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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 30.04.2010


Sin Nombre
Tatjana Zilg

Das packend inszenierte Melodram über illegale MigrantInnen, die sich auf den Dächern von mexikanischen Zügen in Richtung US-amerikanische Grenze bewegen, wurde in Sundance mit dem Regiepreis ...




... sowie dem Preis für die Beste Kamera ausgezeichnet.

Flucht ist aus globaler Sicht im 21. Jahrhundert allgegenwärtig und doch erscheint das Thema im deutschen Alltag eher fern. In den Nachrichten sind ab und an Bilder zu sehen von Menschen, die ihre Heimat für eine ungewisse Zukunft und mit nur wenig Habe in den Händen verlassen. Nicht immer können die Motive leicht nachvollzogen werden. Während Krieg, Naturkatastrophen und politische Unruhen auf Verständnis stoßen, sieht das bei wirtschaftlichen Motiven schon anders aus, auch wenn die materielle Armut in den Herkunftsländern erschreckend ist. Die USA haben die Grenze zu Mexiko vor einiger Zeit mit einer Mauer gesichert und gehen mit Strenge gegen illegale Übertritte vor. Viele Flüchtlinge aus Lateinamerika, die all ihre Hoffnung auf einen Neustart in den USA setzen, bezahlen dies noch vor Erreichen des mit Traumvorstellungen überladenen Ziels mit dem Leben.

Hochriskante Flucht in das Land der angeblichen 1000 Möglichkeiten

Der Regisseur Cary Joji Fukunaga gibt mit seinem Debüt den namenlosen Flüchtlingen ein Gesicht. In einem packenden Spielfilm erzählt er die Geschichte von Sarya (Paulina Gaitan), einer jungen Frau, die mit ihrem Vater (Gerardo Taracena) und ihrem Onkel (Guillermo Villegas) aus Honduras aufbricht, um der Armut zu entfliehen, und Caspar (Édgar Flores), der, bevor er in die mexikanische Straßengang Mara aufgenommen wurde, Willy hieß und dessen Leben von Kriminalität bestimmt wird. Auch er suchte eine Möglichkeit zu einem materiellen Aufstieg, den es für ihn eigentlich nicht geben sollte.

Die Mara bezieht einen Teil ihrer Einkünfte aus brutalen Überfällen auf Flüchtlinge, die auf den Dächern von Güterzügen durch Mexiko reisen, da sie ohne Visum sind und sich keine andere Transportart leisten können. Dies ist ausgesprochen gefährlich. Neben den Übergriffen mexikanischer Straßengangs werden plötzliche Polizeikontrollen ebenso zur Bedrohung wie auch auch das Herunterfallen vom Zugdach aufgrund von Übermüdung oder einem Fehltritt.

Keine Chance für die Liebe in der Gefahrenzone

"Sin nombre" verfolgt im ersten Teil parallel die getrennten Wege der beiden ProtagonistInnen. In einer spannenden Storyline und in mitreißenden Bildern gibt der Film fundierte Einblicke in die Realität der gegen die Chancenlosigkeit aufbegehrenden mexikanischen Outlaws sowie der harten Fluchtbedingungen der illegal Durchreisenden.

Schnell kündigt sich ein gravierender Konflikt zwischen dem Gang-Anführer Lil´ Mago (Marco Antonio Aguirre) und Caspar an. Der elternlose Jugendliche hat in der Beziehung mit Martha Marlene (Diana Garcia) eine Nische gefunden, in der er inneren Abstand von der ständigen Gewalt der Mara findet. Aber aus genau diesem Grund dulden die autoritären Gang-Regeln keine Liebesbeziehungen. Lil´ Mago ertappt das Paar und als er versucht, die junge Frau zu vergewaltigen, kommt diese durch einen Unfall ums Leben. Caspar muss seine Gefühle der Trauer, der Wut und des Schmerzes tief in sich vergraben. Wenig später nimmt ihn Lil´ Mago zu einem Zugüberfall mit.

In diesem Moment begegnen sich Sarya und Caspar. Es entsteht eine Grenzsituation für alle Beteiligten, in der der junge Bandit eine überraschende, impulsive Entscheidung trifft: Er tötet seinen Anführer, als dieser Sarya vergewaltigen will. Ihm ist bewusst, dass er sich damit selbst auf die Abschussliste der Mara gesetzt hat, denn der Macht der Gangs zu entgehen, ist ein aussichtsloses Vorhaben. Eine kurze Zeit der gemeinsamen Flucht mit Sarya erlaubt eine scheue Nähe und lässt eine Leidenschaft aufflackern, die nie ihre Erfüllung finden wird.

AVIVA-Tipp: Vor der Kulisse der rauen, magisch schönen Landschaft Mexikos entfaltet sich ein bewegendes Drama über Sehnsucht und Enttäuschung, Verrat und Vertrauen, Schuld und Reue. Die Charaktere werden trotz ihrer außergewöhnlichen Lebensumstände für europäische KinogängerInnen greifbar und bieten viele Identifikationsmomente. Die Risiken während der wagemutigen Zugdachflucht sowie der alltägliche Überlebenskampf in den mexikanischen Ghettos jenseits der Gesetze können nicht mehr aus einer rational-distanzierten Perspektive betrachtet werden, sondern rücken in eine unmittelbare Nähe, der frau sich nur schwer entziehen kann. Dazu trägt auch ein Soundtrack bei, der unter anderem lateinamerikanischen Hip Hop einbindet.

Sin nombre
Mexiko, USA 2009
Regie, Drehbuch: Cary Joji Fukunaga
DarstellerInnen: Marco Antonio Aguirre, Karla Cecilia Alvarado, Felipe Castro, Rosalba Quintana Cruz, Marcela Feregrino, Kristian Ferrer, Édgar Flores, Giovanni Florido, Paulina Gaitan, Diana Garcia, Gabriela Garibaldi
Verleih: Prokino
Kinostart: 29. April 2010

Der Film im Netz: www.sinnombre-derfilm.de

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Interview mit der Sängerin und Ärztin Rupa Marya, die sich für illegale MigrantInnen aus Mexiko einsetzt.


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Beitrag vom 30.04.2010

AVIVA-Redaktion