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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 02.10.2017


Happy End. Der neue Film von Michael Haneke mit Isabelle Huppert und Fantine Harduin. Kinostart: 12. Oktober 2017
Tina Schreck

Wie schon in seinem kühlen Thriller "Caché" setzt sich der preisgekrönte Regisseur und Drehbuchautor mit bourgeoiser Schuld auseinander und zeichnet mit seinem Cast anhand eines schonungslosen Porträts einer bürgerlichen, weißen, europäischen Mittelschichtfamilie ein verstörendes Bild einer ignoranten Gesellschaft.




Damit ist Haneke erneut im Rennen um die Oscars® und steht zum dritten Mal im Wettbewerb um die Goldene Palme bei den Filmfestspielen in Cannes, mit der er bereits für "Amour" (2012) und "Das weisse Band" (2009) ausgezeichnet wurde.

"Rundherum die Welt und wir mittendrin, blind", so der knappe Kommentar von Michael Haneke im Vorfeld zur Uraufführung seines jüngsten Werks, "Happy End“ auf den Filmfestspielen in Cannes.

Damit gemeint sind wir alle, die wir uns eher mit unseren eigenen Problemen beschäftigen und das Leid der Anderen häufig lediglich in den Medien verfolgen, während vor unseren Türen die Flüchtlingskrise tobt. Diese jedoch wird im Film im Hintergrund gehalten, da Michael Haneke nach eigener Aussage ausschließlich Themen behandelt, von denen er etwas versteht. "Ich kann keinen Film über Immigranten machen, weil ich zu wenig über sie weiß. Ich habe weder mit ihnen gelebt, noch bin ich selber einer. Es wäre frivol", wie er gegenüber dem Internetportal kurier.at in einem Interview erklärt. Sichtbar wird die Thematik im Film trotzdem, wenn auch nur in einigen, wenigen Sequenzen. So wirkt das Verhältnis, das die reichen Laurents zu dem Immigrant_innen-Ehepaar pflegen, das für sie arbeitet, forciert und unterkühlt. Unangebrachte Scherze wie "Jamila ist unsere marokkanische Sklavin", werden nach kurzer Empörung einfach weggelächelt. Denn die Etikette zu wahren hat im Hause Laurent oberste Priorität.

Les Laurent:

Der lebensmüde Georges stellt das Familienoberhaupt dar. Er hat das Sagen in der Stadtvilla und alle ordnen sich ihm unter. Seine Tochter Anne leitet das Familienunternehmen, das trotz ihrer strengen Führung kurz vor dem Ruin steht. In ihre Fußstapfen soll ihr chronisch unglücklicher Sohn Pierre treten, der sich aber ausschließlich für seine Alkoholexzesse interessiert. Georges´ Sohn und Annes Bruder Thomas, liebloser Ehemann und frischgebackener Vater, bringt die zwölfjährige Ève, seine Tochter aus erster Ehe mit, die seit der lebensbedrohlichen Tabletten-Überdosis ihrer depressiven Mutter mit in dem riesigen Anwesen lebt. Anstatt das Mädchen liebevoll in ihrer neuen Umgebung willkommen zu heißen, ist die Familie sichtlich überfordert mit der Situation und zieht es vor, nicht über den Vorfall zu sprechen.

Vom Totschweigen und Wegsehen

Wichtige Angelegenheiten werden bei den Laurents ohnehin lieber unter den Teppich gekehrt. Als Georges seinem Leben ein Ende setzen will, wird der gescheiterte, jedoch offensichtliche Versuch von der Familie geflissentlich als unglücklicher Unfall abgetan. Auch der drohende Konkurs der Firma, Pierres Alkoholsucht oder die verkorkste Beziehung zwischen Thomas und seiner Frau Anaïs sind nicht der Rede wert. Une vision de famille désesperée? Nicht für Regisseur Michael Haneke, der das von ihm kreierte Familienmodell als durchaus realistisch empfindet, wie er der französischen Presse in Cannes mitteilte.

Schuld ohne Sühne

Chronische Gleichgültigkeit, Ehebruch oder sogar Mord - schuldig sind sie alle auf eine Art und Weise. Sich damit auseinandersetzen, geschweige denn, für ihre/seine Taten(losigkeit) Verantwortung übernehmen, möchte allerdings niemand. Besonders drastisch spiegeln sich diese egomanen, rücksichtslosen Züge bei der jungen Ève wider, die ebenso apathisch auf den Suizidversuch ihres Großvaters wie auch auf die Medikamentenvergiftung ihrer Mutter reagiert. Als sie nach deren Tod im Chatverlauf ihres Vaters verfängliche Sexbotschaften an seine Geliebte entdeckt, zeigt das Mädchen erste, wenn auch höchst selbstbezogene Gefühle: "Du hast Mama nicht geliebt. Du liebst Anaïs nicht. Du liebst mich nicht. Das ist nicht weiter schlimm. Ich will nur nicht in ein Heim."

