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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 26.03.2015


Karoline Hille - Hannah Höch. Die zwanziger Jahre: Kunst. Liebe. Freundschaft
Teresa Lunz

Hannah Höch gilt als Hauptvertreterin des Dadaismus und emanzipierte sich doch bewusst von diesem. Der Bildband liefert einen Überblick über die Anfänge einer beispiellosen Frauenkarriere...




... in den "Goldenen Zwanzigern".

Die Kunsthistorikerin Karoline Hill beleuchtet die frühen Jahre des künstlerischen Schaffens Hannah Höchs: Beginnend im Jahr 1918, in dem die 29jährige Hannah und ihr damaliger Lebensgefährte Raoul Hausmann das Prinzip der Montage entdecken, beinhaltet der Bildband die Periode der Weimarer Republik und schließt mit dem Jahr 1933, als Hannah – eben in der internationalen Künstler_innenszene etabliert, nun nach Berlin zurückgekehrt – die Machtergreifung der Nazis und die Einstufung ihres Werks als "entartete Kunst" erleben muss. In 15 chronologisch geordneten Kapiteln, die jeweils ein Kernthema umkreisen, finden sich Abbildungen und fundierte Texte in gleichem Umfang nebeneinander. Es ist eine bewegte und vielschichtige Reise durch den ersten Abschnitt einer Künstlerinnenkarriere vor dem Hintergrund politischer und sozialer Umbrüche und allgegenwärtiger existenzieller Unsicherheit. Dieses Moment der Grenzerfahrung wird an Hannah Höchs Lebenslauf wie auch an ihren Werken deutlich.

Die Kunst lebte sie als leidenschaftliches Abenteuer, als immerwährende Veränderung. Neben der Malerei und Fotografie experimentierte sie mit Holzschnitten, in der Hand- und Bastelarbeit, sogar in der Puppenherstellung. Doch schnell erkannte sie, dass die von ihr mitentwickelte und popularisierte Fotomontage ihr bevorzugtes Medium war: Deren "Reize des Zufälligen" boten unerschöpfliches Potenzial.

Eine Anhängerin Dadas?

Die erste beleuchtete Lebensstation ist die Liebesbeziehung zu dem avantgardistischen Philosophen und Künstler Raoul Hausmann, die trotz Phasen der Verzweiflung aneinander doch Anstoß beider zu künstlerisch hochproduktiven Schaffensphasen war. Durch Hausmanns Einfluss wurde Hannah Teil der dadaistischen Bewegung, deren misogyne Grundhaltung sie bald desillusionierte. Dass sogar ihr Geliebter ihrer Kunst mit Skepsis begegnete, ließ sie zum durch ihre Bilder transportierten Mittel der ironischen Distanz greifen, in dem sie sukzessive wahre Meisterinnenschaft entwickelte. Sie ließ sich fortan von den Dadaisten inspirieren, ohne sich ihnen zu- bzw. unterzuordnen, was ihr Beitritt zur stilpluralistischen "Novembergruppe" im Jahr 1920 zeigt. Auf ihrer den militaristisch gesinnten Reichspräsidenten Ebert verunglimpfenden Fotomontage proklamiert sie wortwörtlich "Schrankenlose Freiheit für H. H.". Ihre vor allem durch die Montage "Schnitt mit dem Küchenmesser" so erfolgreiche Teilnahme an der Ersten Internationalen Dada-Messe wurde behindert. Sie musste dulden, wie verschwiegen wurde, dass sie maßgeblich an der Erfindung der Montagetechnik beteiligt gewesen war. Leiden musste sie auch im Privaten: Raoul Hausmann weigerte sich, seine Ehefrau für sie aufzugeben, weshalb sie die zwei gemeinsamen Kinder abtreiben ließ. Schließlich trennte sich Hausmann 1922 für eine zweite Ehe mit der Künstlerin Hedwig Mankiewitz von ihr. Hannah verarbeitet das Trauma in dem einer Farb- und Gefühlsexplosion gleichkommenden wandfüllenden Gemälde "Frau und Saturn", das auch auf die ihr verwehrte Mutterschaft anspielt.

