ANONYMA – eine Frau in Berlin – ein Film von Max Färberböck. Die DVD - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kultur



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 15.10.2008


ANONYMA – eine Frau in Berlin – ein Film von Max Färberböck. Die DVD
Monika Gerstendörfer

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buchtitel, der 2003 im Eichborn Verlag erschienen ist. Es geht um eine junge Frau, Journalistin, gebildet, der russischen Sprache mächtig, die...




...das Erlebte und Erlittene zwischen dem 20. April und dem 22. Juni 1945 in Berlin in ihrem Tagebuch aufzeichnet.

Die allgemeine gesellschaftliche Reaktion auf sexualisierte Gewalt gegen Frauen, auf Vergewaltigung, ist im Krieg nicht so sehr anders als im Frieden. Es sind die Opfer, die sich schämen (sollen). Und so geschieht es auch. Im Krieg wie im Frieden. Doch Anonyma, die Frau in Berlin, reagiert anders und tut damit etwas Ungeheuerliches. Sie schreibt keine typische Leidensgeschichte, auch keine hasserfüllte Protestnote gegen vergewaltigende Männerhorden im Krieg sondern die Lebenswirklichkeit, den täglichen Überlebenskampf aus Frauensicht.

Ende April 1945. Die Rote Armee marschiert in Berlin ein. Im Keller eines nahezu zerstörten Hauses sitzen Menschen, die meisten sind Frauen. Eine von ihnen ist Anonyma, gespielt von Nina Hoss, und sie wird, wie die meisten Frauen, mehrfach vergewaltigt. Doch ihr Mut und ihr Wille, ihre Würde zu wahren und vor allem zu überleben, bringen sie zu einem verzweifelten Entschluss. Sie will sich einen "Wolf" suchen, einen ranghohen russischen Offizier. Er soll sie vor den anderen schützen. Als "Gegenleistung" wird sie mit ihm "freiwillig" schlafen. Doch es entwickelt sich etwas, womit sie nie gerechnet hätte: der höfliche, gebildete Offizier Andrej, gespielt von Evgeny Sidikhin, berührt ihre Seele. Es entsteht eine ganz besondere Beziehung. Liebe?

Trotz aller Zuneigung fällt die Barriere zwischen ihnen nie. Schließlich sind sie Feinde … Dieses Spannungsfeld zerreißt eine auch als Zuschauerin. Nicht nur Anonyma, auch alle anderen Frauen entwickeln Strategien des Überlebens. Manche sind eher unterwürfig, andere sogar forsch. Galgenhumor kehrt ein: "Wie oft?", fragen sich die Frauen, meinen damit die Vergewaltigungen und gehen zur "Tagesordnung" über. Und es gibt noch mehr von solchen scheinbaren Absurditäten. Die Witwe, gespielt von der unnachahmlichen Irm Hermann, ist selbst bei kritischen Ereignissen auf ihren Mahagonitisch bedacht und reagiert empört, wenn er von den Soldaten beschmutzt wird.

Als die Nachricht von Hitlers Tod kommt und danach die der deutschen Kapitulation, folgt großes Kino, das auch den Verantwortlichen für Musik und Ton zugute geschrieben werden muss. Die Art und Weise, wie die Soldaten die russische Nationalhymne singen, dringt über den visuellen und auditiven Sinn bis tief ins Herz. Am Ende feiern Sieger und Besiegte sogar das Ende des Krieges zusammen. Es ist vorbei!

Die Geschichte des Tagebuchs der "Anonyma", erstmals 1954 in New York in englischer Übersetzung publiziert, zeigt die russische Erbarmungslosigkeit beinah erträglicher, als der kalte und frauenfeindliche Zynismus, den die deutschen Männer und Behörden an den Tag legten. Die deutsche Publikation der 50er Jahre hat die Öffentlichkeit damals zutiefst empört, und das Buch wurde erst in einer Neuauflage vor wenigen Jahren zum anerkannten Bestseller. Weit über ein halbes Jahrhundert nach den Ereignissen.

