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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 25.02.2011


Natasha Walter - Living Dolls. Warum junge Frauen heute lieber schön als schlau sein wollen. Verlosung
Kristina Auer

Die britische Feministin Natasha Walter sieht keinen Grund zum Optimismus: Sie ist der Meinung, der Sexismus befinde sich in unserer ... AVIVA verlost 3 Bücher




... Gesellschaft wieder auf dem Vormarsch. Auf ihrer Lesung in der Berliner Urania am 16. Februar 2011 sprach sie über die Thesen, die sie in ihrem neuen Buch vertritt.

"Ich dachte, der Streit um die Gleichheit zwischen Männern und Frauen wäre schon längst gewonnen", erzählte Natasha Walter vor einem interessierten Publikum.
Dieser Meinung war sie auch, als sie im Jahr 1998 ihr erstes Buch "The New Feminism" veröffentlichte, in dem sie argumentierte, dass die Ansichten der Feministinnen nun von der Mehrzahl der Bevölkerung geteilt würden und die Frauenbewegung sich endlich neuen Aufgaben widmen könne.

Doch als vor zehn Jahren Walters Tochter Clara zur Welt kam, prallte der jungen Mutter, die selbst eine feministische Erziehung genossen hatte, in den Mädchenabteilungen der Spielwarenläden eine knallpinke Welt entgegen, die unter anderem ein "rosa Nagelstudio, [...] einen rosa Boutique-Stand mit Ohrringen und Halsketten sowie Puppen [...] mit allem möglichen Zubehör, unter anderem mit einem rosa Maniküre-Schlafzimmer und einem rosa Empfangssalon" anbot.
Walter musste sich eingestehen, dass sie sich geirrt hatte: Die Spielräume von Weiblichkeit hatten sich nicht durch die Errungenschaften der Frauenbewegung stetig erweitert. Stattdessen erhielt Walter immer mehr den Eindruck, dass die Objektivierung und Festlegung von Weiblichkeit auf traditionelle Stereotype heute wesentlich stärker praktiziert wird als noch in ihrer Kindheit.

Auf ihrer Lesung räumte Natasha Walters ein, dass ein Teil der Verantwortung für diesen kulturellen Rückschritt den Feministinnen zufalle. "Weil wir dachten, dass die wichtigsten Auseinandersetzungen schon gewonnen waren, haben wir uns von kulturellen Aspekten der Gleichberechtigung abgewandt und uns hauptsächlich um wirtschaftliche und finanzielle Aspekte gekümmert", erläuterte sie. "Wir Feministinnen haben für lange Zeit aufgehört, die einseitige und objektivierende Darstellung von Frauen zu kritisieren."

Der neue Sexismus

"Ich stellte mir die Frage, was mit dem Feminismus schief gegangen war", erklärte Walter.
Um herauszufinden, wie sich Weiblichkeitsstereotype auf die Persönlichkeitsentwicklung von jungen Mädchen auswirken, führte sie unzählige Interviews, teilweise mit Frauen, die in der Sexindustrie tätig waren, sowie Eltern, VertreterInnen der Erotikbranche und WissenschaftlerInnen. Dabei kam sie im Wesentlichen zwei mächtigen Strukturen auf die Spur, mit denen sich der Rückschritt im Kampf um Gleichberechtigung in Verbindung bringen lässt: Einerseits dem Aufkommen einer hypersexualisierten Kultur und andererseits einem neuen Trend hin zum biologischen Determinismus.

Walter macht deutlich, was sie mit einer hypersexualisierten Kultur meint, indem sie sämtliche medialen Darstellungen von Frauen untersucht, von Puppen über Models hin zu Schauspielerinnen. Die Analyse solcher Bilder von Weiblichkeit ist wichtig, da junge Mädchen sich an ihnen orientieren und sie zu ihren Vorbildern machen. Walter kommt zu dem Schluss, dass so gut wie alle vorhandenen Darstellungen von Weiblichkeit auf eine extrem verengte Form des Frauseins abzielen: Nämlich der des rein körperlich und sexuell attraktiven Mädchens. Obgleich dieses Ergebnis viele LeserInnen vielleicht nicht verblüffen mag, so offenbart es doch eine höchst perverse Kultur, zieht man in Betracht, dass hier Puppen für Kleinkinder untersucht wurden. Genauso wichtig wie die Analyse dieser Abbildungen ist aber auch Walters Erkenntnis, dass alternative Darstellungen von Weiblichkeit schlichtweg nicht vorhanden sind.

