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Beitrag vom 17.10.2012
Patricia Gozalbez Cantó - Fotografische Inszenierung von Weiblichkeit. Massenmediale und künstlerische Frauenbilder der 1920er und 1930er Jahre in Deutschland und Spanien
Katarina Wagner
Garçonne, Diva oder Sportlerin? In ihrer Dissertation analysiert die Deutsch-Katalanin Fotos als historische Quellen, die Aufschluss über den Status und die dazugehörigen Lebensentwürfe der...
... jeweiligen Weiblichkeitstypen geben.
Die Frauenbewegung hatte in den 1920ern sowohl in Deutschland, als auch in Spanien einiges erreicht. Frauen hatten sich das Recht zu wählen und zu studieren erkämpft und waren den Männern endlich vor dem Gesetz gleichgestellt. Eine neue Schar junger berufstätiger Frauen lief selbstbewusst durch die Straßen, trank und rauchte in Nachtclubs, fuhr mit dem Motorrad oder Fahrrad auf´s Land und hielt sich mit Sport fit. Die "Neue Frau" ist wohl die Ikone der Goldenen Zwanziger. Sie verkörpert Modernität, Mobilität und ein neues weibliches Selbstbild.
In Wirklichkeit verlor das Ideal jedoch nach und nach an emanzipatorischem Inhalt und die "Neue Frau" war immer seltener Feministin und immer stärker damit beschäftigt, Filmstars nachzuahmen und modebewusst zu sein. Ein von Männern unabhängiges Leben erreichten die wenigsten. Für den Großteil der `Ladenmädchen` und Sekretärinnen war die Berufstätigkeit nur eine Übergangsphase, bevor sie in den sicheren Hafen der Ehe einfuhren und sich traditionellen Rollenverhältnissen fügen mussten.
Dieses Festhalten an einem hierarchischem Geschlechterkonzept ist auch in den massenmedial verbreiteten Fotos (Modestrecken, Werbe- und Filmplakate) dieser Epoche zu erkennen. Einige davon hat Patricia Gozalbez Cantó für ihre Dissertation analysiert. Dabei achtet sie nicht nur auf die abgebildeten Aktivitäten und Moden, sondern vor allem auf die Bildkomposition und die Gestik und Posen der weiblichen Protagonistinnen. Die theoretische Basis ihrer Analysen ist die Annahme, dass Gender ein soziokulturelles Konstrukt ist und ständig `performt´ werden muss. Dieses `Doing Gender´ zeigt sich hier einerseits in den Posen der Fotomodelle, andererseits in ihrer Inszenierung durch die (meist männlichen) Fotografen.
Vor allem Letzteres bietet Aufschluss darüber, inwieweit der jeweilige Weiblichkeitstypus in der Gesellschaft Verehrung, Akzeptanz oder harte Kritik erfuhr.
Frauen lassen sich fotografieren
Filmdiven wie Greta Garbo wurden auf Plakaten und in den Magazinen als perfekte Göttinnen inszeniert und durch Lichtsetzung und Retusche als unerreichbare, weibliche Schönheitsideale propagiert. Sie standen für die traditionelle Femininität ohne das Konzept in Frage zu stellen.
Anders die so genannten Garçonnes, Frauen, die in Männerdomänen eindrangen oder sich lediglich deren Mode aneigneten. Einerseits wurden sie als selbstständige und aktive Frauen von morgen verehrt, andererseits meldeten sich zahlreiche KritikerInnen, die ihnen "Vermännlichung" vorwarfen und mit dem Verlust der Gebärfähigkeit drohten.
In den Zeitschriften wurde derweil auch oft eher unterschwellig an die Verbindung Frau – Haushalt erinnert oder die Frau als Objekt der Begierde dargestellt.
Reportagen über bekannte berufstätige "Garçonnes" relativierten deren Erfolge oft durch eine bestimmte Inszenierung.
Als Beispiel dienen der Autorin Fotos der Flugpionierin Amelia Earhart, die nicht in ihrem Flugzeug, sondern in einem häuslichen Umfeld abgelichtet wurde. Auch die allseits verehrte Malerin Jack von Reppert-Bismarck sah mensch in den Magazinen selten in ihrem Atelier, sondern eher als Prototyp des kindlichen, aber erotisierten Girls.