AVIVA-Tipp: In jedem Fall hat "ANONYMA" einen sehr, sehr hohen Anspruch! An sich selbst und an die Zuschauenden. Es ist definitiv kein Kriegsfilm. Es ist ein umfassendes, globales Drama, das den Irrsinn der Gewalt gegen Frauen von gestern, heute und morgen an einem Beispiel mutig, unerschrocken und schonungslos aufzeigt und uns damit die Hand reicht, damit wir endlich etwas kapieren! Den Anspruch des Films an sich selbst haben die Verantwortlichen alle miteinander erfüllt. Ausnahmslos. Man wird sehen, was die Kinobesucher/innen daraus machen. Eine Chance haben sie! Hoffentlich nehmen sie sie wahr. Zu den Darstellerinnen und Darstellern der großen und kleinen Rollen reicht eigentlich ein Satz: dringend preiswürdig!

ANONYMA – eine Frau in Berlin
Deutschland 2008, 131 Minuten
Regie und Drehbuch: Max Färberböck
Produzent: Günter Rohrbach
DarstellerInnen: Nina Hoss, Sandra Hüller, Irm Hermann, Jördis Triebel, August Diehl, Rüdiger Vogler, Juliane Köhler, Rolf Kanies
Verleih: Constantin Film
DVD-Verleihstart: April 2009, DVD-Verkaufsstart: April 2009
Ausstattung der DVD:
Bildformat: 16:9
Tonformat: Deutsch Dolby Digital 5.1, Deutsch DTS 5.1, Deutsche Untertitel für Hörgeschädigte möglich
FSK: ab 12 Jahren
Länge: ca. 131 Min.
Extras: Making of, Interviews, DarstellerInnen-Infos
Leih-Ean: 4011976 854463
Kauf-Ean: 4011976 854487

Weitere Informationen finden Sie auf der Website von "ANONYMA": www.anonyma.film.de


Dieser Artikel wurde AVIVA-Berlin freundlicherweise von der Autorin Monika Gerstendörfer zur Verfügung gestellt, zu deren Buch "Der verlorene Kampf um die Wörter" Sie auf AVIVA-Berlin die Rezension lesen können.


Passend zum Kinofilm erschien das Original-Hörspiel im Oktober 2008
© Silvy Pommerenke



Die beiden CDs wurden sehr spannend inszeniert – keine Frage - die darin dem Film bedingungslos folgen bzw. größtenteils originale Filmspuren mit einbauen. Leider wird dies aber nicht dem Buch gerecht, denn das, was in den Tagebuchaufzeichnungen von Anonyma in jeder Zeile zu lesen ist – die Demütigung und Verletzung der Frauen – wird hier hörkompatibel aufbereitet und verliert an Schrecken, somit an der eigentlichen Aussage der traumatischen Erfahrungen der Verfasserin, die sie dennoch sachlich niedergeschrieben hat.
Der Regisseur Max Färberböck hat sich eines extrem schwierigen Themas angenommen, nämlich die massenhafte Vergewaltigung von Frauen in den Monaten Mai und Juni 1945 so darzustellen, dass ein breites Publikum dies auch im Kino ansehen und ertragen kann. Das ist ihm gelungen, ebenso dem Hörbuch – auch wenn die überstilisierte "Liebesgeschichte" zwischen Anonyma und Andrej so wohl nicht stattgefunden hat. Trotz alle dem bleibt bei der dreifachen Sichtung von Buch, Film und Hörbuch ein etwas schales Gefühl zurück: der Grundtenor wird dem Original, also dem Buch, nicht gerecht. Schrecken für Dritte glaubwürdig darzustellen ist eben eines der schwierigsten Gebiete.

ANONYMA – Eine Frau in Berlin
Eichborn Lido Verlag, VÖ Oktober 2008
2 CDs, Spieldauer 120 Minuten
ISBN-13: 9783821863009
16,95 Euro


Kultur

Beitrag vom 15.10.2008

AVIVA-Redaktion