Daneben macht Natasha Walter auf eine verblüffende Marketing-Strategie der Spielzeugindustrie aufmerksam: Durch die Verbindung beispielsweise eines Prinzessinnenfilmes mit dem Vertrieb sämtlicher dazugehöriger Accessoires inklusive Kleider und Spiegel wird auf eine möglichst vollkommene Verschmelzung des Kleinkindes mit der Puppe hingezielt.
Diese Vermarktung erzeugt in Verbindung mit den einseitigen Darstellungen von Weiblichkeit einen Druck zur körperlichen "Vervollständigung", der bereits seit frühester Kindheit an Mädchen herangetragen wird und sich von dort aus durch das ganze Leben hindurchzieht.

Ebenso wie Angela McRobbie in ihrer Veröffentlichung "Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes" kritisiert auch Natasha Walter, dass dieser Druck zu einer extrem femininen Erscheinung von vielen BefürworterInnen der Hypersex-Kultur unter dem Verweis darauf verschleiert wird, dieses Auftreten sei von den Frauen frei gewählt. Hier wird eine Struktur deutlich, die McRobbie mit dem Begriff des "Postfeminismus" beschrieben hat: Neo-konservative Tendenzen, die Frauen in eine traditionelle Rolle als sexuelles Objekt zurück zu verweisen versuchen, werden mit dem Argument gerechtfertigt, die Gleichberechtigung sei längst erreicht und der Feminismus überflüssig geworden.

Der neue Determinismus

Der zweite Teil von "Living Dolls" dreht sich um das umfassende gesellschaftliche Bedürfnis, Geschlechterunterschiede mit biologischen, scheinbar unveränderlichen, Unterschieden zu erklären und zu untermauern. Dies zeige sich besonders deutlich, so Walter, einerseits am Tenor zahlreicher Beziehungs-Ratgeber und andererseits an einer einseitigen Berichterstattung von Seiten der Presse: Wissenschaftliche Studien, mögen diese noch so absurd sein, die gängige Geschlechterstereotype als biologisch vorbestimmt nachgewiesen zu haben glauben, werden begeistert aufgenommen und sofort kritiklos publiziert. Studien hingegen, die zu dem Ergebnis kommen, dass Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Bezug auf unterschiedliche Fähigkeiten und Eigenschaften nicht bestehen oder zumindest nicht als von der Natur festgelegt gesehen werden können, werden ihrer Meinung nach nicht erwähnt.

Aus diesem Grund hat Walter eine Vielzahl solcher Studien genauestens analysiert. Schonungslos und scharfsinnig hat sie dabei im Austausch mit verschiedensten WissenschaftlerInnen die Mängel vieler Studien herausgearbeitet, die in den letzten Jahren von BuchautorInnen und JournalistInnen als Beweise einer angeborenen Geschlechterdifferenz angeführt wurden. Es wird klar, dass die Ergebnisse der Wissenschaft keineswegs so eindeutig sind, wie sie in den Medien dargestellt werden. Walter gelingt es so, mit uralten Geschlechtermythen hinsichtlich von Sprache, Mathematik, Gehirnen und Hormonen, die sich hartnäckig in den Köpfen festgesetzt haben, aufzuräumen.

AVIVA-Tipp: "Living Dolls" ist ein unglaublich ermutigendes und bestärkendes Buch, das die Macht besitzt, vielen die Augen zu öffnen. Es bietet außerdem wichtige Argumentationsmöglichkeiten gegen den vielerorts geteilten Glauben an unveränderliche Geschlechterunterschiede. Natasha Walter fasst einflussreiche Strukturen und Tendenzen präzise ins Auge und liefert ein realistisches und zeitgemäßes Bild des Sexismus in unserer Gesellschaft.

Zur Autorin: Natasha Walter ist eine jüdisch-britische Publizistin. Sie wurde 1967 in London geboren und studierte in Cambridge und Harvard Anglistik. Als feministische Journalistin arbeitet sie für Vogue, The Observer, The Independent, The Guardian sowie für die BBC und lebt mit ihrem Mann, einer Tochter und einem Sohn in London. Weitere Infos finden Sie unter:
natashawalter.com


AVIVA-Berlin verlost 3 Bücher. Bitte beantworten sie uns folgende Frage: Wie lautet der englische Originaltitel von Natasha Walters Buch? Bitte senden Sie bis zum 25.03.2011 eine Email an folgende Adresse: info@aviva-berlin.de



(Quelle: Krüger Verlag)

Natasha Walter
Living Dolls. Warum junge Frauen heute lieber schön als schlau sein wollen

Krüger Verlag (erschienen am 11. Februar 2011)
Gebundene Ausgabe, 330 Seiten
ISBN: 978-3810523778
19,95 Euro

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Angela McRobbie - Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes


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Beitrag vom 25.02.2011

AVIVA-Redaktion