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AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 12.05.2009


Waltz with Bashir auf DVD
Margret Müller

Ein emotional aufrüttelnder, animierter Dokumentarfilm Ari Folmans, der die Erinnerung an seine Erlebnisse als Soldat im 1. Libanonkrieg sucht und über die Erzählungen seiner Kameraden wiederfindet.




Der Regisseur Ari Folman kann sich nicht erinnern, wie er den Libanon-Krieg 1982 durchlebt hat. Er war als Soldat der israelischen Armee in Beirut stationiert, nicht weit entfernt von dem Massaker von Sabra und Shatila. Auch das hat er vergessen. Wo war er? Was hat er gesehen und was getan? Er kann sich nicht erinnern, denkt nicht daran. Erst als ein Freund nach 20 Jahren von seinen Albträumen berichtet, macht sich Ari Folman verwirrt auf die Suche nach der eigenen Vergangenheit während des Krieges. Er besucht alte Kameraden und erlangt durch deren Erinnerungen auch langsam seine eigene zurück. In surrealen Bildern erscheinen ihm die verdrängten Erlebnisse.

Entstanden ist keine gewöhnliche Dokumentation einer Person auf der Suche nach irgendeiner Vergangenheit, sondern ein die Genre-Grenzen der Filmkunst sprengender animierter Dokumentarfilm.
Die Entscheidung, alle Charaktere und Ereignisse des Filmes zu animieren, war ein brillanter Streich, der den Film vor vielen Gefahren wie unbewusster Kriegsglorifizierung oder der Fokussierung auf die möglichst exakte Darstellung des Kriegsgemetzels fernhielt. Realisiert wurde die Animation von David Polonski, Art Director, und Yoni Goodman, Animation Director, die "Waltz with Bashir" zu einem packenden, hochästhetischen Kunstwerk werden ließen.

Die realen Interviews sowie die Kriegserlebnisse konnten durch die Animation einschränkungsfrei visualisiert werden, ohne zum Actionkino zu verkommen. Beeindruckende, künstlerisch anspruchsvolle und teilweise harte Bilder wahren die nötige Distanz zwischen ZuschauerIn und Ereignis, eben genug, um dessen Schwere ertragen zu können - ohne Schönmalerei.
Besonders ergreifend ist die Erinnerung von Folmans´ Kamerad Ronny Dayags, des Anti-Helden, der als einziger Panzersoldat seiner Gruppe einen schweren Angriff überlebte und in der folgenden Nacht im Mittelmeer bis zu seiner Kompanie im Süden zurückschwamm. Trotz dieser Todeserfahrung ist er heute ein beunruhigend normaler, erfolgreicher Mann.
Die Nutzung der Animation ermöglicht vor allem die Konzentration auf die Essenz der Erinnerung. Ari Folman verarbeitet in diesem Film die Folgen des (Nicht-) Erinnerns, die posttraumatischen Erfahrungen werden von den Treffen mit Professorin Zahava Solomon - Expertin für posttraumatisches Stress-Syndrom - begleitet.

Insgesamt vier Jahre dauerte die Arbeit an "Waltz with Bashir", während dieser Zeit brach der zweite Libanonkrieg aus, welcher zwar nicht explizit erwähnt wird, seine Schatten aber auf das Ergebnis des Films wirft. Auch dies ist ein Grund für die hohe Aktualität des Themas, eine neue Generation israelischer Soldaten zog in den Krieg und muss die Bilder, Erfahrungen und Taten nun verarbeiten.
Nicht unproblematisch ist die Darstellung des Massakers von Sabra und Shatila, hier ist Folman auf der einen Seite scharf in der Darstellung, dennoch ausweichend im Umgang mit der Schuld. Unübersehbar sind in der Empfindung des Protagonisten, an dem die auf Lastwagen gepferchten Menschengruppen vorbeifahren, die Parallelen des Massakers mit dem Holocaust und im Speziellen mit Auschwitz. 50 endlose, halszuschnürende Sekunden lang zeigen zu Ende des Films Kameraaufnahmen der Leichen des Massakers. So wollte Folman zeigen, dass es trotz der schonenden Animation um ein wahres, brutales geschichtliches Ereignis geht.

"Waltz with Bashir" befreit den Krieg von allen mystischen Heldenklischees, vom sexy Heros und der männlichen Potenz, die Feldsoldaten in Israel immer noch hinterhergesagt wird: Was übrig bleibt, sind junge Männer in Todesangst, Schuld und Scham, schreckliche, überfordernde Situationen, die zu hart und groß sind, als dass man sie im Gedächtnis behalten und damit weiterleben könnte. Der Film ist der individuelle Weg Ari Folmans zur Verarbeitung der eigenen brutalen und traumatischen Kriegserlebnisse mit einer zutiefst ernüchternden Schlussfolgerung: "Krieg ist so unglaublich unnütz. Und er hat nichts damit zu tun, was man in amerikanischen Filmen sieht. Kein Glamour, keine Glorie. Nur junge Männer, die ins Nirgendwo gehen, die auf Menschen schießen, die sie nicht kennen, und die dann nach Hause gehen und zu vergessen versuchen. Manchmal gelingt es ihnen. Meist gelingt es ihnen nicht."

Auf dem Film Festival Cannes 2008 hat "Waltz with Bashir" breite, begeisterte Resonanz gefunden, in Israel war er der meistdiskutierte Film des Jahres. "Waltz with Bashir" wirft wichtige Diskussionen und Gedanken zur Sinnlosigkeit des Krieges, zur Verarbeitung der Kriegstraumata einer ganzen Nation auf. Von der Filmbewertungsstelle wurde "Waltz with Bashir" mit dem "Prädikat besonders wertvoll" ausgezeichnet und gewann im September 2008 den Best Film Award der Israeli Film Academy Awards OPHIR 2008 und außerdem Preise in den Kategorien Artistic Design, Editing, Soundtrack Design, Direction und Script. Er war der israelische Oscar-Bewerber und gewann 2009 den Golden Globe als bester ausländischer Film.

AVIVA-Tipp: Dies war einer der wichtigen Filme des Jahres 2008, nicht nur für die israelische Gesellschaft, sondern für die Deutsche, die in den bequemen Sesseln vor dem Fernseher die wahre Härte eines Krieges verkennt und entspannt die Tagesnachrichten entgegennimmt. Der Film wühlt auf, führt die Überflüssigkeit von Kriegen eindrücklichst vor Augen und ist dabei auch stilistisch ein Meisterwerk. "Waltz with Bashir" ist innovativ, von Soundtrack zu Bildkomposition bis zu Szenenaufbau.

Lesen Sie auch die Rezension zum Soundtrack "Waltz with Bashir" auf AVIVA-Berlin.

Weitere Infos: www.waltz-with-bashir.pandorafilm.de,
waltzwithbashir.com

Waltz with Bashir
Regie: Ari Folman
Label: Pandora Film, VÖ: Mai 2009
Land: Israel, Deutschland, Frankreich 2008
Länge: 87 Minuten
Untertitel: Deutsch
FSK: 12
Ton/Sprache: Deutsch/Hebräisch
Bildformat: 16:9 (anamorph)
Bonusmaterial: Making-Of, Deleted Scenes, Trailer, Pandora Trailershow (Länge 90 Min.)



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Beitrag vom 12.05.2009

AVIVA-Redaktion