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Beitrag vom 14.01.2011
Judy Chicago und Frances Borzello - Frida Kahlo: Face to Face
Anna Hohle
Seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat Frida Kahlo eine wahre Popularitäts-Renaissance erlebt. Die Künstlerin und Feministin Judy Chicago hat nun einen weiteren Bildband zum Werk ...
... der herausragenden mexikanischen Malerin herausgebracht.
Judy Chicago erlangte spätestens mit ihrer Installation The Dinner Party (1979) – einer monumentalen Hommage an historische Frauenpersönlichkeiten – weltweite Bekanntheit. Seit Jahrzehnten setzt sie sich unermüdlich für eine adäquate Würdigung der Leistungen von Künstlerinnen für das weltweite Kulturerbe ein.
In Frida Kahlo: Face to Face begibt sie sich gemeinsam mit ihrer Co-Autorin, der Kunsthistorikerin Frances Borzello, auf die Suche nach einem objektiven und unverfälschten Blick auf Kahlos umfangreiches Werk. Zu oft sei deren Kunst, so Chicago, als Ausdruck einer bloßen Reaktion wahrgenommen worden: häufig auf die Bilder Diego Rivieras oder biographische Umstände. Selten würden ihre Bildnisse als eigenständige Kreationen betrachtet, als Kunst, die nicht auf etwas referiert, die nicht nur verarbeitet, sondern auch im Sinne einer l´art pour l´art eine überpersonelle Gültigkeit besitzt.
Chicago und Borzello wählten 90 Arbeiten Kahlos aus, um sie in dem 249 Seiten umfassenden Bildband anhand verschiedener übergeordneter Kategorien zu betrachten. Es handelt sich dabei um Begriffe, die wiederkehrende Themen in Kahlos Werk beschreiben, ohne es jedoch auf diese wenigen Motive beschränken zu wollen.
Anhand jener Stichworte, die gleichzeitig als Kapitelüberschriften dienen, geben Chicago und Borzello einen Einblick in das weite Themen-Spektrum von Kahlos Kunst.
Unter der Überschrift Frida´s Circle verzeichnen sie zunächst Portraits von engen FreundInnen, Gönnern und Familienmitgliedern. Das anschließende Kapitel Mirror Images fasst Bildexempel für die reichhaltigen Facetten von Kahlos Spiel mit Identitäten und (konstruierten) Selbstbildern zusammen.
Es folgen Beispiele unter den Kapitelüberschriften Mexican Identity und My Diego, welches die Präsenz der Person Diego Rivieras in Kahlos Bildnissen zum Thema hat. Fridas Cosmology, My Menagerie,Fruit and Flowers sowie Divided Self bilden weitere Themenschwerpunkte. Das letzte Kapitel befasst sich unter der Überschrift Inside Out mit jenen Werken Kahlos, die die BetrachterInnen mit der schonungslosen Darstellung von Körperlichkeit, Brutalität, Schmerz und Leid konfrontieren.
Einen besonderen Reiz erhält Frida Kahlo: Face to Face durch die bildbegleitenden Kommentare Chicagos und Borzellos, die sich in Dialogform interpretatorisch mit Kahlos Darstellungen auseinandersetzen. Immer wieder zieht Chicago dabei beispielhaft Werke zeitgenössischer KünstlerInnen heran, an denen sich der Einfluss Kahlos ablesen lässt. Im Vorwort Frida Kahlo and I schildert sie zudem ihre eigene künstlerische Auseinandersetzung mit der Mexikanerin.
Frances Borzello widmet sich in ihrem einführenden Text The Art of Life einem speziellen Merkmal von Kahlos Arbeit: Der häufigen Anspielung auf die Retablos: kleine Votivbildchen der mexikanischen Volkskunst, die sich in Dank der Überwindung von Leid und Gefahr durch Heilige widmen. Borzello betont die große Bedeutung jenes Formates für Kahlos Kunst: "The overwhelming characteristic of even the most primitive retablo is its intimicy: its evidence of the fervent emotion of people dealing with distressing events with space for their personal words of thanks. All at once Frida had a format that allowed her to speak about the things that overwhelmed, disturbed, or fascinated her".
