zum Drehort: Warum wurde ausgerechnet der Plattenbau als Drehort gewählt? Was hat Sie daran gereizt? Und an Sie die Frage, Frau Manzel: Wie ist es auf so beengtem Raum zu spielen?
Dagmar Manzel: Na ja, es war ja letztendlich kein beengter Raum. Beim Film ist immer alles Schummel und die Wahrheiten bestehen aus vielen kleinen Wahrheiten. Es war ein riesengroßes Studio. Wenn es im Plattenbau gedreht worden wäre, hätte man das alles gar nicht machen können, aufgrund der Kamerafahrten usw. So haben wir die ganze Zeit im Studio gedreht, was ich seit DDR-Zeiten nicht mehr getan habe. Insofern war es für mich wieder eine "neue" Erfahrung - vier Wochen lang im Studio zu drehen, nur ein paar Außendrehs. Daher hatte ich die Konfrontation mit dem Plattenbau nicht. Aber ich habe selbst mal in der Platte gewohnt und kenne das Gefühl sehr gut, es ist furchtbar abtörnend. Aber beengt war es dadurch nicht. Es war ein richtig großes Studio, das täuscht total.
Franziska Meletzky: Ich habe auch immer den Eindruck, dass man während des Spielens die Räumlichkeiten nicht so sehr fühlt.
Platte? Zwei Gründe: Das Buch spielte am Anfang tatsächlich in einem geräumigen Altbau, wunderschön. Wir merkten aber, dass man dort eigentlich gar nicht eingesperrt ist. Wenn man dort zusammen Zeit verbringt, ist es eigentlich schön! Aber es sollte ja eine Situation von "zusammen auf engstem Raum" sein. Dadurch wurde die Wohnung immer kleiner. Und Platte einfach deshalb, weil ich da aufgewachsen bin, und mir das sehr vertraut ist und ich das Milieu sehr gut kenne. Wieso sollte ich etwas erzählen, worüber ich nicht Bescheid weiß.
AVIVA-Berlin: Was waren denn die aller schönsten Momente beim Dreh?
Franziska Meletzky: Omelett? (Lachen)
Dagmar Manzel: Die aller schönsten Momente waren an Tagen, wo wir an einer Szene fast verzweifelt sind, es aber nach 12 oder 13 Einstellungen dann endlich gefunden hatten. Das Team ist auch eine eingeschworene Gemeinschaft, wo auf engstem Raum viele Schicksale aufeinander treffen: man erzählt sich sein ganzes Leben, ist total vertraut, sehr intim miteinander, und man geht auseinander und sieht sich Jahre, manchmal gar nicht mehr wieder. Das ist schon ein verrücktes Gefühl. An einem der letzten Drehtage, als diese Eierkuchenszene gedreht wurde - ich sollte die dann essen - war eine Hochstimmung, es war eine unglaubliche Stimmung!
Franziska Meletzky: Dagmar war ganz brav, die ist ja keine Diva. Wenn es also hätte sein müssen, dann hätte Dagmar wirklich 20 Eierkuchen gegessen. Aber dadurch, dass wir die Großaufnahme unten auf dem Teller hatten, war es ja egal, ob sie sich die Dinger oben in den Mund stopft, oder nicht.
Dagmar Manzel: (Lacht) Ja, das war besonders witzig!
Franziska Meletzky: Also stand hinter ihr unsere Innenrequisite und nahm ihr Happen für Happen aus der Hand. Das ging so: auf die Gabel, hinter den Rücken und er nahm es ihr aus der Hand. Ich hatte stets diese Kopfhörer auf und hörte nur den Ton, und guckte auch noch auf das Bild und nicht auf das Team. Bis ich dann im Ton so ein [unterdrücktes Lachen] hörte. Ich guckte hoch und sah lauter knallrote Gesichter! Und ich sah Dagmar, mit aufgeblasenen Wangen und quellenden Augen, kurz vorm Lachkrampf! Ja, das war ein schöner Moment. Und der andere, den Dagmar beschrieben hat, ist mir auch total in Erinnerung. Da haben wir wirklich ewig um einen Satz gekämpft. Und es ist, meine ich, ein Unterschied zwischen einem Schauspieler, der seinen Job erfüllt und jemandem, der sucht. Denn wir suchen zusammen und wissen beide "nein, das ist es noch nicht!", aber man könnte auch sagen "ach na ja, das wird vielleicht eh raus geschnitten".
AVIVA-Berlin: Wenn Sie beide die Zukunft des deutschen Films beschreiben müßten, Sie als Schauspielerin und Sie als junge Regisseurin, wie sieht sie aus?
Dagmar Manzel: Sie sieht trübe aus, weil nichts riskiert wird. Es wird nichts riskiert, was anspruchsvolle Bücher betrifft, was Schauspieler betrifft, die vielleicht nicht so ein bekanntes Fernsehgesicht sind. Es werden schon historische Filme gemacht und es werden auch junge Talente entdeckt, die gefeiert und mit Lob und Auszeichnungen zugeschüttet werden.
