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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 16.11.2005


Interview mit Corinna Harfouch
Karin Effing

Sie spielt die tschechische Schriftstellerin Božena Nemcová im Film "Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern". Mit AVIVA-Berlin spricht sie über Briefe, Bücher und die Schriftstellerei.




Corinna Harfouch, eine der wichtigsten deutschen Charakterdarstellerinnen, ermittelte als Kommissarin "Eva Blond" auf der heimischen Mattscheibe. Mit unzähligen Preisen und Nominierungen wurden ihre Leistungen in Film und Fernsehen geehrt, darunter der Deutsche Fernsehpreis 2001 für den Film "Vera Brühne"(Hark Bohm) und der Grimme Preis 1997 für "Gefährliche Freundin"(Hermine Huntgeburth). Als Theaterschauspielerin beeindruckte sie uns in Sarah Kanes Stück "Phaidras Liebe" an der Schaubühne. Zur Zeit ist sie in Edward Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" im Deutschen Theater zu sehen.

AVIVA-Berlin: Der Film "Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern" beruht auf drei Briefentwürfen der tschechischen Schriftstellerin Božena Nemcová. Wie gern schreiben Sie Briefe?
Corinna Harfouch:
Ich schreibe nur Briefe, wenn es mir schlecht geht. Empörte, wütende Briefe, aber dann schreibe ich viele Briefe. Ich habe keinen Computer, mir bleibt also nichts anderes übrig, als sie mit der Hand zu schreiben.

AVIVA-Berlin: Und schicken Sie die Briefe dann auch ab? Oder legen Sie sie zur Seite, so wie Božena Nemcová es getan hat?
Corinna Harfouch:
Nicht immer. Wenn ich es nicht schaffe, gleich am selben Tag zum Briefkasten zu laufen, dann überlege ich mir oft noch einmal, ob ich sie tatsächlich abschicke. Aber meist schicke ich sie auch ab.
(lacht und denkt dann kurz nach) Ich schreibe tatsächlich gerne Briefe.

AVIVA-Berlin: Was hat Ihnen an den Briefentwürfen der Božena Nemcová gefallen? Was hat Sie besonders berührt?
Corinna Harfouch:
Die Tatsache, dass sie an einen Mann, der nicht ihr Mann ist, an einen nicht mit ihr intimen Mann also, so intime Briefe schreibt. Man kann spüren, dass es ihr gar nicht um diesen quasi Fremden als Briefpartner geht, sondern darum, sich über das Schreiben, sich ihrer selbst zu versichern, sich am Leben zu erhalten. Schon fast wahnsinnig ist das, wenn sie über zwei Seiten akribisch ihre Blutungen und das Anlegen der Binden wiedergibt. Mich berührt auch, dass sie versucht, sich sozusagen schönere Lebensumstände, die nicht so quälend sind wie die gegenwärtigen, zu erschreiben.
Das ist, wie wenn du in der Nacht grübelst und diese schwarzen Hunde dich umbringen und du irgendwas tust, aufstehst, um deine Gedanken zu unterbrechen und legst dich dann wieder hin. Aber die Gespenster sind so stark, dass sie dich überwältigen. Ihre Kammer ist überfüllt mit diesen Geistern. Über das Schreiben der Briefe behauptet sie ihr Sein. Nur so kann sie überhaupt stehen bleiben, nicht zusammenbrechen, nicht auf der Stelle sterben.

AVIVA-Berlin: Was hat sich an Ihrem Bild der Božena Nemcová verändert, nachdem Sie ihren Roman "Großmutter" gelesen haben?
Corinna Harfouch:
Als sie den Roman veröffentlicht hat war sie eine junge starke Frau. Es gab zu der Zeit nationale Bestrebungen in Tschechien, um sich als Nation erst einmal zu formulieren. Sie fand dort einen Kreis, in dem sie sich aufgehoben fühlte. Vor diesem Hintergrund konnte sie als erste Frau so einen Roman tatsächlich schreiben. Dadurch war sie eine besondere und gefeierte Persönlichkeit. Diese Zeit war eine sehr glückliche in ihrem Leben. Sie hat entdeckt, dass das Schreiben ihr dieses Glücksempfinden ermöglicht. Ihr wurde klar: wenn ich schreibe, veröffentliche, dann bin ich da, dann bin ich froh. Das ist das, was mich ausmacht.
Sie hat sich ja niemals damit einverstanden erklärt, auch in der Armut nicht, mit irgendeiner anderen Art Arbeit als dem Schreiben Geld zu verdienen. Das hat sie abgelehnt. Sie wollte als Schriftstellerin ihren Lebensunterhalt verdienen. Immer!

