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Beitrag vom 11.09.2017
Stefan Moses - Begegnungen mit Peggy Guggenheim
Silvy Pommerenke
Zweimal kam es zu Begegnungen zwischen dem Fotografen Stefan Moses und der Kunstsammlerin Peggy Guggenheim. 1969 und 1974. Beide Male reiste Moses nach Venedig, wo Guggenheim ihren berühmt-berüchtigten Palazzo Venier dei Leoni hatte, der ihr Wohnraum und öffentliches Museum zugleich war.
Dem Wahl-Münchner Stefan Moses ist ein schillerndes Portrait einer schillernden Persönlichkeit gelungen, die zu Lebzeiten bereits eine Legende war. Und dies alles vor der Kulisse Venedigs, "die Stadt als Bühne, in deren Mittelpunkt Peggy Guggenheim als launenhafter Star und Paradiesvogel agiert". Mit dabei natürlich immer ihre heißgeliebten Lhasa-Terrier. Vierzehn Stück hatte sie zwischen 1949 und 1979. Und was könnte bei dieser tierischen Liebe angebrachter sein, als dass sie neben ihrem Frauchen begraben liegen. Im Garten der Villa finden sich die beiden Grabsteine. Auf dem der Hunde lautet die Inschrift: "Here lie my beloved Babies". Peggy Guggenheim, exzentrisch, bis über ihren Tod hinaus.
Aber neben ihrer Leidenschaft für Hunde hatte sie zeitlebens vor allem eine außergewöhnliche Leidenschaft für moderne Kunst. Seit 1938 sammelte sie diese und war gleichzeitig Mäzenin. Vor allem leistete sie einigen berühmten europäischen KünstlerInnen finanzielle Hilfe, die vor den Nazis fliehen mussten. Selbst einer jüdischen Familie entstammend, musste auch sie Frankreich verlassen, jedoch nicht bevor auch der Transport ihrer mittlerweile beachtlichen Sammlung europäischer Kunstwerke nach Amerika geregelt war. Gemeinsam mit Max Ernst, den sie noch im gleichen Jahr heiratete, floh sie 1941 von Frankreich nach New York. Peggy Guggenheim übersiedelte 1948 schließlich nach Venedig, wo sie den Palazzo Venier dei Leoni am Canal Grande mit Garten aus dem 18. Jahrhundert kaufte und umbauen ließ. Ab 1951 öffnete sie ihn in den Sommermonaten auch für die Öffentlichkeit. Der Palazzo ist im vorliegenden Bildband sowohl Kulisse als auch Bühne, auf der Peggy Guggenheim trotz ihres Alters nichts an Ausdruckskraft verloren hat. Das ganze Haus atmet Kunst aus und Guggenheim inmitten dieses musealen Ambientes zu sehen, ist äußerst beeindruckend. Selbst ihr türkisfarbenes Schlafzimmer hat sie für Moses geöffnet, und das Kopfteil des Bettes (von Alexander Calder 1945/46 angefertigt) findet in einer Nahaufnahme besonderes Augenmerk.
Ein weiterer Schatz des Bildbandes ist, dass auch das private Familienalbum von Peggy Guggenheim zu sehen ist, da Moses damals die Erlaubnis von ihr erhielt, dass er es ablichten durfte. Spätestens hier wird deutlich, mit welchen Berühmtheiten Guggenheim verkehrte. Neben ihrem kurzzeitigen Ehemann, dem Maler Max Ernst, sind dort unter anderem Marc Chagall oder Jackson Pollock zu finden. Moses Intention seiner Arbeit: "Fotografieren ist permanente Erinnerungsarbeit. Meine ist: Menschen festzuhalten, bevor sie verlorengehen."
Moses ist einer der bekanntesten Fotografen Deutschlands, der unter anderem für Magnum, Der Spiegel, Stern, Zeit-Magazin oder die Süddeutsche Zeitung fotografierte. Geboren 1928 in Schlesien, begann mit 16 Jahren eine Ausbildung zum Fotografen, nachdem er als "Halbjude" von der Schule relegiert wurde. Kurz darauf, 1944, wurde er im Lager Ostlinde, dann im Lager Grünberg interniert, von wo er im Februar 1945 fliehen konnte. Seitdem hat er sich explizit dem Fotografieren gewidmet und machte 1967 mit seinem bahnbrechenden Bildband "Manuel" das erste Mal in der breiten Öffentlichkeit auf sich aufmerksam. Ein Werk, das bis heute Gültigkeit hat und antiquarisch zu Höchstpreisen gehandelt wird. Stefan Moses bekam 1990 die David-Octavius-Hill-Medaille und 1991 den Kulturellen Ehrenpreis der Landeshauptstadt München verliehen. Eher für Schwarz-Weiß-Fotografien bekannt, veröffentlichte er neben "Manuel" unter anderem das Foto-Buch "Deutschlands Emigranten" – Fotografien von fast durchweg jüdischen Emigrantinnen. Mit Begegnungen mit Peggy Guggenheim veröffentlicht er nun erstmals Farb-Fotos. Der banale Grund dafür war, dass er eigentlich die Gemälde-Sammlung von Guggenheim fotografieren wollte. Denn sein eigentliches Credo lautet: "Farbe vergeht, Schwarz-Weiß besteht". Das Besondere an seiner Foto-Serie von Peggy Guggenheim: "eine Normalität des Außergewöhnlichen, die über jede Pose erhaben ist".
