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Beitrag vom 17.01.2020
Louise Erdrich – Die Wunder von Little No Horse. Verlosung
Bärbel Gerdes
In ihrem endlich auf Deutsch erschienenen Roman verschwimmen nicht nur die Grenzen unterschiedlicher Kulturen und Religionen, auch Geschlechtergrenzen werden überschritten und lösen sich auf. Die Lebensgeschichte der Agnes DeWitt alias Schwester Cecilia alias Father Damien ist ein mitreißendes Werk großer Erzählkunst. AVIVA-Berlin verlost 2 Bücher
Louise Erdrich, die 1954 als Tochter einer Chipewa-Frau (halb französisch, halb Ojibwe) und eines Deutsch-Amerikaners geboren wurde, wuchs zwar nicht in einem Reservat auf, doch war sie dort häufig zu Besuch. Sie lernte die Sprache der Ojibwe, die in fast jedem ihrer Werke Eingang findet. Bereits als Kind wurden sie und ihre sechs Geschwister dazu angeregt, Geschichten zu erzählen und aufzuschreiben.
Diese Erzählfreude findet sich in jedem ihrer Werke, seien es Kinderbücher, Romane für Erwachsene oder auch Gedichte. Erdrich ist eine fantasievolle und begnadete Erzählerin. Jede noch so abstruse Idee, jede noch so fantastische Sentenz beschreibt sie mit einer solch überzeugenden Wahrhaftigkeit, dass die Leserin ihr blindlings vertraut und sich durch fremde Landschaften und fremde Kulturen führen lässt, die sich dann als doch nicht so fremd, sondern als allzu menschlich herausstellen.
So ist es auch in ihrem bereits 2001 erschienenen Roman The Last Report on the Miracles at Little No Horse, einem Schelmenroman allererster Güte, der von Gesine Schröder glänzend übersetzt wurde. Durch Umstände, die Zufall oder höhere Weisung sein können, wird aus Agnes DeWitt die durch Chopin in Ekstase zu versetzende Schwester Cecilia und auf Umwegen über leidenschaftliche Liebe, Mord und eine große Flut der Priester Father Damien Modeste, die zu Beginn des Romans seit Jahrzehnten in einem IndianerInnenreservat wirkt, um zu bekehren und Trost zu spenden.
1912 ist er im Ozhibi´iganan-Reservat angekommen, wo es nichts gibt: keinen Strom, keine Gebäude, nur Kälte und Holzhütten. Dazu einige Ojibwe-IndianerInnen.
Mit den Jahren sieht Father Damien immer klarer, wie die UreinwohnerInnen von den Weißen gemordet, um ihr Land betrogen und durch Alkohol gefügig gemacht wurden und werden. Durch ihr gemeinsames Leben mit der indianischen Bevölkerung verschwimmen immer stärker die Grenzen seines Glaubens mit dem Glauben und den Ritualen derjenigen, die sie überzeugen soll.
Immer stärker verschwimmt aber auch, wer Father Damien eigentlich ist. Sie versteckt ihre Identität als Frau, sie weiß, dass sie als Priesterin niemals an diesem Ort wäre. Sie ist durchaus leidenschaftlich dem anderen Geschlecht zugetan.
Großartig beschreibt Erdrich dieses Fließende, Schwebende, das sich mehr und mehr auflöst.
Täglich sendet Father Damien seine Berichte an den Vatikan – und erhält nie eine Antwort.
1996 erscheint ein junger Priester. Er will nachweisen, dass eine bestimmte Nonne heiliggesprochen werden müsste – eine zweifelhafte Sache. Dieser Besuch führt jedoch dazu, dass Father Damien ihre wahre Identität noch stärker schützen muss.
Louise Erdrichs Romane, sei es der Auswanderungsepos Der Club der singenden Metzger, das apokalyptische Der Gott am Ende der Straße oder der Coming-of-Age Roman Das Haus des Windes fesseln durch ihre Unmittelbarkeit und ihre Präzision. Erdrich wurde kritisiert, weil ihre lyrische bildhafte Sprache die Gräuel und den Völkermord der Weißen an die UreinwohnerInnen glätten und zu indirekt thematisieren würde. Doch wenn frau beispielsweise im Haus des Windes von den Vergewaltigungen an indianischen Frauen durch weiße Männer liest, wenn sie, wie im vorliegenden Roman, von der Auslöschung einzelner Familien erfährt und von Flucht in Alkohol und Rausch, bedarf es keiner expliziten Benennungen dieser Taten.
AVIVA-Tipp: Louise Erdrich zu lesen ist ein Eintauchen in große Literatur, die sowohl die hellen und humorvollen Töne bespielt, als auch die dunklen und verzweifelten. Es ist ein großer Lesespaß, ja, ein Leseabenteuer. Mit Agnes DeWitt / Schwester Cecilia / Father Damien hat Erdrich eine bemerkenswerte, vor allem grenzüberschreitende Gestalt geschaffen.
Zur Autorin: Louise Erdrich wurde 1954 in Minnesota als Tochter einer Indianerin und eines Deutsch-Amerikaners geboren. Von 1972 bis 1976 besuchte sie das Dartmouth College in New Hampshire. Anschließend studierte sie Anthropologie an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore. 1979 erlangte sie einen Master of Arts in Writing Seminars. Louise Erdrich schreibt Kinderbücher, Lyrik und Romane und wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter 2012 den National Book Award for Ficition für The Round House (dt. Das Haus des Windes und 2016 mit dem National Books Critics Circle Award for Fiction für LaRose (dt. Ein Lied für die Geister). In Minneapolis ist sie Inhaberin einer unabhängigen Buchhandlung.
Mehr Infos zu Louise Erdrich auf ihrem Blog: birchbarkbooks.com/blog und auf ihrer Facebook-Seite: www.facebook.com/louiseerdrichauthor
Zur Übersetzerin: Gesine Schröder, 1976 geboren, studierte Literaturwissenschaften in Kiel und Berlin. Unter anderem übersetzte sie Vicki Baum, Jennifer duBois, Brian Morton und Louise Erdrich. Mehrmals wurde sie mit Stipendien vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert. Gesine Schröder lebt als freie Übersetzerin in Berlin.
Louise Erdrich
Die Wunder von Little No Horse
Originaltitel: The Last Report on the Miracles at Little No Horse (2001)
Aufbau Verlag, erschienen im November 2019
509 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-351-03786-4
24,00 €
Mehr zum Buch: www.aufbau-verlag.de
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