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Beitrag vom 24.07.2010
Klaus Bellin - Es war wie Glas zwischen uns. Die Geschichte von Mary und Kurt Tucholsky
Christina Boge
Eine Liebe, die nicht gelebt werden konnte: Die Verbindung zwischen Kurt und Mary Tucholsky. Einen kurzweiligen Einblick in das komplizierte Liebesleben eines der größten Schriftsteller...
... des letzten Jahrhunderts bietet der Journalist Klaus Bellin in seinem neuen Buch.
Sein Name ist berühmt, sein Lebenswerk auch. Was jedoch nur wenige wissen, ist, was den privaten Kurt Tucholsky ausmachte. Bekannt sind vor allem seine zahlreichen Affären. Klaus Bellins "Es war wie Glas zwischen uns" offenbart nun erstmals in aller Deutlichkeit und sehr detailliert Tucholskys Liebschaften und insbesondere die eine, die wahre Liebe zwischen der Deutschbaltin Mary und dem bereits zu Lebzeiten berühmten Literaten.
Eine Liebe, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. 11. November 1917: Mit 27 und 19 Jahren begegnet sich das zukünftige Paar zum ersten Mal – mitten im Ersten Weltkrieg. Sie, die sich als freiwillige Helferin gemeldet hat, und er, seinen Dienst leistend. Er, von ihr angezogen und sie stark umwerbend, sie, zurückhaltend, aber interessiert.
Langsam aber sicher gelingt es dem Frauenheld, die kühle Blonde mit poetischen Briefen und Gedichten für sich zu gewinnen. Es könnte nun so einfach sein. Ist es aber nicht. Denn Mary, die Bellin als unnahbar, ernst und sehr intelligent beschreibt, entwickelt eine tiefe Zuneigung zum Seelenverwandten – die dieser zwar erwidert, aber nicht (aus)leben kann. Ist die Geliebte fort, schmerzt ihn die Entfernung, ist sie dagegen bei ihm, wird ihm ihre Nähe schnell unerträglich.
Briefe und Tagebucheinträge des Paares, die Bellin genauestens ausgewertet und zusammengestellt hat, lassen einen Tucholsky erkennen, der auf einer permanenten Flucht vor einer festen Bindung, vor der Welt, ja vor sich selbst ist und eine Mary, die zunehmend darunter leidet.
Hochachtung für Bellin, der einen solch privaten Einblick ermöglicht, indem er unzählige persönliche Schriftstücke aufgearbeitet hat und einzelne Passagen wortgetreu wiedergibt. Der Autor zeichnet mit dem Blick für das Wesentliche die Aufs und Abs eines Paares nach, das weder ohne noch miteinander kann. Zwar beteuert Tucholsky der jungen Frau immer wieder seine Liebe. Doch trotz großer Verlustängste hat er stets andere Geliebte neben Mary, welche seine Bindungsunfähigkeit zwar missbilligt, jedoch zumindest teilweise still erträgt. Für Tucholsky nimmt sie viele Strapazen in Kauf: Das Leben in Nazi-Deutschland, den Umzug nach Paris, die erste Trennung nach zu großen Differenzen, schließlich doch die Hochzeit.
Aber irgendwann wird beiden klar: So geht es nicht weiter. Sicherlich sind die Depressionen Tucholskys und sein Selbstmord im Jahr 1935 auch auf seine unglückliche Liebe und deren Ende zurückzuführen. Sogar nach seinem Tod – selbst in ihm trägt er Marys letzten Brief bei sich – ist es Mary, die die entscheidende Rolle spielt. Sie ist es, die Tucholskys gesamtes Erbe antritt, obwohl die beiden schon längst nicht mehr zusammen sind. Dennoch setzt Mary alles daran, dass die Werke des Schriftstellers Jahre später veröffentlicht werden und macht ihn damit zu dem, was er heute ist. Das Traurige ist, dass Tucholsky immer wusste, was er an seiner Mary hatte, doch es nie zeigen konnte. Noch kurz vor seinem Freitod schrieb er in sein Tagebuch: "Es war wie Glas zwischen uns – ich war schuld."
AVIVA-Tipp: Bellin ist mit dieser akribischen und ästhetisch sehr schönen Darstellung ein bewegendes Zeugnis einer einzigartigen Verbindung gelungen. In knappen Sätzen und als weitgehend objektiver Zeuge beschreibt Bellin den Weg des Tucholsky, den viele Frauen kreuzten, doch den nur eine aufrecht mit ihm ging. Der literarische Verdienst Tucholskys spielt hier ausnahmsweise einmal nur eine Nebenrolle. Fazit: Eine trotz des bewegenden Stoffs leichte und hervorragende Lektüre für den Sommer!
Zum Autor: Klaus Bellin ist Kritiker und Publizist. Nach dem Studium der Germanistik und Geschichte arbeitete er viele Jahre als Redakteur in Berlin. Er schrieb Essays und Radiofeatures, unter anderem über Gerhart Hauptmann, Kurt Tucholsky oder Anna Sehers. 2006 erschien sein Band Augenblicke der Literatur. Dichter zwischen Klassik und Moderne. (Verlagsinformation)
Klaus Bellin
Es war wie Glas zwischen uns. Die Geschichte von Mary und Kurt Tucholsky
verlag für berlin-brandenburg, erschienen März 2010
Gebunden, 165 Seiten
ISBN 978-3-86650-039-6
19,90 Euro
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