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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 21.10.2010


Thea Dorn - Ach, Harmonistan. Verlosung
Britta Meyer

Ist Deutschland auf dem Weg zum "Kindergarten State", in dem die BürgerInnen sich willig entmündigen lassen, bevor sie sich die Mühe ...AVIVA verlost 5 Bücher




... machen, für sich selbst zu denken und eigenverantwortliche Entscheidungen nicht nur zu treffen, sondern dieses dann auch gegen Kritik zu verteidigen? Willkommen in Harmonistan, Streiten unerwünscht. Als bekennende "Fundamentalistin der Aufklärung" liefert Thea Dorn Analysen eines Landes, in dem der Rasen immer noch höchst ungern betreten wird.

Deutschland dümpelt vor sich hin. Thea Dorn regt sich auf. Was sie in ihren 28 Essays Deutschland vorwirft, ist eine generelle Drückebergerei. Vor Entscheidungen, vor klaren Positionierungen, vor Verantwortung der/des Eigenen für sich selbst und vor allem vor Konflikten. Hierbei unterscheidet sie deutlich zwischen "Zank" und "Streit". Zank, so Dorn, ist der rechthaberische und kleinliche Kampf um Nichtigkeiten. Streit dagegen ist eine offene und engagierte Auseinandersetzung um Grundsatzfragen. Laut Dorn bringt Zank niemanden weiter, sondern wirft jede Debatte im Gegenteil eher zurück, bevor sie ernsthaft werden kann.

Streit aber ist notwendig, sich um wichtige Themen zu streiten ist produktiv und ehrenwert. In Deutschland, schreibt nun Thea Dorn, wird jede Menge gezankt aber kaum je gestritten. Dabei gibt es so viele Dinge um die es sich zu streiten lohnt, wie sie in ihren erfrischend angriffslustigen Texten demonstriert. Dorn erkennt den Beta-Löwen in Jürgen Möllemann, den frauenfürchtenden Hysteriker in Wagner, rechnet mit halbherzigen TabubrecherInnen ab und bedauert zutiefst die vom allgegenwärtigen Gender-Mainstreaming in ihren Karrieren behinderten Männer.

"Die rasanten Aufstiegsgeschichten von Putzfrauen, Krankenschwestern und Fußpflegerinnen müssen sich in einem Paralleluniversum abspielen, in das mein Raumschiff bislang noch nicht vorgestoßen ist."

Sie übt enttäuschte Kritik an der von ihr vor wenigen Jahren noch leidenschaftlich unterstützten Angela Merkel, wirft der deutschen Generation unter 40 in den Fragen des Lebens und der Politik eine indifferente Unentschlossenheit vor und plädiert nachdrücklich dafür, dass "ein unaufgeregtes Denken kein leidenschaftsloses zu sein braucht". Dabei positioniert sie sich mehr als einmal an unbequemen Orten politischer Debatten und macht sich – wie es sich für eine faire Streiterin gehört - damit auch kritisier- und angreifbar. Wenn sie das Bild eines aufgeklärten, zivilisierten "Westens" beschwört, der seine Ideale und Rechte gegen AggressorInnen von außen zu verteidigen hat, dann wendet sie sich scharf gegen einen unreflektierten Pazifismus, der zwar den Frieden auf Erden will, aber keinen Plan hat, wie dies zu bewerkstelligen sei.

Den homogenen Westen gibt es jedoch genauso wenig, wie den einheitlichen Feminismus – was gerade Dorn in "Die neue F-Klasse" eindrucksvoll dargestellt hat. Und auch im Westen ist nicht alles Gold, was glänzt. Dorns entschiedene Positionierung gegen eine kulturelle Relativierung islamistisch motivierter Verbrechen an Frauen (und an Theo van Gogh) ist ehrenwert, aber die mit der Islamismusdebatte einhergehende Vereinnahmung feministischer Bestrebungen durch xenophobe und im Grunde auch misogyne Konservative thematisiert sie dabei nicht.