Das Girl, eine lebenslustige, aber eher schutzbedürftige junge Frau, wurde auch oft in Massen fotografiert, etwa als Gruppe von Revuetänzerinnen. Nur die Aristrokratinnen und Töchter des gehobenen Bürgertums waren als Girl-Typus einzeln dargestellt - ein direktes Abbild der gesellschaftlichen Situation, in der die Mehrheit ewig hoffte, als Star oder Braut entdeckt zu werden und nur sehr wenige die Chance hatten, als moderne Frau tatsächlich eine neue Selbstbestimmung auszuleben. Dazu brauchte es die nötige finanzielle Unabhängigkeit.
Frauen fotografieren sich selbst
Die "Neue Frau" machte in dieser Hinsicht in Deutschland und in Spanien ähnliche Erfahrungen und auch die massenmedialen Bilder unterschieden sich kaum. Da ist es besonders interessant zu sehen, wie sich Künstlerinnen mit diesen Frauendarstellungen auseinandersetzten. Fotografie gehörte zwar in beiden Ländern auch zu den von Männern dominierten Bereichen, einigen Frauen lernten jedoch selbständig oder im Studio des Vaters/ Bruders/ Ehemanns mit den Kameras umzugehen und zu experimentieren.
Die wenigsten erlangten zu Lebzeiten mit ihren Foto-Arbeiten große Aufmerksamkeit, trotzdem verdienen es diese, als künstlerische und aufschlussreiche Werke von historischem Wert genauer betrachtet zu werden.
In Deutschland kommentierten beispielsweise Marta Astfalck-Vietz und Gertrud Arndt die gängigen Frauendarstellungen durch übertrieben stereotypisierte Selbstportraits als Tänzerinnen, Diven oder ´exotische` Damen. Erstere erhielt übrigens das Bundesverdienstkreuz für ihr sozialpädagogisches Engagement, sie gründete die Behindertenwerkstatt Mosaik e.V. Ihre fotografischen Arbeiten wurden erst 1989 (fünf Jahre vor ihrem Tod im Alter von 93 Jahren) wieder entdeckt.
Gertrud Arndt die sich in ihren Selbstportraits auch oft zwischen den Geschlechtern inszenierte, war hauptberuflich Hausfrau und Mutter, begleitete jedoch das künstlerische Leben ihres Mannes, den Architekten Alfred Arndt, den sie während des Studiums am Bauhaus kennen gelernt hatte und dokumentierte fotografisch dessen Arbeiten.
Die spanische Malerin und Fotografin Remedios Varo war stärker in die KünstlerInnenkreise integriert. In Madrid erstellte sie mit den Avantgarde-Künstlern Óscar Dominguez und Marcel Jean in Madrid Fotocollagen, im Pariser Exil bewegte sie sich in den Kreisen der Surrealisten, mit einigen von ihnen flüchtete sie dann vor den Nazis nach Mexiko. In ihren surrealistischen Malereien behandelte sie neben dem allgegenwärtigen Traum-Motiven auch die Frau und Weiblichkeit, was sich in ihren Fotoarbeiten fortsetzte. Ihre Werke wurden zum "nationalen Kulturgut" Mexikos erklärt und der Filmemacher Luis Buñuel erklärte in seinen Memoiren, dass er Remedios Varo genauso bewundere wie Max Ernst.
Zur Autorin: Patricia Gozalbez Cantó (Dr. phil.), geboren 1975, hat in Osnabrück und Barcelona Kunst/ Kunstpädagogik, Fotojournalismus und Erziehungswissenschaft studiert und promovierte im Feld der pädagogischen Frauen und Geschlechterforschung. Arbeitet seit 2007 als Lehrbeauftragte an der Universität Osnabrück im Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften. Forschungsschwerpunkte: Gender Studies/Diversity und visuelle Medien.
AVIVA-Tipp: Die Forscherin gibt nicht nur einen Überblick über die Bilderwelt der populären Magazine, sondern stellt uns auch Selbstportraits von eher unbekannten Fotografinnen vor, die Weiblichkeit und ihre Repräsentation kritisch und künstlerisch kommentieren. Ein aufschlussreiches Werk über die Inszenierung von Geschlecht, Bildanalyse aus der Perspektive der Frauenforschung und den Aufstieg und Fall des Typus "Neue Frau".
Patricia Gozalbez Cantó
Fotografische Inszenierungen von Weiblichkeit. Massenmediale und künstlerische Frauenbilder der 1920er und 1930er Jahre in Deutschland und Spanien
Transcript Verlag, Reihe Gender Studies, erschienen September 2012
481 Seiten, kartoniert
39,80 Euro
ISBN 978-3-8376-1948-5
Weitere Infos unter:
www.transcript-verlag.de Leseprobe Einleitung (PDF)
www.transcript-verlag.de
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