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Beitrag vom 31.10.2018
Abi Andrews - Wildnis ist ein weibliches Wort. Verlosung
Bärbel Gerdes
Die "Wildnis" ist ein von Männern besetzter Ort, an dem Frauen nichts zu suchen haben. Die britische Schriftstellerin Abi Andrews stellt das in ihrem bahnbrechenden Debütroman in Frage. Ihre 19jährige feministische Protagonistin Erin rechnet ab mit den "Mountain Men" und begibt sich auf eine Reise von Großbritannien bis nach Alaska. AVIVA verlost 2 Bücher
Nature Writing ist eine Männerdomäne. Robert MacFarlane, Roger Deakin, Barry Lopez sind die gegenwärtigen, unter die sich mal eine Annie Dillard mischt. Die vergangenen heißen Henry David Thoreau, Ralph Waldo Emerson, John Muir oder Richard Jefferies. Die meisten ihrer Schriften machen klar, dass Frauen dort draußen nicht hingehören.
Eine moderne Variante des Abenteurers ist Chris McCandless, dessen Leben durch den Jon Krakauer Roman und dessen Verfilmung Into the Wild berühmt wurde. Er reiste nach Alaska, um seinen Jack-London-Traum wahr zu machen – und vergiftete sich an Wildkartoffeln.
Erin sah sich diesen Film an und war so fasziniert davon, dass sie beschloss, ein Sparkonto für eine Reise nach Alaska anzulegen, wo sie ebenfalls allein und abgeschieden leben wollte. Doch, hoppla, da war doch noch was: welche Unterschiede [hätte] es gegeben … , wenn der junge Mann eine junge Frau gewesen wäre? Der Film wäre ein vollkommen anderer gewesen, ist sich Erin sicher, und zwar auf grundlegendere Ebene, weil ein Mädchen, das der modernen Gesellschaft den Rücken kehrt und mir nichts, dir nichts in die Wildnis verschwindet, um dort von selbst erlegten kleinen Tieren und Wildpflanzen zu überleben, bloß als verstörend wahrgenommen würde.
Erin macht sich auf den Weg. Von England soll es über Island und Grönland nach Kanada und schließlich nach Alaska gehen. Sie will ihre Kamera mitnehmen, um alles zu dokumentieren und daraus einen Film aus weiblicher feministischer Sicht zu machen. Und sie will Authentizität finden. Auch dies ein Grund, weshalb sie die Reise mit dem Flugzeug ablehnt.
Zunächst wird jedoch das weibliche Terrain erkundet. In einer postfeministischen Gesellschaft hat fast jedes Mädchen, jede Frau sexualisierte Gewalt erfahren, körperlich und/oder verbal. Allein die Möglichkeit verengt den Bewegungsraum von Frauen.
Frauen werden auf viele Weisen mit Ausschluss konfrontiert. Die Ich-Erzählerin berichtet über das Mercury 13 Programm, bei dem erfahrene Pilotinnen in den 1960ger Jahren die gleichen Tests wie NASA-Astronauten durchliefen. Der Test verlief erfolgreich. Damit aber nicht eine Frau als erster Mensch den Mond betrat, bekräftigte die NASA, nur Air-Force-Mitglieder könnten am Raumfahrprogramm teilnehmen. Dumm gelaufen für die Frauen, denn denen war in dieser Zeit der Zutritt zum Militär verwehrt.
Ein Dokumentarfilm über Robert Falcon Scotts Antarktisexpedition beginnt mit den Worten König Georg V, er wünsche, dass jeder englische Knabe diesen Film sehen könnte, um in ihm den Abenteuergeist zu wecken. Bei diesen Expeditionen ging es nicht um Neugier oder Abenteuerlust, sondern um Kolonialismus und Inbesitznahme. Männer lieben es einfach, ihre Flagge irgendwo reinzustecken.... Wie Tiere, die ihr Territorium markieren, indem sie an Dinge pinkeln.
Eine stete Begleiterin von Erin ist Rachel Carson, deren Buch Der stumme Frühling dazu führte, dass das Insektizid DDT vom Markt genommen wurde. Auch Carsons zahlreiche Bücher gehören zum Nature Writing. In ihnen geht es vor allem um die Darstellung der Schönheit und der biologischen Vielfalt der Natur und deren Bedrohung durch die Menschheit.
