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Beitrag vom 16.08.2015
Eva Illouz - Israel. Soziologische Essays
Lisa Sophie Kämmer
In ihrer Essay-Sammlung zeichnet die renommierte Soziologin Eva Illouz ein beunruhigendes Bild von der israelischen Gesellschaft. Ihre Kritik an der wachsenden Ungleichheit im Land,...
... die arabische Israelis, aber auch misrachische Jüdinnen und Juden in ihren Staatsbürger_innenrechten diskriminiert, appelliert an die universalen Menschenrechte und das säkulare Erbe des modernen Zionismus. Eine eindringliche Gesellschaftsstudie einer linken Zionistin, die aus Liebe zu ihrer Heimat dieser einen Spiegel vorhält.
Kritik einer jüdischen Intellektuellen
In seinem "Verrat der Intellektuellen" von 1927 forderte der französische Philosoph Julien Bendas, die Intellektuellen sollten zur Verbürgung ihrer moralischen Integrität Distanz zur eigenen nationalen Gruppe wahren. Um im Geiste der universalen Menschenrechte Kritik an sozialen Missständen frei üben zu können, müsse folglich auch das Handeln der eigenen Gruppe möglichst objektiv an den moralischen Standards der Zeit gemessen werden.
Bendas´ Diktum von einer offenen, multiperspektivischen Wertung fühlt sich auch die israelische Soziologin Eva Illouz in ihren Essays verpflichtet. In den 14 Artikeln, die zwischen 2011 und 2014 in der linken Tageszeitung Haaretz erschienen sind und die bis auf drei nun erstmals außerhalb Israels veröffentlicht werden, übt sie scharfe Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in ihrer Heimat.
Das Erbe des modernen Zionismus gilt es zu wahren
Die kritischen Betrachtungen von Illouz, die seit Jahren zu den prominentesten Stimmen innerhalb der politischen Debatte in Israel gehört, unterscheidet sich dabei wohltuend von der anti-zionistischen Polemik einer Judith Butler oder Shlomo Sand. Im Gegensatz zu ihnen stellt Illouz das Existenzrecht Israels und die moralische Legitimität des Zionismus zu keiner Zeit in Frage. Sie selbst definiert sich als linke Zionistin, die davon überzeugt ist, das jüdische Volk habe wie kein zweites das Anrecht auf einen eigenen Staat. Dass sich das zionistische Projekt von seinem säkularen, liberal-demokratischen Erbe vor allem in den letzten 20 Jahren entfernt hat, stellt für Illouz eine existenzielle Gefahr dar. Sollte die israelische Politik – so ihre Diagnose – weiterhin einzelne Minderheiten von der vollen politischen Teilhabe ausgrenzen, während Ultraorthodoxe einseitig Privilegien genössen, die ihnen eine Führungselite männlicher Aschkenasen gewährt, so wird Israel ein in seinem Innern fragiler Staat bleiben, dessen außenpolitische Isolation wachsen wird.
Eine neue Identität: israelisch statt jüdisch
Illouz plädiert daher für nichts weniger als eine "Erneuerung der jüdischen Existenz". Darunter versteht sie, dass der israelische Staat allen gesellschaftlichen Gruppen gleiche Rechte und Pflichten zuteilwerden lassen muss, wodurch einer israelischen anstelle einer exklusiv jüdischen Identität der Weg bereitet würde. Diese sei für ein friedliches Zusammenleben unabkömmlich, da nur so die muslimische Minderheit, die gegenwärtig etwa 20 Prozent der Bevölkerung stellt, an den Staat gebunden werden könne. Das loyalitätsstiftende Band dieser neuen Gemeinschaft, die mit der Gesetzesinitiative von 2014, den jüdischen Charakter des Staates im Grundgesetz festzuschreiben (Leom-Gesetz), unvereinbar ist, bilden somit die Menschenrechte.
Für Illouz – in Frankreich aufgewachsen und sich mit Stolz immer wieder auf das republikanische Erbe von 1789 beziehend – sind sie das Leitmotiv ihrer Argumentation. In diesem Sinne sei es künftig an den Jüdinnen und Juden, liberale Staatsbürger_innenrechte in Israel für alle gleichermaßen durchzusetzen, hatten sie doch selbst noch vor wenigen Jahrhunderten in der Diaspora für diese zu kämpfen.
Am Ende wird die Linke siegen?
Das eindringliche Plädoyer von Illouz, das sich durch analytische Schärfe und eine ausgeprägte Beobachtungsgabe auszeichnet, übergeht allerdings eine Kritik, die für die Zukunft Israels nicht weniger fruchtbar wäre: die an der israelischen Linken.
