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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 11.09.2008


Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra
Britta Leudolph

Keine kriminelle Organisation hat so viele Menschen umgebracht wie die Camorra. "Gomorrha" gibt einen Einblick in die Geschäftspraktiken der Mafia und zeigt, wie für Macht und Geld nicht nur...




... Menschenleben zerstört werden.

Die italienischen Provinzen Neapel und Caserta sind seit Jahrzehnten fest in der Hand der Camorra, sie durchzieht alle Lebensbereiche, von den gängigen Geschäftsbereichen wie Drogenhandel, Erpressung und Waffenhandel über Giftmüllentsorgung bis zu weniger offensichtlichen Betätigungsfeldern wie Tourismus, Handel, Lebensmittel oder Mode. Für viele sind die einzelnen Clans die einzige Möglichkeit, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Hier, in einer grauen trostlosen Betonburg, leben Toto, Don Ciro, Roberto und Franco, Pasquale sowie Marco und Ciro. Ihre Schicksale sind durch die Camorra auf unterschiedliche Weise verbunden.

Der dreizehnjährige Toto ist der Sohn eines im Gefängnis sitzenden Clan-Mitglieds der Scissionisti di Secondigliano, der sich eine Fehde mit dem Clan Di Lauro liefert. Da der Vater inhaftiert ist, erhalten Toto und seine Mutter Geld für ihren Lebensunterhalt von dessen Clan. Als der Junge sich entschließt, für den Clan Di Lauro zu arbeiten, gerät er zwischen die Fronten des Bandenkrieges.

Don Ciro ist ein so genanntes "U-Boot", ein Buchhalter der Camorra. Er verteilt die finanzielle Unterstützung für Angehörige toter oder inhaftierter Mitglieder der Familie-Clans und gerät in dieser Funktion immer wieder in lebensgefährliche Situationen.

Roberto findet nach seinem Universitätsabschluss eine lukrative Anstellung bei Franco, der sein Geld im Giftmüllmanagement verdient. Roberto ist mit Feuereifer bei der Sache, realisiert aber nach und nach, dass der vordergründig so freundliche Franco ein überaus zynischer Geschäftsmann ist, dem ein Menschenleben nichts bedeutet.

Pasquale ist ein begabter Schneider, der in einer kleinen Firma beschäftigt ist, die unter anderem VertreterInnen der Haute Couture beliefert. Er erhält von einem chinesischen Wettbewerber das Angebot, dessen SchneiderInnen auszubilden und ahnt nicht, dass er mit der Annahme des Angebots nicht nur mit seinem Leben spielt.

Und schließlich Marco und Ciro, zwei Halbstarke, die noch reichlich grün hinter den Ohren sind. In ihrem jugendlichen Leichtsinn drehen sie das ein oder andere Ding und verkennen dabei die Gefahr in die sie sich begeben, denn durch ihre Handlungen stören sie die Geschäftroutine der Mafiosi.

Allen gemein ist die Zugehörigkeit zur untersten Stufe der sozialen Hierarchie. Wer hier Opfer, wer Täter ist, bleibt unklar. Schnell wird offensichtlich, warum die Camorra gerade an diesem Ort so erfolgreich sein kann: Perspektivlosigkeit, Armut und Ohnmacht beherrschen den Alltag, wie überall auf der Welt, wo das organisierte Verbrechen reiche Früchte trägt. So verwundert es auch nicht weiter, dass Frauen hier nur am Rande erscheinen: als Ware auf der einen, als verzweifelte Mütter auf der anderen Seite.

Der Film basiert auf dem semifiktionalen Roman "Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra" von Roberto Saviano. Der 1979 in Neapel geborene Autor lebt seit der Veröffentlichung seines Erstlingswerks unter strengstem Polizeischutz, wegen des großen Erfolgs des Buches, seinen Aussagen den GesetzgeberInnen gegenüber und den Informationen, die er der Polizei zuspielte.
Für "Gomorrha" gewann Saviano 2006 den Giancarlo Siani-Preis sowie den Viareggio Repaci-Preis für Literatur.
Der Film "Gomorrha" wurde 2008 auf dem Filmfestival in Cannes mit dem großen Preis der Jury ausgezeichnet.

AVIVA-Tipp: "Gomorrha" trägt seinen Titel zu Recht. Was sich der Zuschauerin hier offenbart, geht oft über die Grenzen des Zumutbaren hinaus. Dabei geht es nicht um die gezeigte Gewalt, sondern eher um die menschlichen Abgründe, die zu Tage treten, hervor gerufen von Perspektivlosigkeit, dem Wunsch nach Zugehörigkeit oder auch aus reiner Profitgier. Regisseur Matteo Garrone inszeniert das halbdokumentarische Geschehen in grauen trostlosen Bildern, in denen rein gar nichts Schönes zu finden ist. Eben dies ist die Stärke dieser Verfilmung, die Mafia tritt ohne jegliche Romantisierung in Erscheinung: Während die unteren Ebenen erpressen, morden und sich gegenseitig bekriegen, werden die Strippen von ganz anderen "ehrenwerten" Herren gezogen, die unsichtbar im Hintergrund Entscheidungen über Leben oder Tod fällen und mit ihren Geschäften gewaltige Gewinne einstreichen.

Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra
Originaltitel: Gomorra
Frankreich 2008, 129 Minuten
Regie: Matteo Garrone
Buch: Roberto Saviano
Drehbuch: Maurizio Braucci, Ugo Chiti, Gianni di Gregorio, Matteo Garrone, Massimo Gaudioso, Roberto Saviano
Produktion: Domenico Procacci
DarstellerInnen: Maria Nazionale, Toni Servillo, Gianfelice Imparato, Salvatore Cantalupo u.v.m.
Verleih: Twentieth Century Fox of Germany
FSK: keine Angabe
Kinostart: 11. September 2008
www.gomorrha-derfilm.de

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Beitrag vom 11.09.2008

Britta Leudolph