Abi Andrews Roman und Reisebeschreibung ist packend und so dicht erzählt, dass es kaum vorstellbar ist, die Autorin habe diese Reise nicht selbst unternommen. Sie sei zwar schon viel alleine gereist, berichtet sie in einem Interview auf dem Blog readthemuse, doch sei sie sich nicht sicher, ob sie den Mut hätte, alleine in einer Hütte in der Weite Alaskas zu leben. So ersetzte eine gründliche Recherche die reale Erfahrung. Erin sei nicht sie selbst, betont sie, aber die Themen, die im Buch vorgestellt werden, sind sicherlich die, die für sie wichtig seien.
Mit einer erstaunlichen Leichtigkeit verwebt Andrews Inhalte in ihren Roman, die kleine Essays sein könnten. Egal, ob es um die durch den Klimawandel veränderten Lebensweisen der Inuit geht oder um den Una-Bomber Ted Kaczynski, der sich in eine Selbstversorger Hütte zurückzog und von dort Briefbomben verschickte, um der Technisierung der Welt Einhalt zu gebieten, Andrews reflektiert immer aus feministischer Sicht.
Den Sylvia Plaths Tagebuch entnommenen Ausruf "Ich möchte auf offenem Feld schlafen, nach Westen ziehen und nachts frei herumlaufen können", teilt Erin und wird doch auf ihrer Reise beständig daran erinnert, dass dies einer Frau nicht zusteht. Es sind nicht nur die tatsächlichen männlichen Bedrohungen und Angriffe oder die herablassenden Einladungen zu einem Getränk, denen sie auf ihrer Reise ausgesetzt ist, es ist vor allem, wie ihr gespiegelt wird, dass ein solches Unterfangen lebensgefährlich sei für eine Frau. Fast alle Männer, denen sie begegnet, sorgen sich um sie, geben ihr Tipps und Ratschläge oder raten ihr ganz ab. Das führt dazu, "dass ich mich einen Moment lang wirklich allein und verletzlich fühlte, als hätte ich mich in sein Bild von mir verwandelt."
Ein authentisches Sein ist so nicht möglich. Fast ist sie in einem Double Bind gefangen, denn Erin kämpft mit sich selbst, geht über ihre Grenzen und hat Angst zu bestätigen, was Andere im Voraus zu wissen meinen. Ist ihr Abenteuer nun authentisch oder eine Imitation?
Großartig sind die Beschreibungen ihres Lebens in der Hütte in Alaska, die Schwierigkeiten beim Töten von Tieren und die Begegnungen mit ihnen.
AVIVA-Tipp: Die Leserin verfolgt gespannt Erins Reise und ihre mäandernden Gedankengänge, die manchmal flappsig, manchmal wissenschaftlich gekleidet sind. Es ist dieses Verlaufende, was den Roman deutlich und angenehm von den Büchern männlicher Autoren abhebt. Abi Andrews hat einen allumfassenden Blick auf die Welt, insbesondere die von Frauen. Alles hängt mit allem zusammen. Das Patriarchat wirkt sich auf das gesamte weibliche Leben aus.
Zur Autorin: Abi Andrews wurde 1991 in den Midlands, Großbritannien, geboren und studierte Englische Literatur und Kreatives Schreiben an der Londoner Goldsmith Universität und veröffentlichte ihre Erzählungen in zahlreichen Zeitschriften. The Word for Woman is Wilderness (2018) ist ihr erster Roman. Andrews lebt und arbeitet in London.
Mehr Infos: twitter.com/abiandrews
Zur Übersetzerin: Mayela Gerhardt studierte Literaturübersetzen in Düsseldorf und London. Sie übersetzt aus dem Englischen, Spanischen und Französischen. Sie lebt in Barcelona.
Abi Andrews
Wildnis ist ein weibliches Wort
Originaltitel: The Word for Woman is Wilderness
Aus dem Englischen von Mayela Gerhardt
Hoffmann und Campe Verlag, erschienen am 4.10.2018
400 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-455-00418-2
22,00 Euro
Mehr zum Buch unter: www.hoffmann-und-campe.de
AVIVA-Berlin verlost 2 Bücher. Bitte beantworten Sie dazu folgende Frage. Warum hat nicht eine Frau als erster Mensch den Mond betreten? Senden Sie uns Ihre Antwort bis zum 30.12.2018 per Email an folgende Adresse: info@aviva-berlin.de
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