Raus aus Harmonistan

Werden konfliktgeladene Thematiken in Deutschland tatsächlich so ängstlich umschlichen, wie Thea Dorn es darstellt? Dorns Essays werden in den Medien in einem Atemzug mit dem Mitte 2010 erschienenen biologistisch begründeten neoliberalen Wahnwitz eines realitätsfernen Bankers genannt. Dieser wurde von weiten Teilen der Bevölkerung für seinen Mut gewürdigt, endlich unangenehme "Tatsachen" auszusprechen, welche die Tyrannei der politischen Korrektheit zu unterdrücken versuche. Der Dornsche Vorwurf des allzu zimperlichen Vermeidens all dessen, was in Deutschland ein Konfliktthema sein könnte, lässt an eben diese reaktionären Argumentationen denken. Aber zugegebenermaßen: Immerhin wurde sich 2010 dann auch ordentlich gestritten. Und Dorns Buch verdient bessere Werke, mit denen es verglichen werden kann.

AVIVA-Tipp: Dorn argumentiert in ihren Ausführungen scharf und eloquent, sie regt zum Denken und zum Widerspruch an. "Ach, Harmonistan" wurde vor den Protesten gegen Stuttgart 21 geschrieben. Aber auch während Dorn "Deutschland die Leviten" las, stritten sich hierzulande schon Menschen über Atomenergie und G8. Dorn hält nichts von Protesten gegen Globalisierung und Neoliberalismus und sie legt überzeugend und deutlich dar, warum sie dies nicht tut. Das ändert jedoch nichts an dem ehrlichen und leidenschaftlichen Engagement deutscher BürgerInnen, die sich in Gorleben, Heiligendamm, Tôyako und L`Aquila für Werte und Ideale einsetzen, die ihnen wichtig sind. Sie dümpeln weder unentschlossen vor sich hin, noch lassen sie sich von "Mutti Staat die Butterstulle schmieren".
Sie streiten sich durchaus, Frau Dorn. Nur sind sie nicht immer Ihrer Meinung.

Zur Autorin: Thea Dorn, 1970 geboren, eigentlich Christiane Scherer, ist Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin. Nach dem Studium der Philosophie und Theaterwissenschaften in Frankfurt am Main und in Berlin arbeitete sie als Dramaturgin und Autorin am Niedersächsischen Staatstheater Hannover. Ihren Künstlerinnennamen wählte sie in Anspielung auf den von ihr nicht sehr geschätzten Philosophen Theodor W. Adorno. 1994 erschien ihr erster Roman, "Berliner Aufklärung", der großes Aufsehen erregte und für den sie den Marlowe-Preis erhielt. Weitere Kriminalromane folgten, unter Anderem "Die Hirnkönigin", für den sie im Jahr 2000 den Deutschen Krimi Preis erhielt. 2000 folgte das viel beachtete Theaterstück "Marleni", 2003 das Tatort-Drehbuch "Der schwarze Troll". 2004 erschien "Die Brut". Zuletzt erschien von ihr "Die neue F-Klasse. Wie die Zukunft von Frauen gemacht wird". Seit Oktober 2004 führt sie die Sendung "Literatur im Foyer". Thea Dorn lebt als freie Autorin in Berlin. Weitere Infos und Kontakt: www.theadorn.de


AVIVA-Berlin verlost 5 Bücher. Bitte nennen Sie uns den Namen der von Dorn in dem Sammelband "Queer Crime" veröffentlichten Kurzgeschichte und senden bis zum 15.11.2010 eine Email an folgende Adresse: info@aviva-berlin.de


Thea Dorn
Ach, Harmonistan. Deutsche Zustände

Knaus Verlag, erschienen September 2010
Gebunden, 256 Seiten
ISBN: 978-3-8135-0384-5
19,99,- Euro

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Die neue F-Klasse

Thea Dorn & Ulrike Haage: Bombsong

Thea Dorn. Mädchenmörder

Die Brut. Thea Dorn

Queer Crime

Interview mit Thea Dorn (2002)

Einführung in die Feminismuskunde



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Beitrag vom 21.10.2010

Britta Meyer