Ständig in Bewegung

Hannah Höch nutzte die Trennung, um den Bekanntenkreis unter KünstlerInnen und DenkerInnen auszuweiten, als mache sie die Befreiung von der dominanten Gegenwart Raouls noch aktiver, entschlossener. Sie freundete sich mit Kurt Schwitters und Sophie Taeuber an, ihrerseits Wegbereiterin der abstrakten Kunst. "Sie war mit der halben Welt befreundet, und mit der anderen Hälfte bekannt!", sollte die spätere Lebensgefährtin Til Brugman urteilen. Ihre ausgedehnte Parisreise 1924 nutzte Hannah Höch für intensive Beobachtungen der Gesellschaft und folgende subtile Provokationen in Text und Bild: "Liebe, doofe Berliner Hausfrau, auch die geschminkte Pariserin kann eine sehr gute Mutter sein." Sie beginnt, die aufkommenden Strömungen des Bauhaus und der Neuen Sachlichkeit zu rezipieren, schafft auf wenige wesentliche Elemente konzentrierte Collagen mit hoher Signifikanz der einzelnen Komponente, ganz losgelöst von der rebellischen dadaistischen Unordnung. Experimente mit Masken aus dem Ethnographischen Museum verdeutlichen die gleichzeitige Nähe und Ferne der Kulturen und Zeitalter.

Inspirationen und Reisen reihten sich aneinander: Die Inselwelt der Ostsee, Frankreich, Italien, Holland – "Mir liegt mehr daran, meine Lebens- und Arbeitsform immer weiter zu entfalten, zu verändern und zu bereichern", schreibt Hannah. Auf Häuslichkeit und Sesshaftigkeit konnte sie leicht verzichten.

Auf der Suche nach der weiblichen Identität

Mit ihren Fotos lotet Hannah an der eigenen Person akribisch weibliche Seinsformen aus, posiert mal elegant im Stil einer Bohémienne, mal brav mit selbstgefertigten Puppen im Arm, mal lasziv provokant. Sie zeigt Weiblichkeit als Potenzial, das es noch zu ergründen gilt. Die Collage "Die Braut" eröffnet die ironische Vorausdeutung, dass das zu Ehe bereite Mädchen die Versklavung erwarte. "Die starken Männer" nimmt am Beispiel Max Schmelings die männliche Körperkraft und den durch sie erreichbaren Ruhm aufs Korn. "Deutsches Mädchen" begehrt offen gegen den inflationär gebrauchten Begriff der "Neuen Weiblichkeit" auf, indem es eine Vertreterin dieses Konzepts statisch, ohne Hirn, verstört, ohne Schaffensdrang zeigt. Hannah wollte keine elegant flanierende und harmlos provozierende "Hobby-Freigeistin" sein, sondern durch ehrliche Arbeit Anerkennung finden.

Das Buch bietet einen spannenden Querschnitt, der sowohl eine erste Annäherung an Hannah Höchs Kunst ermöglicht, als auch die Systematisierung der Kenntnisse zu ihrer Selbstfindung als Frau und Künstlerin. Ergänzt wird der Band durch ausführliche Angaben zu weiterführender Literatur im Anschluss an jedes Kapitel sowie eine Zeittafel.

Zur Autorin: Karoline Hille lebt als freie Publizistin, Kuratorin und Journalistin in Ludwigshafen am Rhein. Sie studierte in Berlin an der Freien Universität und promovierte 1993 über die Geschichte der Mannheimer Kunsthalle. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen Rezeptionsgeschichte sowie Frauen- und Geschlechterforschung. Bisher verfasste sie zahlreiche Bücher und Aufsätze zur Kunst, Kultur und Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. So setzte sie sich z. B. auch mit Leben und Werk der impressionistischen Malerin Senta Geißler auseinander und schrieb über die Rolle der Frau im Surrealismus. In »Gefährliche Musen« untersucht sie den Einfluss der zahlreichen Frauen im Leben des Malers Max Ernst auf dessen Werk. Um Hannah Höch zentriert ist auch ihre im Jahr 2000 erschienene Biographie "Hannah Höch und Raoul Hausmann". (Quelle: Verlagsinformation)

AVIVA-Tipp: Karoline Hille gelingt nicht nur ein schöner Band über die frühen Jahre in Hannah Höchs Karriere, sondern auch ein lesenswertes Zeitpanorama zur Weimarer Republik, das für jede/n historisch Interessierte/n Relevanz hat. Mehr Zitate von und über Hannah Höch wären wünschenswert gewesen, um den zwischen den Bildseiten sehr dominanten Text noch lebendiger zu gestalten. Allerdings hätte die Autorin dann das Anliegen aufgeben müssen, kompakt auf kaum mehr als einhundert Seiten durch fünfzehn Jahre Lebensgeschichte, Weltgeschichte und hochproduktives Kunstschaffen zu führen.

Karoline Hill
Hannah Höch. Die zwanziger Jahre: Kunst. Liebe. Freundschaft.

Edition Braus, erschienen 16. März 2015
Hardcover, 112 Seiten, 65 Abbildungen
ISBN 978-3-86228-114-5
24,95 EUR
www.editionbraus.de

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Weiterlesen zu Hannah Höch im Web:

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Biographie Hanna Höchs mit weiterführenden Links und Literaturtipps

Hannah Höch gewidmetes Portrait in der "Emma"





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