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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 03.03.2010


Sigrid Metz-Göckel, Dobrochna Kalwa, Senganata Münst - Migration als Ressource. Zur Pendelmigration polnischer Frauen in Privathaushalte der Bundesrepublik
Undine Zimmer

Polnische Pendelmigrantinnen - moderne Sklavinnen oder Ich-AG? Wer ist eigentlich Ihre polnische Haushaltshilfe und warum sich Schwarzarbeit noch immer für Migrantin und ArbeitgeberIn lohnt.




In der globalisierten Welt von heute wird Migration nicht nur als Überlebensstrategie genutzt, sondern auch als Mittel der Selbstverwirklichung. In "Migration als Ressource" ist es den Autorinnen gelungen, diejenigen zu befragen, die in der Öffentlichkeit nicht sichtbar sind und von keiner offiziellen Statistik erfasst werden. In 40 Interviews mit polnischen Pendelmigrantinnen haben polnische und deutsche Forscherinnen gemeinsam untersucht, aus welchen Beweggründen die Frauen ihre Familien zurücklassen und in die Bundesrepublik Deutschland reisen, um illegal zu arbeiten.

Rollenbilder

Die Ergebnisse des Buches basieren auf einem deutsch-polnischen Kooperationsprojekt mit dem Titel "Grenzräume - Zwischenräume. Migration polnischer Frauen ins Ruhrgebiet", das von 2004 bis 2007 durchgeführt wurde. Die Studie zeigt, dass Migration nicht nur eine Frage von Schwarzarbeit in deutschen Haushalten ist. Sie ist vielmehr mit einem neuen Bild der Frau, der Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen in der polnischen Gesellschaft und der Rollenverteilung zwischen ArbeitgeberIn und Arbeitnehmerin verknüpft. Die Ergebnisse der Studie verweisen darauf, dass durch die Migration eine Neudefinition von Emanzipationsprozessen und sozialen Rollen stattfindet. So zum Beispiel, wenn in der Familie der Migrantin die Kinder und der Mann neue Aufgaben in ihrer Abwesenheit übernehmen müssen. Gleichzeitig wird die Migrantin von der finanziell abhängigen Hausfrau zur Versorgerin.

Aufgaben

Die Aufgaben und damit verbundenen Rollen, die die Migrantinnen in deutschen Haushalten am häufigsten annehmen, überraschen wenig: Reinigung, Kinderbetreuung, Betreuung und Pflege von Älteren, Haushälterinnen. Die Kompetenz für diese Aufgaben, wird ad hoc vor Ort angeeignet, oder als Erfahrung aus Familie oder erlerntem Beruf mitgebracht.

Von zwei Seiten gefragt - Polnische versus deutsche Forschung

Das Buch ist in zwei Abschnitte unterteilt. Im ersten Teil werden 20 halbstrukturierte Interviews mit in Polen lebenden Migrantinnen, im zweiten Teil 20 halbstrukturierte Interviews mit polnischen Migrantinnen, die im Ruhrgebiet arbeiten, ausgewertet. Zur Interpretation der Interviews wurde eine neue Methode verwendet, die es ermöglichte, die Interviews sowohl aus der Sicht der Forscherinnen, als auch der Migrantinnen zu analysieren.
Sehr positiv erwähnt werden muss die Gegenüberstellung deutscher und polnischer Forschungsansätze zur Migrationsthematik. So steht vor der Auswertung der Interviews jeweils eine kritische Einführung zum deutschen und polnischen Forschungskontext der Studie. Zum Beispiel wird an polnischer Migrationsforschung die Reproduktion familiärer Strukturen in der traditionellen Genderordnung kritisiert.

Der Haushalt als Strukturmerkmal

Methodisch baut der Forschungsansatz auf interdisziplinäre und intersektionale Ansätze der Migrationsforschung auf und kombiniert sie mit Netzwerkforschung. Der Haushalt als Untersuchungseinheit bekommt eine besondere Gewichtung. Er gilt nicht nur als Kontext zur persönlichen Erfahrung der Migrantin, sondern als die kleinste gesellschaftliche Zelle der Ankunftsgesellschaft, in der sich die kategorialen Mitgliedschaften Geschlecht, Ethnie und Klasse verschränken und untersuchen lassen.

Politische Rahmenbedingungen

Sowohl auf deutscher als auch auf polnischer Seite sind bestimmte Voraussetzungen zur Migration der Polinnen relevant. So hat Polens Beitritt zur EU 2004 die Migration wesentlich vereinfacht. Durch die wegfallenden Kontrollen an der Grenze, Abschaffung der Visumspflicht und dem freien Zutritt zum europäischen Arbeitsmarkt wird der Fahrtweg für die Polinnen kürzer und die Organisation ihrer Arbeit leichter. Auf der Seite der Bundesrepublik ist eine unausgesprochene Duldung der Migrantinnen als Schwarzarbeiterinnen vorhanden. Die Migrantinnen füllen die Bedürfnisse in Deutschen Haushalten, dort wo das Sozialsystem Deutschlands die Kleinkind- und Altenbetreuung nicht ausreichend unterstützt. Die Migrantinnen und die Angestellten des deutschen Staates arbeiten in stillem Einverständnis, so gehören zum Beispiel PolizistInnen ebenfalls zu den ArbeitgeberInnen der Migrantinnen.
Daraus resultiert eine Win-win-Situation für Haushalte und Migrantinnen. Problem bleibt die Unsichtbarkeit der Migrantinnen. Sie sind in keiner Statistik erfasst und werden als öffentliches Geheimnis zur kostengünstigen Bedarfslösung.

Motivation zur Migration

In den Interviews bekommt die Familie als Motivationskraft für die Migration eine starke Gewichtung. Oftmals wird die Entscheidung für die Migration von der Frau mit der Familie zusammen getroffen, so etwa, wenn es um die Sicherung des Lebensstandards, die Unterstützung der Kinder, Projekte im Haus oder besondere Anschaffungen, die finanziert werden sollen, geht.

AVIVA-Tipp: Die Studie demonstriert anschaulich, welche Fragestellungen im Zusammenhang mit moderner Migrationsforschung auftauchen. Migrantinnen in Privathaushalten sind in der Forschung nur schwer zu erfassen, da diese sich größtenteils auf Daten stützt, die von staatlichen Institutionen erhoben werden. Die Migrantinnen selbst sind nur selten und nach Garantie der Anonymität zu Angaben bereit. Die Autorinnen bereichern mit ihrem Ansatz die moderne Migrationforschung. Lesenswert und anregend, nicht nur für die Forschung.

Zu den Autorinnen:

Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel
, TU-Dortmund.
Dr. A. Senganata Münst, Pädagogische Hochschule Freiburg und Wissenschaftliches Institut des Jugendhilfswerks Freiburg e.V.
Dr. Dobrochna Kalwa, Jagiellonen-Universität in Krakau.

Sigrid Metz-Göckel, Dobrochna Kalwa, Senganata Münst
Migration als Ressource: Zur Pendelmigration polnischer Frauen in Privathaushalte der Bundesrepublik

Verlag Barbara Budrich, 1. Auflage, Dezember 2009
Broschiert: 366 Seiten
ISBN-13: 978-3866492738
29,90 Euro

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Undine Zimmer