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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 22.07.2013


Helmut Böttiger - Ingeborg Bachmann
Evelyn Gaida

Die Fotografien und Dokumente dieses Bildbands sind faszinierend und aufschlussreich. Ein biographischer Kurzabriss fungiert als sparsamer Begleittext. Angesichts der Komplexität des Themas behilft..




... sich der Autor mit Fährtenlegen und zeigt sich gegenüber Versuchungen der Mythisierung auffallend immun. Für sein Sachbuch "Die Gruppe 47. Als die deutsche Literatur Geschichte schrieb" erhielt Helmut Böttiger den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse.

Im knappen Bildband zu Ingeborg Bachmann wählt der Autor als zentrale Darstellungskoordinaten prägende Beziehungen der Schriftstellerin zu Männern und Bachmanns "Bewusstwerden des eigenen Ortes in der Zeitgeschichte". Der Eindruck des Versatzstückhaften ist unvermeidlich, stellenweise jedoch auch Vorzug des Buchs, das von Sensationslust am Tragischen frei ist und seine Schwerpunkte dementsprechend setzt.

Bachmanns Beziehung zu Max Frisch, mit dem sie zwischen 1958 und 1962 zusammenlebte, widmet Böttiger nur den nötigsten Raum – Bachmann hat "sämtliche Spuren, die auf Frisch verweisen, getilgt und nie über ihn gesprochen." Am Subtext von Frischs 1975 publiziertem Buch "Montauk", sei jedoch unschwer zu erkennen, dass er ihr nicht gewachsen war, so Böttiger. Mit ihrem Erzählungsband "Das dreißigste Jahr" (1961), in dem Bachmann gegenüber wortlos bleibenden Frauen fast immer eine männliche Perspektive einnimmt, provozierte die Autorin die Öffentlichkeit und wurde von RezensentInnen einhellig als "gefallene Dichterin" gehandelt.

Die Prosatexte, die Bachmann in den 60er-Jahren bis zu ihrem Tod schrieb, hebt Böttiger als "beeindruckende literarische Erforschungen der Rolle der Frau in der Moderne" hervor: "Sie nehmen alle formalen und ästhetischen Möglichkeiten auf, die in dieser Zeit in der Luft und manchmal auch noch gar nicht in der Luft lagen." Die monströse Vater-Tochter-Beziehung in Bachmanns Roman "Malina" (1971) sieht der Autor als Verarbeitung männlicher und weiblicher Verhaltenszuschreibungen, die ihm zufolge Nachwirkung und Zurichtung des faschistischen Österreichs sind.

"Die entscheidende, die tiefgreifendste Beziehung für Ingeborg Bachmann war allerdings nicht diejenige zu Max Frisch, sondern die zu Paul Celan", lautet Böttigers These – "trotz aller Indizien immer unterschätzt." So hebt Böttigers Kurzbiographie Celan als immer wiederkehrenden Bezugspunkt in Bachmanns Leben hervor, als tiefe Bindung, "von der feststand, dass sie unmöglich war zu leben." Die Begegnung mit Paul Celan im Mai 1948 interpretiert der Autor als künstlerische Erweckung Bachmanns, deren Gedichte Anfang der 50er-Jahre eine grundlegende Änderung durchliefen. Das persönliche Verhältnis der beiden DichterInnen blieb vor dem Hintergrund ihrer konträren Lebenserfahrungen jedoch ein Ringen um Verständigung: Bachmann zunächst die lebenshungrige Philosophiestudentin aus Klagenfurt, die "frei sein", wollte, arbeiten, schreiben. Celan der Exilierte und ehemalige Zwangsarbeiter aus Czernowitz, dessen Lyrik eine Grabschrift sein sollte, unter anderem für seine ermordeten Eltern. Er selbst war nur knapp dem Massenmord an den Jüdinnen und Juden entronnen.

