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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 17.04.2008


Vom Politikverbot ins Kanzleramt
Britta Leudolph

Claudia von Gélieu beschreibt den hürdenreichen Weg der Frauen in die Politik. Ein geschichtlicher Überblick mit vielen aufregenden Persönlichkeiten insbesondere aus Berlin, vom Mittelalter bis...




...in die heutige Zeit.

Vor einhundert Jahren, im Frühjahr 1908, wurde das Politikverbot für Frauen in Deutschland aufgehoben - ein Meilenstein. Zuvor wurde Frauen vordergründig geistige Beschränkung und Unmündigkeit unterstellt, sie müssten vor politischer Verführung geschützt werden - natürlich ein Vorwand - es war einmal mehr Mittel zum Machterhalt der feudalen Fürsten nach der ersten deutschen Revolution 1848 und deren Scheitern, "[...] um solche Umsturzversuche für die Zukunft im Keime zu ersticken."

Von Gélieu erzählt die Geschichte politischer und sozialer Frauenbewegungen in Deutschland von der Feudalzeit bis zur Kanzlerinnenschaft Angela Merkels. Immer wieder zeigt sich, dass gerade gesellschaftliche Umbruchszeiten große Chancen für politisch engagierte Frauen boten, wie in den Jahren 1948 oder 1989.

Besonders interessant sind die Portraits, heute zum Teil leider vergessener, Vorreiterinnen der Emanzipation, zum Beispiel Louise Aston: "1844 hat sich die geschiedene allein erziehende Mutter in Berlin niedergelassen, um hier als Schriftstellerin ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter zu verdienen. Dass sie in anarchistischen Intellektuellen- und Künstlerkreisen wie den "Berliner Freien" verkehrte, hatte ihr eine anonyme Anzeige eingebracht, in der sie beschuldigt wurde, "die frivolsten Herrengesellschaften zu besuchen, einen Klub emanzipierter Frauen gestiftet zu haben und nicht an Gott zu glauben"." 1846 wurde sie aus Berlin ausgewiesen, weil die Obrigkeit befürchtete, "[...] dass sie ihre künftigen Schriften, die gewiss so frei wie ihre Ansichten sind, hier verbreitet." Dies hielt Aston jedoch nicht von ihren Veröffentlichungen ab.

Claudia von Gélieu wirft aber auch einen Blick auf die Grabenkämpfe innerhalb der Frauenbewegung: gerade in Deutschland war sie alles andere als einig, Bürgerliche distanzierten sich ausdrücklich von Arbeiterinnen, was nicht gerade zum Erfolg beitrug.

Die Autorin zeigt zudem auf, welche Nachwirkungen das Politikverbot bis in die Gegenwart hat. Eines wird ganz deutlich: Die Politik wird auch unter Kanzlerin Merkel in der Mehrheit von Männern bestimmt und eine Frau an der Spitze bedeutet nicht zwangsläufig mehr Gleichberechtigung. "Im Gegenteil: Schon lange hat Frauenpolitik in den Wahlprogrammen, im Wahlkampf und in den Regierungsprogrammen keine geringere Rolle gespielt als mit einer Frau als Spitzenkandidatin und Bundeskanzlerin. [...] Angela Merkel [ist] auch der Beweis dafür, dass Frauen keineswegs eine sozialere und friedlichere Politik machen als Männer."

Zur Autorin: Claudia von Gélieu forscht seit über zwanzig Jahren zur Frauengeschichte. Als Politikwissenschaftlerin und aus der parteilichen Arbeit kommend, stand für sie immer die Geschichte des frauenpolitischen Engagements im Vordergrund. Ihre Forschungsergebnisse vermittelt sie seit 1988 in Form von Führungen zu den historischen Wirkungsorten der Frauen, durch Vorträge und Publikationen. Seit 2004 betreibt sie zusammen mit Beate Neubauer die beliebten "Frauentouren". Sie wurde 2001 mit dem Frauenpreis des Berliner Senats ausgezeichnet. Von ihr sind unter anderem folgende Bücher erschienen: "Loben Sie mich als Frau... - Berliner Frauengeschichten erzählt" (Edition q, 2001), "Kurfürstin, Köchin, Karrierefrau. Zehn Berliner Porträts." (Edition Ebersbach, 2005) und "Die Erzieherin der Königin Luise. Salomé de Gélieu." (Pustet, 2007).

Lesen Sie auch auf AVIVA-Berlin: Exkursionen in die Frauengeschichte - 2005.

AVIVA-Tipp: Claudia von Gélieu hat mit " Vom Politikverbot ins Kanzleramt - Ein hürdenreicher Weg für Frauen" einen spannenden Überblick über die Entwicklung politischer und sozialer Frauenbewegungen verfasst. Mit ihrer bildhaften, anschaulichen Sprache werden die Historie und ihre Protagonistinnen lebendig. Die Autorin beschreibt die deutschen Vorreiterinnen der Emanzipation mit viel Empathie, bewahrt jedoch die notwendige kritische Distanz. "Vom Politikverbot ins Kanzleramt" ist eine gelungene, leider etwas zu kurze, Zusammenfassung des politischen Wirkens der Frauen in Deutschland.

Vom Politikverbot ins Kanzleramt - Ein hürdenreicher Weg für Frauen
Claudia von Gélieu
Lehmann Media, erschienen Februar 2008
192 Seiten
ISBN 978-3-86541-265-2
12 Euro


Literatur

Beitrag vom 17.04.2008

Britta Leudolph