Neben den Fotografien findet sich ein Vorwort von Philip Rylands, dem Direktor der Peggy Guggenheim Collection Venedig wieder, der den Fotografen als "Diener der Erinnerung" bezeichnet. Zudem ist ein Essay von Thomas Elsen abgedruckt, dem Museumsleiter des H2 Zentrums für Gegenwartskunst im Glaspalast in Augsburg, worin er einen knappen Lebenslauf von Peggy Guggenheim und die beiden Zusammentreffen der Kunstsammlerin mit dem Fotografen schildert. Elsen hebt hervor: "die Kamera lichtet nicht nur ab, was da ist, sondern visualisiert, was Moses in Bildern fortdenkt".
AVVA-Tipp: Der Bildband über Peggy Guggenheim zeigt zum Teil bislang unveröffentlichte Bilder der Kunstsammlerin vor der malerischen Kulisse Venedigs. Der Fotograf Stefan Moses hat sich der exaltierten Frau mit seiner Kameralinse aufs Ungewöhnlichste genähert, so dass intime Portraits von Guggenheim entstanden sind. Auch inmitten ihrer unschätzbaren Kunstsammlung!
Zu Peggy Guggenheim: die US-amerikanische Sammlerin und Galeristin avancierte zu einer der bedeutendsten Mäzeninnen der Kunst des 20. Jahrhunderts. Geboren 1898 als Nichte von Solomon R. Guggenheim, dem Stifter des gleichnamigen Museums in New York, legte Peggy Guggenheim mit Werken von Pablo Picasso, Piet Mondrian und Constantin Brancusi den Grundstein für eine der bedeutendsten Sammlungen moderner Kunst. Nicht aus Prestige- oder Modegründen, sondern frei nach ihren eigenen Überzeugungen erwarb Peggy Guggenheim ausgewählte Kunstwerke, weshalb ihre Sammlung ebenso Volkskunst und Werke weniger bekannter Künstler wie auch Gemälde Kandinskys, Man Rays (der sie fotografierte), Rothkos oder Mondrians enthält. Insgesamt verdankt ihr die Avantgarde eine zentrale Rolle in der Verbreitung und Rezeption moderner Werke. Der unerwartete Tod ihres Vaters Benjamin im Jahr 1912 beim Untergang der Titanic brachte Peggy jedoch nur ein vergleichsweise kleines Erbe ein. Mit 22 Jahren begann Peggy eine Ausbildung im New Yorker Buchladen "Sunwise Turn". Die 1916 von Madge Jenison und Mary Mowbray-Clarke gegründete Buchhandlung wurde innerhalb kurzer Zeit zum kulturellen Fixpunkt in Manhattan und Peggy kam hier mit vielen Künstler_innen und Intellektuellen in Kontakt, darunter auch mit Djuna Barnes. Bereits nach kurzer Zeit beschloss sie, nach Paris zu ziehen und konnte dort mit vielen Künstler_innen und Schriftsteller_innen Freundschaft schließen.
1922 heiratete sie den französischen Künstler Laurence Vail, mit dem sie einen Sohn, Sindbad, und eine Tochter, Pegeen, bekam. Die Ehe wurde bereits nach wenigen Jahren geschieden.
Trotz der vielen Affären und Beziehungen mit verschiedenen Künstlern, so auch mit Max Ernst, (mit dem sie von 1941–1946 verheiratet war) Samuel Beckett und Yves Tanguy, gab es für Peggy Guggenheim nur einen Mann, den sie als den wichtigsten in ihrem Leben bezeichnete: John Holms, ein britischer Literaturkritiker, mit dem sie von 1928 bis zu seinem plötzlichen Tod 1934 eine Beziehung führte. Am 23. Dezember 1979 starb Peggy Guggenheim in einem Krankenhaus außerhalb von Venedig.
(Quelle: AVIVA-Berlin)
Zu Stefan Moses: 1928 in Schlesien geboren, lebt seit 1950 in München. Mit seinen fotografischen Bildgeschichten wurde er zum eigentlichen Chronisten der Europäischen Nachkriegsgesellschaften. Als er in den 1960er-Jahren Life- und Konzeptfotografie zu einer neuen Bildsprache zusammenführte, setzte er dem alten "entscheidenden Augenblick" eine künstlerisch und psychologisch überzeugende Alternative entgegen, die inzwischen selbst zum Klassiker neuer Fotografie wurde. Porträtserien stehen seitdem im Zentrum. Heute gehören diese Arbeiten zu den gültigen Geschichtsdokumenten unserer Zeit. (Quelle: Verlagsinformationen)
Stefan Moses
Begegnungen mit Peggy Guggenheim
Suhrkamp Verlag, erschienen Mai 2017
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 144 Seiten
123 Fotografien (schwarz-weiß und farbig)
Größe: 23,1 x 2,5 x 29,9 cm
ISBN: 978-3-945543-34-4
Euro 48,00
www.suhrkamp.de
Mehr Infos zu Peggy Guggenheim unter:
Peggy Guggenheim Collection www.guggenheim-venice.it
Die Guggenheim Museen und Sammlungen www.guggenheim.org
Publikationen zu Peggy Guggenheim in der Deutschen Nationalbibliothek portal.dnb
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