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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 28.12.2012


Tuvia Tenenbom - Allein unter Deutschen. I Sleep in Hitler´s Room
Claire Horst

Er sei ein Deutscher, behauptet Tuvia Tenenbom immer, wenn er arabische Länder bereist. So steht es zumindest in der Vorbemerkung zu seinem Buch. Warum? Weil ihm ein jordanischer Gastgeber...




... einmal sagte, er würde ihn auf der Stelle töten, wenn er ein Jude wäre.

"Meine arabischen Freunde, Christen wie Muslime, lieben mich dafür. ´Ihr seid gute Leute´, sagen sie mir. ´Was ihr Deutschen mit den Juden gemacht habt, war echt gut.´" Einen kleinen Haken hat diese Geschichte allerdings: Tenenbom, Journalist und Dramatiker, ist kein Deutscher, sondern ein jüdischer New Yorker, geboren und aufgewachsen in Jerusalem. Seine persönlichen Erfahrungen mit den Deutschen sind weniger positiv als die seiner "Freunde": Ein Teil seiner Familie wurde in der Shoah ermordet, seine Mutter hat ein Konzentrationslager überlebt.

Es gehört also einiges dazu, den Auftrag eines deutschen Verlages anzunehmen und sich ein paar Wochen in Deutschland umzusehen. Seine ersten Eindrücke sollte Tenenbom aufschreiben, einen ganz persönlichen Erfahrungsbericht erstellen. Diesen Auftrag nimmt er ernst und trifft sich mit Deutschen aller möglichen Schichten und Berufszweige. Er trifft JournalistInnen, PolitikerInnen, SozialarbeiterInnen, linke AktivistInnen und KirchentagsbesucherInnen, immer auf der Suche nach dem deutschen Selbstbild.

Von seinen Begegnungen in Deutschland berichtet der Autor auf seltsam flapsige Art, aus der Rolle eines Hofnarren heraus, der sich naiv stellt und deshalb die dümmsten Fragen stellen darf. Seid ihr stolz, deutsch zu sein? Was ist der deutsche Nationalcharakter? Und die Antworten sind entlarvend – einerseits. Es ist schockierend zu lesen, was einige seiner GesprächspartnerInnen von sich geben. Ein Helge Schneider, der Israelis und PalästinenserInnen zehn Dollar pro Stunde anbieten will, um "den Schutt und Müll aufzuräumen", um so den Nahostkonflikt zu lösen, ist vielleicht noch die harmloseste Variante. Der Biergartenbesucher, für den "ältere jüdische Damen" allesamt reich, weil im Diamantenhandel tätig sind, ist da schon weniger amüsant, ebenso wenig wie der Gesang eines Nazis, dem Tenenbom sich als deutschstämmiger Amerikaner vorgestellt hat. "So wurde wahrscheinlich meine Familie in den Tod geschickt, denke ich. Mit einem Lied und einem Lächeln auf den Lippen." Seine vermeintlich naive und unvoreingenommene Herangehensweise ermöglicht dem Autor die Entlarvung seiner GesprächspartnerInnen, ähnlich der Strategie, die Sasha Baron Cohen in seinem Film "Borat" verfolgte.

Auf der anderen Seite liegt in dieser Herangehensweise auch das Manko des Buches. Verallgemeinernde Fragen führen kaum zu differenzierten Antworten, und wer die Frage nach dem deutschen Nationalcharakter stellt, kann kaum eine tiefgreifende Abhandlung über Generalisierungen und Nationalismus erwarten. Wie Noah Sows Buch Deutschland Schwarz Weiß zum Rassismus in Deutschland hat auch "Allein unter Deutschen" ein Problem: Überraschend sind nur wenige der erhaltenen Antworten. Ja, die BesucherInnen eines Naziclubs zweifeln am Holocaust. Ja, viele Deutsche sind der Meinung, "die Juden" hätten zu viel Einfluss. Und ja, die meisten Menschen stellen eine völlig unzulässige Verknüpfung zwischen jedem einzelnen jüdischen Menschen und Israel her. Diese schockierenden Ergebnisse sind bekannt, unter anderem aus dem Antisemitismusbericht der Bundesregierung, der im Januar 2012 vorgestellt wurde.

Schade ist, dass Tenenbom auf eine tiefere Analyse dieser Ergebnisse verzichtet. Welche Schlüsse zieht er aus der weiten Verbreitung des Antisemitismus in Deutschland? Erst im Nachwort verliert er dazu einige wenige Sätze. Schade ist sein relativ oberflächlicher Umgang mit der wichtigen Thematik deshalb, weil er das Potential seines Buches, LeserInnen aufzurütteln, so verschenkt. Auf der einen Seite mokiert der Autor sich über die endlosen Verallgemeinerungen, mit denen er konfrontiert ist, auf der anderen Seite nutzt er genau dieses Mittel zu humoristischen Zwecken. Giovanni di Lorenzo, den Chefredakteur der Zeit, bezeichnet er durchgehend als "Halb und Halb", als Mann mit "typisch italienischen" und "typisch deutschen" Eigenschaften – unklar bleibt dabei, ob Tenenbom selbst an diese Zuschreibungen glaubt oder ob das Satire sein soll.

