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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 27.03.2009


Dancer in the Dark - Neu auf DVD
Claire Horst

Wer den Film kennt, hat vor allem Björk vor Augen. Ohne sie wäre es eine völlig andere Produktion geworden, da sind sich Regisseur Lars von Trier und das Publikum einig. Erneut ist nun ...




... das Meisterwerk auf DVD erschienen, ergänzt durch Interviews mit einigen Mitwirkenden.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Eine junge Frau, Migrantin aus der Tschechoslowakei, lebt mit ihrem Sohn in den USA der Sechzigerjahre. Ihr Leben besteht nur aus zwei Dingen, Arbeit und der Fürsorge für ihr Kind. Selma, die von Björk nicht gespielt, sondern in jeder Minute buchstäblich verkörpert wird, hat ein Geheimnis: Sie erblindet langsam. Um ihren Job in einer Metallfabrik nicht zu verlieren, erzählt sie niemandem davon. Das Drama besteht darin, dass auch ihr Sohn Gene an der Erbkrankheit leidet. Um seine Operation bezahlen zu können, ist Selma nach Amerika gekommen, darum verpackt sie am Feierabend noch Haarnadeln in Heimarbeit, darum spart sie jeden Cent. Den FreundInnen erzählt sie ein Märchen vom armen Vater in der Tschechoslowakei, den sie unterstützen müsse.

Als Selmas Vermieter, der sich tagsüber mit seiner Frau um Gene kümmert, pleite geht, befürchtet er, seine Frau werde ihn verlassen. In seiner Verzweiflung stiehlt er Selmas Ersparnisse. Als Selma seine Tat entdeckt, fordert sie ihr Geld zurück. Eine der dichtesten und berührendsten Szenen des Films ist die, die jetzt folgt: In seiner Tragik und Unausweichlichkeit ist das Geschehen kaum zu ertragen. Ähnlich wie in seinem älteren Film "Breaking the Waves" erzählt Lars von Trier auch hier eine Tragödie im antiken Sinne: Die Heldin gerät unverschuldet in eine unlösbare Situation. Die ZuschauerInnen wissen schnell, dass es keinen positiven Ausweg für sie geben wird.

Anders als "Breaking the Waves" ist "Dancer in the Dark" jedoch ein Musical. Selma, deren große Leidenschaft dieser Theaterform gilt, spielt - neben ihren vielen Jobs - auch noch in dem Musical der Musicals mit: The Sound of Music. Mit ihren Träumereien, bei denen sich die Welt um sie herum in eine einzige Tanzeinlage verwandelt, übersteht sie zwar den grauen Alltag, gefährdet aber ihre Gesundheit und ihren Arbeitsplatz an der Maschine.

In diesen Szenen weicht Regisseur Lars von Trier von den Dogma-Regeln ab, die er gemeinsam mit drei weiteren dänischen Filmregisseuren im Jahr 1995 aufgestellt hatte. Nach diesen Regeln waren nur Handkameras erlaubt, nur Originalschauplätze sollten genutzt und keine Musik nachträglich eingespielt werden. Zudem waren Genrefilme nicht geduldet.

Wie Kameramann Robby Müller im Interview erläutert, wurden in den Musicalszenen unzählige Kameras fest installiert, so dass das Geschehen aus mehreren Perspektiven aufgenommen werden konnte. Hier ist es wohl Björk zu verdanken, dass der Film nicht in den Kitsch abrutscht. Sie spielt ihre "Visionen" mit einer derartigen Intensität, dass die Zuschauerin mit ihr in die Tanzszenen rutscht und den Hintergrund, den tristen Fabrikalltag, beinahe vergisst. Wie Selma wird die Zuschauerin unsanft in die Realität zurückgeholt, wenn der Werksleiter ihren Traum unterbricht.

Neben Björk, die auch die Musik geschrieben hat – zuerst war sie nur dafür eingeplant -, ragt auch Catherine Deneuve heraus, die mit Kathy, Selmas Freundin und Kollegin, eine eigentlich undankbare Nebenrolle eigenommen hat. Kathy, und auch der von Peter Stormare hervorragend gespielte Jeff, der Selma liebt, verkörpern keine realen Menschen, sondern das "Ideal der reinen Liebe", wie Stormare im Interview erläutert.

Man kann dem Film einiges vorwerfen. Zuweilen nervt Björk mit ihrer sehr niedlichen Darstellung der bemitleidenswerten Selma, und auch das Bild der armen Migrantin, die sich für ihr Kind aufopfert, könnte zu einem reinen Klischee gerinnen. Im Interview erklärt der Regisseur, worum es ihm dabei ging: "Zuerst einmal leben wir in einer Kultur, hier, in diesem Teil der Erde, wo es ein Mann ist, der am Kreuz hängt, der sich opfert. Aber ist es nicht toll, dass es auch Frauen gibt? Sind es denn wirklich nur Männer, die sich opfern?"

Dennoch begeistert der Film in seiner konsequenten Darstellung der Ausweglosigkeit, in die Selma sich gebracht hat. Sie wird zerbrochen zwischen ihrem Anspruch, das für sie Wichtigste zu erreichen – die Rettung ihres Sohnes, für dessen Krankheit sie sich verantwortlich fühlt, und den Moralvorstellungen der Gesellschaft, die ihre Beweggründe nicht nachvollziehen will. Wer sich darauf einlassen kann, dass hier keine realistische Geschichte erzählt, sondern eine Parabel entworfen wird, wird zutiefst erschüttert.

"Dancer in the Dark" erhielt insgesamt 19 Auszeichnungen sowie 32 Nominierungen. Unter anderem gewann er bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 2000 die Goldene Palme. Björk erhielt eine Auszeichnung als Beste Darstellerin.

Weiterhören: Björk - Drawing Restraint 9 und Joni Mitchell – A tribute to

Björk im Netz: www.bjork.com und auf MySpace

AVIVA-Tipp: "Dancer in the Dark" ist ein außergewöhnlicher Film mit hinreißenden DarstellerInnen, auf die die Handlung maßgeschneidert zu sein scheint. Der Soundtrack ist als "Selma Songs" erhältlich. Nicht nur für Björk-Fans!

Dancer in the Dark
DK, D, NL, USA u.a. 2000
Regie und Drehbuch: Lars von Trier
DarstellerInnen: Björk, Catherine Deneuve, David Morse, Peter Stormare, Jean-Marc Barr, Vladica Kostic u.a.
Bildformat: 16:9
Tonformat: Deutsch Dolby Digital 5.1, Englisch Dolby Digital 5.1
FSK: ab 12 Jahren
Länge: ca. 134 Min.
Extras: Interviews (ca. 16 Min.), B-Roll (ca. 4 Min.), DarstellerInnen-Infos
DVD-Verkaufsstart: 05. Februar 2009
Verleih: Constantin Film
Preis: 15,95 Euro


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Beitrag vom 27.03.2009

Claire Horst