Aber es ist erschreckend, wie sehr man kämpfen muß, um interessante Stoffe machen zu können. Das Geld ist da, aber es geht immer nach Amerika. Sämtliche Filme werden dort mit deutschem Geld unterstützt, aber für unsere eigenen kleinen Filme gibt es so wenig Geld. Es ist absolut miserabel, dieser Zustand! Wir haben manchmal überhaupt keinen Bock mehr zu drehen. Ich mache sowieso mehr Theater und Oper: Wenn ich ein bis zwei Filme im Jahr mit tollen Regisseuren mache, dann bin ich total glücklich. Ich habe so gesehen einen tollen Stand und kann es mir leisten so zu reden, aber es ist ätzend wie man um Geld betteln muß. Für irgend einen Scheiß wird so viel Geld ausgegeben, ob das nun beim Fernsehen oder beim Film ist. Die Menschen werden vollgestopft mit vollkommenem Schwachsinn und verblöden gemeinsam mit den Leuten, die das Geld haben. Es verfügen zu viele Leute über die Macht Geld zu verteilen, die selber vollkommen verblödet sind. Es heißt immer "der englische Film, der französische Film...", da bekomme ich wirklich Aggressionen. Die haben wenigstens die Chance ihre Filme zu machen! Und wenn es für wenig Geld ist. In Frankreich und England gibt es eine Auflage, dass die Kinos diese Filme zeigen müssen. Hier drehst Du einen Film und kannst froh sein, wenn der mal ins Kino kommt. Bei interessanten Büchern, die ich sofort drehen würde, heißt es immer: "oh, kein Geld da!". Aber für anderen Schwachsinn ist Geld da, da könnte ich mir die Nase goldig verdienen. Das mache ich dann natürlich nicht, und da bin ich auch sehr unbeliebt, was das betrifft.
Franziska Meletzky: Jetzt bin ich zwiegespalten, aber das unterschreibe ich natürlich alles sofort. Ich merke nur, dass mich diese Wut, die ich in den letzten Monaten auch hatte, bremst. Deswegen versuche ich nun ganz naiv zu kämpfen. Denn genau das, was Dagmar da beschreibt, unterschreibe ich absolut. Aber, ich bin ja diejenige, die diese Gänge machen muß. Ich muß das Geld nicht wirklich besorgen, aber ich muß präsent sein, ich muß von vorne bis hinten gleichzeitig pitchen können, Frontfrau sein, wissen was ich will, den Schnitt verteidigen, die Tonmischung überleben, und das ist immer sehr langwierig. Von daher habe ich mir jetzt vorgenommen: Ich muß vorher auf die Stoffe gucken, für die ich brenne und dafür boxen, für meinen Einzelfall. Sobald ich anfange mir die Filmwirtschaft anzukucken, bekomme ich eine Krise. Deswegen habe ich mich aus bewußter Haltung heraus dazu entschieden, nicht zu denken was das betrifft. Ich habe im Moment vier Projekte für die ich brenne, für die werde ich kämpfen. Irgendwer muß das Geld bekommen.
AVIVA-Berlin: Welche Projekte sind das?
Franziska Meletzky: Es ist einmal ein Projekt mit Dagmar, es heißt "Plan B". Es handelt von drei Schwestern, die sich zu dem Geburtstag ihrer Mutter wieder treffen, und drei völlig verschiedene Lebensentwürfe haben. Einerseits verläuft die Geburtstagsparty völlig anders als geplant, andererseits werden die Lebensentwürfe hinterfragt. Es ist gleichzeitig Komödie wie auch Drama. Die mittlere Schwester ist Dagmar, die jüngste ist Schwester ist Kirsten Glock und die älteste Schwester ist Corinna Harfouch.
AVIVA-Berlin: Ist es Zufall, dass es in ihren Projekten um Beziehungen zwischen Frauen geht?
Franziska Meletzky: Die anderen drei Projekte sind komplett anders. Aber es ist schon etwas, was mich sehr interessiert, und es macht nicht jeder. Es ist meine Nische: Geschichten zu erzählen über Abgründe, Leidenschaften, Verrücktheiten oder Banalitäten. Und ich merke, dass es dafür auch ein Publikum gibt, aber man benötigt für diese Art Geschichten auch wirklich gute Schauspieler, weil das meiste "Drinnen" passiert.
AVIVA-Berlin: Von beiden ein kurzes Statement zum Film?
Franziska Meletzky: In "Nachbarinnen" gibt es wirklich tolle SchauspielerInnen, es gibt gute Dialoge, es gibt sehr schöne Musik und eine etwas lakonische Lebensordnung, serviert mit Drama und Humor. Gehen Sie alle rein!
Dagmar Manzel: Es ist eine Geschichte von zwei Frauen, von denen eine sehr zurückgezogen lebt, sehr einsam und mit sich und der Welt fertig ist. Sie wird gezwungen, über ihr Leben nachzudenken. Das finde ich sehr schön, natürlich gepaart mit trockenem Humor. Anders geht’s bei mir auch gar nicht. Ein sehr leiser Film, sicherlich nichts für die großen Kinos.
AVIVA-Berlin: Vielen Dank fürs Interview.