Generation Internet

In ihrer Freizeit beschäftigt sich die Teenagerin vornehmlich mit ihrem Smartphone. Sie schaut Youtube-Videos und chattet viel. Zur realen Welt hat sie kaum Bezug. Den tristen Alltag ihrer an Depressionen leidenden Mutter sowie den eigenhändig herbeigeführten Tablettentod ihres Hamsters filmt sie teilnahmslos mit ihrer Handykamera, um die Clips später mit gleichgültigen Kommentaren versehen ins Netz zu stellen.

Realitätsverlust und fehlende Empathie der jungen Generation stellt seit "Benny´s Video" (1992) eines der Haupthemen in Michael Hanekes Arbeit dar, das er auch in "Happy End" wieder aufgreift. Die 2005 geborene, belgische Schauspielerin Fantine Harduin schlüpft überzeugend in die Rolle der internetaffinen Ève, deren Grenzen zwischen digitaler und realer Welt verschwimmen. Eine Jugendliche, die nicht gleichgültiger mit Leid und Tod, selbst mit ihrem eigenen, umgehen könnte. Glaubwürdig repräsentiert sie die Verrohung der modernen Gesellschaft durch den täglichen Überschuss an Gewalt und Stumpfsinnigkeit durch die sozialen Netzwerke, während sich das Elend ungehindert und in unmittelbarer Nähe ausbreitet.

AVIVA-Tipp: Auf das Happy End im gleichnamigen Film warten die Zuschauer_innen vergeblich. Vielmehr verlieren sich die Figuren immer tiefer in den dunklen Abgründen ihrer jeweiligen Persönlichkeit. Ein satirischer Alptraum, bedrückend und düster – eine Familie à la Haneke eben. Ein filmisch brillant umgesetztes Vexierbild unserer modernen Gesellschaft.

Zur Hauptdarstellerin: Isabelle Huppert wurde am 16.März 1953 als Tochter der Englischlehrerin Annick Huppert und des Sicherheitsingenieurs Raymond Huppert in Paris geboren und nahm bereits im Alter von vierzehn Jahren am Conservatoire de Versailles Schauspielunterricht. Ihr Studium absolvierte sie dann auf dem Conservatoire d´Art Dramatique und startete zunächst eine beeindruckende Theaterkarriere. Sie spielte unter anderem in Bühnenwerken wie "A Month in the Country" von Ivan Turgenev oder als Hauptdarstellerin in Euripides´ "Medea" mit und übernahm Hauptrollen in klassischen Stücken wie Shakespeares Komödie "Maß für Maß" (1991) und Schillers "Maria Stuart" (1996). Ihr Filmdebüt gab sie 1972 mit Nina Companeez´ Verfilmung des Dramas "Faustine et le bel été". Neben nationalen Erfolgen wie "Madame Bovary" (1991) oder "8 Frauen" (2002) war sie zudem in vielen internationalen Filmen zu sehen. In der deutsch-österreichischen Produktion "Malina" sowie in dem phillippinischen Film "Captive" (2012), an dem deutsche, französische und britische Coproduzent_innen beteiligt waren, spielte sie jeweils die Hauptrolle. Auch für Michael Haneke stand sie bereits 2012 für "Amour" vor der Kamera.
Mehr Infos zu Isabelle Huppert unter: www.imdb.com

Zur Hauptdarstellerin: Fantine Harduin wurde am 23. Januar in Mouscron in Belgien geboren. Im Alter von sieben Jahren nahm sie gemeinsam mit ihrem Vater in der Fernseh-Show "Belgium got Talent" teil und war erstmals erstmals auf dem Bildschirm zu sehen. 2014 bekam sie die Hauptrolle in Maria Castillejo Carmen´s Kurzfilm "Taram Tarambola" und spielte in zwei Folgen der fünften Staffel der französischen Krimiserie "Engrenages" sowie in den Filmen "The New Adventures of Aladdin" (2015) und "Fannys Reise" (2016) mit.
Weitere Infos zu unter: www.fantineharduin.be oder unter www.imdb.com

Happy End
Frankreich/Österreich/Deutschland 2017
Regie: Michael Haneke
Produzent_innen: Margaret Menegoz, Stefan Arndt, Uwe Schott, Michael Katz
Darsteller_innen: Isabelle Huppert, Jean-Louis Trintignant, Fantine Harduin, Mathieu Kassovitz, Franz Rogowski, Laura Verlinden
Länge: 107 Minuten
Kinostart: 12.10.2017
Trailer: www.youtube.com
Filmwebsite: www.x-verleih.de/filme/happy-end
Facebook: www.facebook.com

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Beitrag vom 02.10.2017

Tina Schreck