AVIVA-Berlin: Lesen Sie gerne und viel?
Corinna Harfouch:
Ja! (nachdrücklich) Ich lese sehr gerne. Ich liebe an meinem Beruf, mich in dieser Breite auf Rollen vorbereiten zu dürfen, weil es mir die Gelegenheit gibt, mich auf einen abgesteckten Bereich zu konzentrieren. Die Welt des Buches ist so unendlich, unendlich... Wenn man für sich liest, wählt man ja zufällig Bücher und weiß nicht genau, in welche Welten man sich begibt. Deswegen bin ich dankbar, wenn ich wie bei diesem Film ein bestimmtes Thema habe, ein Jahrhundert, ein Land, in das ich mich einlesen darf. Es gibt immer wieder Unbekanntes und Neues zu entdecken. Das ist manchmal sehr spannend.

AVIVA-Berlin: Was lesen Sie denn zur Zeit?
Corinna Harfouch:
Ich lese gerade den Roman „Paradise“ der großartigen britischen Schriftstellerin A.L. Kennedy.

AVIVA-Berlin: Božena Nemcová hat auch Märchen und Sagen gesammelt. Was werden Sie auf den Berliner Märchentagen lesen?
Corinna Harfouch:
Ich lese zwei Märchen: "Die Prinzessin auf der Erbse" und "Das hässliche Entlein". Die Veranstaltung findet gemeinsam mit dem symphonischen Kammerorchester statt. Dafür wurde extra eine Partitur geschrieben.
Und da freue ich mich drauf, das ist so richtig schöne Arbeit.

AVIVA-Berlin: Im Film wird die Krankheit, an der Božena Nemcová leidet, nicht benannt. Wie haben Sie sich die Krankheit erklärt?
Corinna Harfouch:
Sie hatte Gebärmutterkrebs.

AVIVA-Berlin: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Erkrankung und ihrer Rolle als Frau in der Zeit in der sie gelebt hat? Hatten ihre Lebensbedingungen Einfluß auf ihre Erkrankung?
Corinna Harfouch:
Fakt ist, dass sie ein extrem entbehrungsreiches Leben hatte. Sie musste hungern, hatte manchmal keine Schuhe, um rauszugehen und musste sich ein Paar mit ihrer Tochter teilen. Das sind Bedingungen unter denen der Körper extrem ausgezehrt und belastet ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Krankheit bei so einem geschwächten Körper eine bessere Angriffsfläche hat.

AVIVA-Berlin: Es gibt irgendwann einen Bruch im Leben der gefeierten Nationalschriftstellerin nachdem sie Armut, Krankheit und Gewalt erleben muss. Wie erklären Sie sich diese extreme Veränderung ihrer Lebensumstände? War ihr Mann schon immer gewalttätig?
Corinna Harfouch:
Ihr Ehemann war fast doppelt so alt sie. Ihre Mutter hat sie mit ihm zwangsverheiratet, da sie aus armen Verhältnissen kam. Die Ehe kann von Anfang nicht glücklich gewesen sein. Vor der 48er-Revolution hatten die beiden immerhin noch gemeinsame Ziele in der nationalen Bewegung. Während dieser Zeit war ihr Mann noch selbstbewusster, er stand im Leben und konnte neben seiner starken Frau bestehen. Nach Zerschlagung der Revolution ist der ganze Kreis dann auseinandergesprengt worden. Ihr Ehemann, der beim Militär war, ist zwangsversetzt worden und auf der untersten Hierarchieebene gelandet, so dass er nur unregelmäßig Geld nach Hause bringen konnte. Er ist daraufhin immer gewalttätiger geworden. Die Stärke seiner Frau hat ihn zum Wahnsinn getrieben. Er hat ihr an allem die Schuld gegeben.


AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview!

Lesen Sie auch die Filmbesprechung von "Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern."



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Beitrag vom 16.11.2005

AVIVA-Redaktion