So nimmt die Autorin, die sich selbst als links bezeichnet, keinen näheren Bezug auf das anhaltende Unvermögen linker Parteien und Gruppen, die Bevölkerung im gemeinsamen Protest gegen soziale Ungerechtigkeit und die Verletzung von Menschenrechten zu mobilisieren. Auch unterschlägt sie in ihrer Kritik an der Diskriminierung afrikanischer und arabischer Juden, der Mizrachim, dass es Politiker_iInnen der sozialdemokratischen Mapai waren, die die gesellschaftliche Führungsrolle der Aschkenasen nach 1948 ausbauten und damit den Ausschluss anderer Gruppen von der politischen Repräsentation des Landes beförderten.
Zur Autorin: Eva Illouz geboren 1961 in Fes (Marokko), ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Als sie zehn Jahre alt war, wanderte ihre Familie nach Frankreich aus. In Sarcelles besuchte Illouz, die in einem jüdisch-orthodoxen Milieu aufwuchs, das Gymnasium und wechselte später an die Universität Paris Nanterre. Dort studierte sie Soziologie, Kommunikations- und Literaturwissenschaften. 1991 promovierte sie an der University of Pennsylvania in den Fächern Kommunikationswissenschaften und Cultural Studies.
Nach ihrer Promotion ging Illouz nach Israel, wo sie bis heute lebt und unterrichtet. Ihre Religiosität gab sie – erschüttert vor allem angesichts des Attentats auf Jitzhak Rabin durch einen jüdischen Ultraorthodoxen – kurz nach ihrer Einwanderung auf.
Sie ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität in Jerusalem sowie seit 2012 erste weibliche Präsidentin der Jerusalemer Bezalel Academy of Arts and Design. In ihren Untersuchungen widmet sie sich vor allem dem Einfluss des Kapitalismus und der modernen Massenmedien auf das menschliche Gefühlsleben. Zu ihren bekanntesten Veröffentlichungen zählen "Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus" (2003), "Die Errettung der modernen Seele. Therapien, Gefühle und die Kultur der Selbsthilfe" (2009) sowie "Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung" (2011).
Neben diversen wissenschaftlichen Aufsätzen und Monografien, die in 15 Sprachen übersetzt wurden, schreibt Illouz regelmäßig für die linke israelische Zeitung Haaretz. Ihre Artikel nehmen dabei kritisch Stellung zur Tagespolitik in Israel.
Die Zeitschrift Die Zeit wählte sie 2009 in eine Reihe von zwölf Intellektuellen, die voraussichtlich das Denken unserer Zeit verändern werden.
AVIVA-Tipp: Die Essays vermitteln der Leserin intime Einblicke in die Sozialstruktur der israelischen Gesellschaft, die angesichts der jüngsten Übergriffe von jüdischen Extremisten sowie der wachsenden außenpolitischen Isolation Israels von großer Aktualität und Relevanz sind. Illouz´ Kritik an den gesellschaftlichen und politischen Missverhältnissen in ihrer Heimat, die sie durch die Etablierung eines liberal-demokratischen Staates basierend auf den egalitären Werten von 1789 überwunden wissen will, vermag vor allem deshalb zu überzeugen, weil aus ihr eine bekennende Anhängerin des Zionismus spricht. Ihre scharfsinnige Bestandsaufnahme, die sie mit klassischen Theoretikern wie Michel Foucault oder John Stuart Mill analytisch untermauert, ist kein polemisches Israel-Bashing.
Es ist die weitsichtige Kritik einer aufgeklärten israelischen Staatsbürgerin, die ihrer Heimat tief verbunden ist und sich gerade deswegen dazu veranlasst sieht, politische Veränderungen mit Blick auf ein gerechteres, zukunftsfähiges Zusammenleben einzufordern.
Eva Illouz
Israel. Soziologische Essays
Aus dem Englischen von Michael Adrian
Suhrkamp Verlag Berlin, erschienen am 09.05.2015
edition suhrkamp, Broschur, 229 Seiten
ISBN 978-3-518-12683-7
18,00 Euro
www.suhrkamp.de
Weitere Infos unter:
www.haaretz.com Artikel von Eva Illouz in der englischen Online-Ausgabe der israelischen Tageszeitung Haaretz
www.spiegel.de "Wir sind abgestumpft" - Interview mit Eva Illouz über Israel und den Gaza-Konflikt 2014, DER SPIEGEL 32/2014
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