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Beitrag vom 19.01.2017
Anna Kaminsky - Frauen in der DDR
Christina Mohr
Die Auffassung, dass die DDR in punkto Gleichberechtigung von Frauen ein wahres Fortschrittswunderland gewesen sei, ist nach wie vor weit verbreitet. Doch wie gestaltete sich die Lebensrealität der Frauen tatsächlich? Die Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur...
... Übersetzerin und Autorin Anna Kaminsky, versucht in ihrem Buch "Frauen in der DDR" einen umfassenden Einblick in das wahre Leben der weiblichen DDR-Bevölkerung zu geben – und dem gängigen Bild der DDR als zumindest im Bezug auf Gleichberechtigung der Geschlechter fortschrittlichem Land zu widersprechen.
Die DDR nahm die Gleichberechtigung bereits 1949 in ihre erste Verfassung auf (zum Vergleich: In der BRD wurde dieser Punkt erst 1957 Bestandteil der Verfassung), und auch, dass Ende der 1980er Jahre über 90 % der DDR-Frauen berufstätig waren, gilt als Beweis für das emanzipierte Neben- und Miteinander der Geschlechter. Nicht ganz zu Unrecht: noch bis Ende der 1970er Jahre musste die westdeutsche Ehefrau ihren Gatten um Erlaubnis bitten, wenn sie arbeiten gehen wollte – in der DDR wurde mehr oder minder vorausgesetzt, dass Frauen erwerbstätig waren und sich mittels Fortbildung "qualifizierten". Dass die so erlangte finanzielle Unabhängigkeit von Frauen vom Staat natürlich nicht uneigennützig gefördert wurde, sondern dass es schlicht zwingend notwendig war, dass sich möglichst viele Menschen in den Dienst und Aufbau des noch jungen DDR-Sozialismus stellten, liegt auf der Hand – und wurde in der späteren historischen Aufarbeitung auch kaum in Frage gestellt. Männliche Seilschaften herrschten auch und sogar besonders in der DDR, selbst wenn Frauen in Männerberufen reüssierten: in die vorderen Reihen von Wirtschaft und Politik gelangten sie nicht. So gab es während der gesamten DDR-Zeit ganze zwei Ministerinnen: Justizministerin Hilde Benjamin und Margot Honecker (Volksbildung). Durchaus widersprüchlich zum geläufigen Bild, dass die Gleichberechtigung in der DDR schneller und umstandsloser als in der BRD vonstatten ging, und doch lässt sich Geschichte nur begreifen, wenn alle Seiten beleuchtet werden.
Kaminsky, selbst in der DDR geboren und aufgewachsen, tut sich deshalb auch ein wenig schwer mit der "Aufdeckung" von Umständen, die im Grunde bekannt sind: Die Mehrfachbelastung berufstätiger DDR-Frauen, die nach Dienstschluss die Kinder aus der Krippe holten, Einkäufe tätigen (angesichts der Mangelwirtschaft ohnehin ein Abenteuer) und zuhause natürlich den Haushalt erledigen mussten, weil der DDR-Mann der Emanzipation genauso hinterherhinkte wie der BRD-Mann – beziehungsweise wenig Interesse an der Beteiligung an "weibischen" Tätigkeiten wie Kochen und Putzen hatte. Anders als in Westdeutschland griff allerdings der Staat tiefer ins Familienleben ein, empfahl und verordnete anhand von Broschüren, dass auch Frauen am kulturellen und politischen Leben teilhaben sollten – und konnte doch im Privaten wenig verändern. Anna Kaminsky greift auf Studien und Zahlenmaterial zurück, da das Buch zunächst eine wissenschaftliche Arbeit werden sollte, wovon der Verlag später zurücktrat und "Frauen in der DDR" als Sachbuch platzierte. Tatsächlich bekommt frau bei der Lektüre den Eindruck, dass die Autorin zwischen Wissenschaftlichkeit und dem Wunsch, möglichst viel Lebendiges, auch Belletristisches unterzubringen, hin- und hergerissen ist: Porträts von Künstlerinnen, Sportlerinnen und Bürgerrechtlerinnen, dazu Romanausschnitte aus Werken von Brigitte Reimann, Christa Wolf oder Maxie Wander kontrastieren hart mit Tabellen und Zahlenkolonnen und bilden eher ein Sammelsurium als ein kohärentes Ganzes.