Das Resultat der Zusammenarbeit von Chicago und Borzello ist ein sehens- und lesenswerter Einblick in die Arbeit einer brillanten Malerin und gleichzeitig ein faszinierender Dialog zwischen den Werken ganz unterschiedlicher Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Kahlo war eine der ersten in großem Rahmen erfolgreichen Künstlerinnen und bezeichnet in diesem Sinne laut Chicago auch ein "symbol of the new freedom claimed by women artists and the historic changes that brought women´s creative voices into the world".
Ihr künstlerisches Erbe öffnet den BetrachterInnen den Blick auf das Verborgene, Unheimliche, Triebhafte und Unbewusste – das durch und durch Private und verweist dennoch auf die Universalität jener Erfahrungen. Sie war Chicago zufolge "able to transform her private reality into universal thruths, thereby transcending the rallying cry of 1970s feminism – that the personal is the political. Instead, her work teaches us that through art, one person´s private universe has the capacity to reveal many people`s experiences".
Nicht zuletzt verdienen die für Buchumschlag und Layout des Bandes zuständigen GrafikerInnen ein dickes Lob. Hochwertiges Material und edles Design bestimmen bereits das auffallend schöne Cover. Jede der 249 Seiten ist dank der kunstvollen Gestaltung einen zweiten Blick wert. Frida Kahlo: Face to Face ist rein optisch definitiv zu schade fürs Regal und stellt selbst ein kleines Kunstwerk dar.
AVIVA-Tipp: Dieser umfangreiche Bildband gefällt zunächst rein optisch: Es ist ein wahres Vergnügen, ihn zu durchblättern und sich am aufwendigen und bildschönen Layout zu erfreuen. Auch inhaltlich überzeugt das Konzept von Chicago und Borzello: Es lädt zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Werk der mexikanischen Malerin ein, ohne sich auf die bekannten biographischen Eckdaten zu beschränken. Die LeserInnen erhalten Einblicke in die zahlreichen Facetten des Werkes einer faszinierenden Frau und schillernden Persönlichkeit, die trotz widrigster Lebensumstände eine Vorreiterin weiblicher Kunst wurde.
Zu den Autorinnen:
Judy Chicago ist Künstlerin, Autorin, Erzieherin und Feministin. Sie gründete in den siebziger Jahren gemeinsam mit Miriam Schapiro das CalArts Feminist Art Program und organisierte mit Womanhouse eine der ersten feministischen Kunstausstellungen. Mit der Installation The Dinner Party wurde sie weltbekannt. Darüber hinaus initiierte sie viele weitere feministische Kunstprojekte wie das Birth Project, Powerplay und Resolutions: A Stitch in Time. Ihr Projekt The Holocaust Project: From Darkness Into Light thematisiert den Völkermord an den europäischen Juden im 20. Jahrhundert. Chicago erhielt zahlreiche internationale Preise. 2005 wurde sie vom Magazin der Union for Reform Judaism zu einer der Eight Jewish Women Who Changed the World gewählt.
Weitere Infos und Kontakt: www.judychicago.com
Frances Borzello ist Kunsthistorikerin und Autorin. Einen Schwerpunkt ihrer Arbeit bildet das Thema Frauen in der Kunstgeschichte. Borzello untersuchte dabei sowohl die Thematik der Frau als Model als auch die der Frau als Künstlerin. Sie veröffentlichte zahlreiche Publikationen wie Ihre eigene Welt. Frauen in der Kunstgeschichte, Wie Frauen sich sehen. Selbstbildnisse aus fünf Jahrhunderten, A World of Our Own: Women as Artists, Reclining Nude und The Artist´s Model. Borzello lebt und arbeitet in London.
(Quellen: Verlagsinformation, Homepage von Judy Chicago)
Judy Chicago und Frances Borzello
Frida Kahlo: Face to Face
Prestel-Verlag, erschienen Oktober 2010
englisch
Bildband, Hardcover, 252 Seiten
ISBN 978-3791343600
49,95 Euro
www.randomhouse.de
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