"Wie eine Heldin" wirke Bachmanns aussichtsloser Kampf in den Briefen an Celan, schreibt Böttiger. Mit ihrer Lyrik erlangte die Schriftstellerin zu Beginn der 50er-Jahre in Deutschland schlagartige Berühmtheit. Sie war erfolgreicher und etablierter im Literaturbetrieb als Celan, für den sie sich zeitlebens einsetzte: In der dritten ihrer "Frankfurter Vorlesungen" von 1959/60 etwa hob sie ihn gegenüber KritikerInnen, die ihn "in borniertester und durchaus auch antisemitischer Weise ad acta legen und gleichzeitig die hämischsten Gegner der Gruppe 47 sind", als "den Maßstab zeitgenössischer deutschsprachiger Lyrik überhaupt" hervor. Eine inspirierende und beflügelnde Lebens- und Arbeitsgemeinschaft erfuhr Bachmann 1953 auf der Insel Ischia mit dem homosexuellen Komponisten Hans Werner Henze, den sie im Jahr zuvor bei der Gruppe 47 kennengelernt hatte.

Die beeindruckenden Fotos des Bildbands sprechen ihre ganz eigene rätselhafte und vielgestaltige Sprache. Sie zeigen unter anderem Bachmanns äußere Wandlungen: Die Studentin im frühen adretten "Fräulein"stil oder die Dichterin 1953 als selbstbewusste Trägerin von Hosen, zu einer Zeit, in der das für Frauen noch äußerst unüblich war. Mit eigenwilligem Bubikopf auf dem Cover des "Spiegel" vom August 1954, später als schillernde Figur des gesellschaftlichen Lebens, fröhlich und animiert oder konzentriert in Gespräche versunken, umgeben von Persönlichkeiten wie Ilse Aichinger, der Opernsängerin Gloria Davy, Willy Brandt, Heinrich Böll oder Günter Grass. Blondiert und modisch auf einer Fotostrecke, die ihr häusliches Leben in Rom 1968 idyllisch inszeniert, ein Jahr darauf im schwarzen Lackmantel ebenfalls in Rom. Und immer wieder die Intensität ihrer Augen.

Wer Ingeborg Bachmann verstehen wolle, so hält Böttiger bereits zu Beginn fest, müsse im Blick behalten, dass sie eine Spielerin war, die Erwartungshaltungen der Öffentlichkeit entsprechend handhabte und Einzelheiten ihres Lebens immer wieder neu zusammensetzte. Eine autobiographische Grundlage ihres Werks und ihres literarischen Umgangs mit dem eigenen Leben könne erst diskutiert werden, wenn genügend Quellen erschlossen seien, derzeit aufgrund von Nachlassbestimmungen unmöglich. Dennoch sieht Böttiger in der Figur des Trotta aus dem Prosaband "Simultan" (1972), der Figur des slawisch-jüdischen Exilierten, des heimatlosen und unerreichbaren Geliebten das Herzstück von Bachmanns konkretem und imaginärem Kosmos.

AVIVA-Tipp: Die vielfältigen Bilder dieses Bands erzählen jedes für sich bereits eine eigene Geschichte. Helmut Böttiger stellt ihnen einen biographischen Kurzabriss zur Seite, dessen Thesen und inhaltliche Auswahl zur tiefergehenden Auseinandersetzung mit Ingeborg Bachmanns persönlicher und literarischer Welt, ihrem historischen und gesellschaftlichen Kontext herausfordern – obwohl oder gerade weil der Autor sich, mit Fokus auf Paul Celan, weitgehend auf prägende Beziehungen der Schriftstellerin zu Männern konzentriert.

Zum Autor: Helmut Böttiger, geboren 1956 in Creglingen, studierte Germanistik in Freiburg. Nach verschiedenen Stationen als Literaturredakteur lebt er seit 2002 als freier Autor in Berlin. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen gehören "Orte Paul Celans" (1996), "Ostzeit – Westzeit. Aufbrüche einer neuen Kultur" (1996), "Nach den Utopien. Eine Geschichte der deutschen Gegenwartsliteratur" (2004) und "Doppelleben. Literarische Szenen aus Nachkriegsdeutschland" (2009). Er wurde 1997 mit dem Ernst-Robert-Curtius-Förderpreis für Essayistik, 2012 mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik und 2013 mit dem Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. (Quelle: Deutscher Kunstverlag)

Helmut Böttiger
Ingeborg Bachmann

Deutscher Kunstverlag, 2013
Hardcover, 64 Seiten mit
ISBN 978-3-422-07155-1
19,90 Euro
www.deutscherkunstverlag.de

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Beitrag vom 22.07.2013

Evelyn Gaida