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Beitrag vom 21.01.2011
Glückliche Fügung - Ein Film von Isabelle Stever
Evelyn Gaida
Als Frau alleine weggehen, nachts, an Silvester. Ein Tabubruch, der die Fantasie auf einen Trip schicken könnte durch die Finsternis gesellschaftlicher Voreingenommenheit oder die surrealen ...
... Farben der Nacht. Isabelle Stever entscheidet sich in ihrer Adaption einer gleichnamigen Kurzgeschichte von Anke Stelling für die Darstellung des Tristen, Starren, Leblosen. Die Hauptfigur des Films ist eine Frau (Annika Kuhl), für die sich niemand interessiert und von der man nichts erfährt, außer, dass sie einmal Landesmeisterin in einer exotischen Schwimmdisziplin war und sehr unglücklich ist.
Stevers Bilder stehen da wie vergessene Möbel in leeren Zimmern, ebenso isoliert wie die verhinderte Protagonistin, die abgekapselt, verstockt und hilflos ihrem eigenen Leben zusieht. Das mag nach einem geschickten Kunstgriff klingen und ist wohl auch als solcher gedacht. "Bedeutungsschwangeres" Nichtssagen, Aneinander-Vorbeireden und starre Einstellungen im abendfüllenden Kinoformat ergeben jedoch ganz simpel eine überdimensionierte Leerstelle.
Schwanger wird auch Simone, eine einsame Enddreißigerin. An Silvester geht sie mit sich selbst aus, bestellt einige Getränke, tanzt ein bisschen und findet sich am nächsten Morgen neben einem unbekannten, schlafenden Mann (Stefan Rudolf) in dessen Auto wieder. Sie zieht ihre Strumpfhose hoch und verschwindet.
Ein "irrsinniger Zufall" will es jedoch, dass Hannes, der werdende Vater, plötzlich im Aufzug steht, als Simone von ihrem Termin beim Gynäkologen kommt. Er ist Krankenpfleger in der Klinik, in der Simones Schwangerschaft festgestellt wird – und freut sich über das Kind.
Was folgt ist eine Aushöhlung sämtlicher Klischeemotive kleinbürgerlichen Glücks: Der obligatorische Waldspaziergang mit rudimentärem gegenseitigem Austausch genügt ("Magst du Hunde?", "Bist du Vegetarierin?", "Sind wir jetzt eigentlich ein Paar?"), schon wird das Reihenhäuschen am Waldrand renoviert und bezogen, empfängt Simone ihren Hannes als vorbildliche Hausfrau mit Kartoffelauflauf und allerlei Fleischkreationen, laufen beide im Partnerlook durch den Supermarkt und Verhandeln das Heiraten im selben Atemzug mit dem Anschaffen eines Rasenmähers.
Leider bleiben vor allem die Charaktere selbst hohl und unglaubwürdig, bleibt die Absurdität der Dialoge bloß absurd. Simone: "Ich liebe dich." Hannes: "Möchtest du was essen?"
Hannes ist die Schweigsamkeit und Unselbständigkeit seiner Freundin gerade recht, Simone reicht ihm als hübsche "Leihmutter" seines Kindes offensichtlich vollkommen aus. Seine geradezu penetrante Freundlichkeit ist die säuselnde Maske eines gigantischen Desinteresses. Er stellt nie substanzielle Fragen, möchte im wahrsten Sinne des Wortes nichts von Simone wissen, geht selbst über den Ex-Freund (Arno Frisch) gleichmütig hinweg, den er eines Abends zu Hause mit ihr antrifft. Hannes wäre in jedem Psychothriller bestens aufgehoben, man wartet nur darauf, dass seine unnatürliche Sanftheit einer psychopathischen Raserei weicht. Die Regisseurin bezeichnet ihn als "Freundlichkeitsmonster", das sie in einem Horrorfilm platziere.
Dieser Film tut es Hannes gleich: Er bringt über Simones Hintergrund nichts in Erfahrung. Was machte sie, bevor sie als strickendes Heimchen am Herd ins Reihenhaus zog? Was hat es mit dem ebenso psychopathisch wirkenden Ex-Freund auf sich? Warum ist Simone nicht in der Lage, sich irgendwie mitzuteilen, warum verhält sie sich so gehemmt und menschenscheu? Anfallweise bricht sie in Tränen aus, stürzt sich hochschwanger vom Fahrrad oder löchert Hannes mit eifersüchtigen Fragen, die von einem übermächtigen Minderwertigkeitskomplex zeugen. Im Grunde kreist die Handlung um nichts, als ein ominöses Fragezeichen - und begegnet ihren eigenen Motiven mit großer Ignoranz.
AVIVA-Fazit: Wen eine nicht so glückliche Fügung in diesen Film verschlägt, sollte sich etwas zum Stricken mitnehmen.
Zur Regisseurin: Isabelle Stever wurde 1963 in München geboren. Seit 1984 lebt sie in Berlin. Regelmäßige Mitarbeit an Kino- und Fernsehfilmen sowie Kunstausstellungen. Mathematikstudium an der Technischen Universität Berlin, Diplom 1994 und Beginn des Regiestudiums an der Deutschen Film und Fernsehakademie Berlin. Isabelle Stevers Abschlussfilm ERSTE EHE wird 2002 u.a. mit dem Regie-Nachwuchspreis First Steps als bester Spielfilm ausgezeichnet. 2005 folgt GISELA, der auf dem Internationalen Filmfestival Locarno uraufgeführt und u.a. mit dem österreichischen Crossing Europe ausgezeichnet wurde. Gemeinsam mit 12 anderen RegisseurInnen verwirklicht Isabelle Stever das Filmprojekt DEUTSCHLAND 09, das im Wettbewerb der Berlinale gezeigt wird.
Glückliche Fügung
Deutschland 2010
Regie: Isabelle Stever
Buch: Isabelle Stever, Anke Stelling
DarstellerInnen: Annika Kuhl, Stefan Rudolf, Arno Frisch, Maria Simon, Juan Carlos Lopez, Hanns Zischler u.a.
Verleih: Movienet Film
Lauflänge: 90 Minuten
Kinostart: 20. Januar 2011
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.movienetfilm.de
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