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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 23.09.2010

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Cato - ein Dokumentarfilm von Dagmar Brendecke
Elina Ioschpa

1920 kam Cato Bontjes van Beek in Fischerhude bei Bremen zur Welt, 1940 verteilte sie in Berlin Flugschriften, die zum Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime aufriefen. 1943 wurde...




... sie nach mehreren Monaten Haft zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Die Sommer im idyllischen Fischerhude schienen endlos zu sein. Mit FreundInnen und Geschwistern verbrachte Cato ganze Tage am Fluss. Die etwas verblassten Schwarz-Weiß Fotografien zeigen eine fröhliche Schar von Kindern im Wasser beim Baden, auf einem langen Holzboot den Fluss entlangtreibend und beim Herumtollen auf einer unendlich weiten Wiese. Die heute noch in Fischerhude lebenden Geschwister Catos, Tim (87 Jahre) und Mietje (88 Jahre), erinnern sich gerne an diese sorglosen Jahre. Es sind Erinnerungen an die große Schwester, die ihren kleinen Bruder bei Raufereien stets in Schutz nahm, Erinnerungen an eine junge Frau, die eine große Leidenschaft für das Fliegen hegte und jedes Mal euphorisch aus dem Haus stürmte, wenn sie draußen den Motor eines Flugzeugs hörte.

Die Erinnerungen an Cato sind wie Puzzelteile die nach und nach ein vollständiges Bild einer jungen Frau ergeben, deren Traum es war, Pilotin zu werden und die ganze Welt zu bereisen. Doch der Dokumentarfilm "Cato" erzählt die Geschichte nicht chronologisch. Die glücklichen Erinnerungen der ZeitgenossInnen werden immer wieder von dem Klang einer Frauenstimme durchbrochen, die aus dem Off Catos Briefe aus dem Gefängnis vorliest:

"1.12.1942, meine liebe Mama, ich laufe immer noch in der Zelle auf und ab und freue mich wenn die Sonne oder der Mond da rein scheinen. In meinen Träumen bin ich immer in Fischerhude und mit euch allen zusammen. Wann wird das wieder sein?"

Während die ZuschauerInnen diese Zeilen hören, sehen sie Bilder einer dunklen Gefängniszelle, nur wenig Licht fällt in den engen Raum, hinter den vergitterten Fenstern sind weit entfernte Häuserfassaden zu erkennen. Diese bedrückende und beengende Atmosphäre wird den ZuschauerInnen eindringlich durch die Filmmusik von Carlos Bica vermittelt. Leise Klavierklänge mit einer traurigen Melodie sind ebenso wirkungsvoll wie die Bilder der Gitter und die Passagen aus Catos Briefen.

Eine fröhliche Melodie führt die ZuschauerInnen wieder zurück nach Fischerhude, in das große lichtdurchflutete Haus, in dem Cato und ihre Geschwister aufwachsen.
Die Eltern sind KünstlerInnen: Olga ist Ausdruckstänzerin, Jan Keramiker. Kennen gelernt haben sie sich in der Kommune des Malers und Pazifisten Heinrich Vogeler.
Im Haus des Künstlerehepaars herrscht ein freier Geist, es wird lebhaft über Politik diskutiert und offen Stellung gegen das Nationalsozialistische Regime bezogen. Als sich die Eltern scheiden lassen und der Vater nach Berlin zieht, folgen Cato und ihre Schwester Mietje ihm 1940 in die Großstadt.

So ruhelos wie Berlin ist auch Catos Leben dort. Sie ist ständig unterwegs, besucht Vorträge, geht zu Gesellschaften, trifft sich mit FreundInnen. Durch ihren Vater kommt Cato mit der Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen in Kontakt. Als der Zweite Weltkrieg beginnt, schließt sich die junge Frau dem Kampf gegen das nationalsozialistische Regime an. Mit anderen AktivistInnen der Gruppe vervielfältigt sie die Flugschrift "Agis" unter dem Titel "Die Sorge um Deutschlands Zukunft geht durch das Volk".

Dieses Flugblatt prangert die Politik der Nationalsozialisten an:
"...vergeblich müht sich der Minister Goebbels, uns immer neuen Sand in die Augen zustreuen, niemand kann mehr leugnen, dass sich unsere Lage von Monat zu Monat verschlechtert. Niemand kann noch länger die Augen verschließen vor der Ungeheuerlichkeit des Geschehens, vor der uns alle bedrohenden Katastrophe der nationalsozialistischen Politik."

Diese Aktion wird Cato zum Verhängnis, wegen Beihilfe zur Vorbereitung zum Hochverrat wird sie zum Tode verurteilt. Im Berliner Gefängnis Plötzensee wartet sie monatelang auf ihre Hinrichtung. Die letzen Briefe der 22-Jährigen an ihre Familie liest die Schauspielerin Anna Thalbach mit einem so großen Einfühlungsvermögen, dass die ZuschauerInnen Gänsehaut bekommen. Passagen, in denen Cato ihr Schicksal akzeptiert, wechseln sich mit solchen ab, in denen sie vollkommen die Fassung verliert. Dies macht die letzten Minuten des Dokumentarfilms auch für die ZuschauerInnen zu einem Kraftakt, die Briefe veranschaulichen unmittelbar die Todesangst der jungen Frau, die jeden Tag ihre Hinrichtung erwartet. Am Ende bleibt der Familie Bontjes van Beek nur die Erinnerung an Cato und die Aufgabe, diese Erinnerung an die kommenden Generationen weiter zugeben.

Zur Regisseurin: Dagmar Brendecke wurde am 20. Oktober 1954 in Peine (Niedersachsen) geboren, sie studierte an der "Freien Universität Berlin" Amerikanistik, Publizistik und Politologie. Nach ihrem Studium arbeitete sie als freie Mitarbeiterin für die Sender NDR, ZDF, WDR und Arte. Für ihr Film-Porträt über den Schriftsteller Raymond Federman erhielt sie den "LiteraVision" Preis der Stadt München. Ihr Film "Tödlicher Schuss" wurde mit dem "Juliane-Bartel-Preis" ausgezeichnet und wurde, wie auch der Film "Und dann war alles still" für den "Prix Europa" nominiert.

AVIVA-Tipp: ZeitzeugInnenberichte, Briefe und Fotografien ergeben ein sehr persönliches Porträt einer Schwester, einer Freundin und einer überzeugten Widerstandskämpferin. Insbesondere die von der Schauspielerin Anna Thalbach gelesenen Briefe Cato Bontjes van Beeks lassen die ZuschauerInnen das Schicksal der jungen Frau hautnah miterleben und ihre Todesangst unmittelbar spüren. Die nur schwer erträglichen Szenen sind nichts für Zartbesaitete, aber sie sind Teil einer Geschichte die erzählt werden muss und nicht vergessen werden darf.

Cato
Deutschland 2010
Buch und Regie: Dagmar Brendecke, Walter Brun
Verleih: Realfiction
Lauflänge: 90 Minuten
Kinostart: 23. September 2010
www.realfictionfilme.de

Der Film ist in Zusammenarbeit mit dem RBB und dem Radio Bremen entstanden, gefördert wurde das Projekt von Medienboard Berlin-Brandenburg, Nordmedia Fonds GmbH und dem deutschen Filmförderfond (DFFF).

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Beitrag vom 23.09.2010

AVIVA-Redaktion 







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