Zur Illustration des paradoxen Frauenbildes in der DDR (ein Kapitel heißt Zwischen "Zierde des Mannes" und "sozialistischer Persönlichkeit") werden Seiten aus Versandhandelskatalogen oder Fotos aus der avantgardistischen Frauenzeitschrift "Sybille" gezeigt (ein sehr empfehlenswertes Buch über "Sybille" erschien unlängst im Hartmann-Verlag), die einerseits das modische Selbstbewusstsein der DDR-Frau wecken, gleichzeitig aber keinerlei Berührungspunkte zu westlicher Dekadenz bieten sollen. Die Ergebnisse sind oft bieder, aber andererseits: Das war der Quelle-Katalog anno 1962 auch.
Die Nazi-Vergangenheit der weiblichen DDR-Bevölkerung wird im Vergleich zu anderen Themen relativ kurz abgehandelt und fokussiert hauptsächlich auf zum Tode verurteilte Gattinnen von Spionen – die Frage, ob und wie die unbestreitbare nationalsozialistische Prägung der künftigen DDR-Bürgerinnen und –Bürger die Entstehung und Entwicklung des sozialistischen Vorzeigestaates beeinflusst haben könnte, wird nicht gestellt.
AVIVA-Fazit: Dass das Thema Frauen in der DDR komplex ist und keineswegs abschließend betrachtet werden kann, zeigt sich mit Anna Kaminskys Buch. Viele Fragen sind bereits gestellt und beantwortet worden, in vielen Dingen unterschied sich das Leben der Frauen in der DDR von dem ihrer westdeutschen Schwestern, nicht wenige Probleme aber waren gleich – klingt banal, ist aber ein Kritikpunkt an dem nicht immer geglückten Versuch, ein einziges, erklärendes Buch über DDR-Frauen schreiben zu wollen. Es wird nicht wirklich klar, ob und warum Anna Kaminsky das Vorurteil widerlegen möchte, die DDR sei feministisch-fortschrittlich gewesen, oder ob es ihr vornehmlich darum geht, die Bestrebungen der DDR mit all ihren Hindernissen und Widersprüchen darzulegen.
Zur Autorin: Anna Kaminsky, geboren in Gera, aufgewachsen in Dessau und Halle, Studium der Theoretischen und Angewandten Sprachwissenschaft in Leipzig. Nach dem Abschluss als Diplom-Sprachmittlerin arbeitete Kaminsky als Übersetzerin und promovierte 1993. Seit 1998 Mitarbeiterin und seit 2001 Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Gemeinsam mit Hartmut Jäckel und Hermann Simon hat sie zu den Schicksalen der Menschen hinter dem letzten amtlichen Fernsprechbuch der Reichspostdirektion Berlin recherchiert, das unter dem Titel "Berliner Juden 1941 – Namen und Schicksale" 2007 im Hentrich und Hentrich Verlag erschien.
Ebenfalls im Christoph Links Verlag von Anna Kaminsky erschienen sind die Bücher "Kaufrausch. Die Geschichte der ostdeutschen Versandhäuser" (1998), "Weltende - Die Ostseite der Berliner Mauer" sowie "Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR" (3. Auflage 2016).
Mehr Infos zu Anna Kaminsky und zur Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur finden Sie unter: www.bundesstiftung-aufarbeitung.de
Anna Kaminsky
Frauen in der DDR
Christoph Links Verlag, erschienen Oktober 2016
ISBN 978-3-86153-913-1
Hardcover mit Schutzumschlag, 320 Seiten, 77 Abb. s/w
www.christoph-links-verlag.de
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