Situationen, in denen seine Befremdung verständlich ist, kommentiert er leider nicht mit dem gebührenden Scharfsinn, sondern meist mit einem schnell dahergedachten Satz, der nicht einmal besonders witzig ist. So wundert er sich etwa über die Unmengen an deutschen Flaggen während der Fußball-WM 2010 und erhält folgende Erklärung: "´Normalerweise gibt es hier keine Fahnen, nicht mal eine. Unsere Geschichte, wissen Sie. Wir sind hier nicht in Amerika.´" Seine wenig originelle Konklusion: "Meine lieben Deutschen. Warum seid ihr bloß so extrem? Könntet ihr nicht wenigstens einmal den Mittelweg wählen?´" Leider langweilt Tenenboms Stil daher nach einigen Kapiteln – er macht den Eindruck, nicht wirklich an den Zusammenhängen interessiert zu sein, und allein sein Staunen über die Idiotie vieler gänzlich durchschnittlicher Menschen reicht nicht aus, um das Buch zu tragen.

Vielleicht ist das Grundproblem der Ansatz, den Tenenbom wählt. Etwas über die Mentalität einer Bevölkerung herauszufinden, braucht vielleicht einen etwas differenzierteren Ansatz als immer nur die ewige Frage nach eben dieser Mentalität. Und vielleicht ist auch schon der Glaube falsch, dass es so etwas geben könnte wie eine "völkische Mentalität". Ebenso nervt auch die Fragestellung, mit der der Autor an alle MigrantInnen herantritt, mit denen er konfrontiert ist. Warum tragen diese Musliminnen bloß ein Kopftuch? Ist das nicht ein Zeichen ihrer Unterdrückung? Diese seltsame Aufklärerpose, mit der hier ein Mann auf die betroffenen Frauen losgeht, ist zumindest befremdlich.

Vielleicht ist das Buch dennoch interessanter für eine bestimmte LeserInnenschaft. Für alle, die sich noch nie mit den komplizierten Befindlichkeiten in diesem Land beschäftigt haben, mag es spannend sein zu sehen, wie ein vermeintlich antisemitismuskritisches Theaterstück am Ende doch in offenen Antisemitismus gipfelt, wie sich Linksradikale in ihrer undifferenzierten Israelkritik verheddern und wie sich türkische MigrantInnen und wohlmeinende Deutsche in ihrer Unterstützung von islamistischen Gruppierungen einig sind. Für alle anderen ist es ein bisschen zu wenig. Sowohl in seiner sprachlichen Schlichtheit als auch in seinen Konklusionen, die immer haltmachen, kurz bevor es wirklich spannend werden könnte, greift das Buch leider zu kurz.

Die aufregendste Erkenntnis ist vielleicht die folgende: "Zwischen dem deutschen Antisemitismus und dem islamischen Antisemitismus, ob in Gaza oder in Duisburg, liegen Welten. Ich habe mich mit den Türken in Marxloh trotz ihres Antisemitismus blendend verstanden. [...] Ich halte sie für rassistisch, sie halten mich für rassistisch, aber wir fühlten und absolut wohl miteinander [...] Es wird viel leichter sein, Frieden zwischen Israelis und Palästinensern zu schließen, als den Judenhaß des Deutschen auszumerzen."

AVIVA-Tipp: "Allein unter Deutschen" ist trotz des einfachen Sprachstils keine leichte Lektüre, zu abstoßend sind dazu viele der Bemerkungen, mit denen der Autor immer wieder konfrontiert ist. Eine etwas differenziertere Analyse und etwas weniger Verallgemeinerungen hätten dem Buch gutgetan. Trotzdem ist es aufschlussreich zu lesen, was sich hinter vielen Fassaden verbirgt.

Zum Autor: Tuvia Tenenbom wurde 1957 in Tel Aviv geboren, stammt aus einer deutsch-jüdisch-polnischen Familie und lebt seit 1981 in New York. Er studierte unter anderem englische Literatur, angewandte Theaterwissenschaften, Mathematik und Computerwissenschaften sowie rabbinische Studien und Islamwissenschaften, unter anderem an der St. John´s University und an der New York University. Er arbeitet als Journalist, Essayist und Dramatiker und schreibt für zahlreiche Zeitungen in den USA, Europa und Israel, darunter für Die Zeit, den italienischen Corriere della Sera und Yedioth Ahronoth aus Israel. 1994 gründete er das Jewish Theater of New York. "Allein unter Deutschen" ist sein erstes Buch auf Deutsch, es erschien 2011 auf Englisch unter dem Titel "I Sleep in Hitler´s Room". (Verlagsinformationen)

Der Autor im Netz:
Weitere Informationen zu Tuvia Tenenbom finden sich auf der Webseite des von ihm gegründeten Jewish Theater of New York: jewishtheater.org

Tuvia Tenenbom
Allein unter Deutschen. Eine Entdeckungsreise

Suhrkamp Taschenbuch, erschienen 10.12.2012
431 Seiten
16,99 Euro
ISBN: 978-3-518-46374-1

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Claire Horst