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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 10.02.2011


Anna Havemann - Gertrude Sandmann. Künstlerin und Frauenrechtlerin
Anna Hohle

Havemann ist nicht nur Kuratorin der aktuellen Gertrude Sandmann-Ausstellung und verwaltet deren Nachlass. In der Reihe "Jüdische Miniaturen" veröffentlichte sie nun zusätzlich eine Kurzbiographie..




... zu der faszinierenden Malerin, die viel zu lange aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwunden war.

Im Februar 2011 widmete das HAUS am KLEISTPARK Gertrude Sandmann eine ausführliche Retrospektive. Beim Betrachten ihrer zeitlos schönen Arbeiten und beim Studium der biographischen Daten fragten sich die BesucherInnen unwillkürlich, wie es möglich ist, dass das Wissen um die Berliner Künstlerin für eine so lange Zeit in Vergessenheit geriet?

Anna Havemann entdeckte die Arbeiten Sandmanns 2009 in einer Potsdamer Ausstellung. In der Folge begann sie, sich intensiv mit deren Werk und Biografie auseinander zu setzen. In der Reihe Jüdische Miniaturen des Verlags Hentrich&Hentrich erschien nun auf 88 Seiten ein knapper und informativer Einblick in Sandmanns außergewöhnliches Leben.

Der Band baut auf drei Attributen der Person Sandmanns auf, die ihre Vita einschneidend beeinflussten: Sandmann war eine weibliche Künstlerin Anfang des 20. Jahrhunderts, sie war Jüdin und sie war bekennende Homosexuelle. Diese Umstände wirkten sich nachhaltig auf ihre bewegtes Leben und ihr Werk aus.

Die Künstlerin

1893 geboren, lebte Sandmann in einer Zeit, in der die Anerkennung professionellen weiblichen Kunstschaffens noch nicht selbstverständlich war. Nur zögerlich wurden Frauen an Kunsthochschulen zugelassen, waren dort häufig Restriktionen ausgesetzt. Gertrude Sandmann war ein Hochschulstudium der Kunst noch nicht möglich. Stattdessen lernte sie an der Zeichen- und Malschule des Vereins der Berliner Künstlerinnen, die auch "Paula Modersohn-Becker" und Käthe Kollwitz besucht hatten.

Sandmann war Teil jener KünstlerInnengeneration, die der Kunsthistoriker Rainer Zimmermann die "verschollene Generation" nannte. Durch den ersten Weltkrieg in ihrem Schaffen unterbrochen, erfuhr deren gegenständliche Kunst in den Nachkriegsjahren kaum Würdigung, galt als zu wenig innovativ.
Sandmanns Bilder entziehen sich dabei jeder Klassifizierung. Sie betont die natürliche Beschaffenheit der Gegenstände, ihre Wirklichkeit, und ist doch keine Naturalistin. Nüchtern und realitätsnah stellen ihre Werke eine Abgrenzung vom Pathos der gegenstandslosen Strömungen moderner Kunst dar, doch fehlt ihnen die Kühle der Neuen Sachlichkeit.
Sandmanns Arbeiten beschreiben den Versuch, das Wesentliche an den gezeichneten Gegenständen zu erfassen: "Das Wesentliche, [...] nicht das Zufällige, […] über allen Nuancen den großen Zusammenhang sehen. Vereinfachung ohne Leere, [...] zugleich klarer, eindeutiger, überzeugender – erkannt". Oft zeichnete sie Alltagsgegenstände wie Eierschalen oder ein paar Schuhe und stellte sie, so Havemann, "mit einer einmaligen Würde und Schönheit dar".

Die Jüdin

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialistin wurde Sandmann 1934 aus dem Reichverband bildender Künstler ausgeschlossen, durfte in der Folge keine Zeichenmaterialien mehr erwerben. 1935 erhielt sie als Jüdin Berufsverbot. Dennoch zeichnete sie weiter, allein zwischen 1935 und 1942 über dreißig Bilder. "So unsinnig kommt es einem vor, jetzt Papier mit Farbe zu bedecken. Und es wichtig zu finden, [...] und doch kann ich es nicht lassen. Eingesperrt in eine kleine Kammer würde ich an den Wänden kritzeln", lautet ein fast prophetisch zu nennender Tagebucheintrag von 1932.

Sandmann empfand eine tiefe Verbundenheit zu Berlin und zur deutschen Kultur. Auch wollte sie ihre kranke Mutter nicht allein zurücklassen und entschied sich so gegen eine Immigration. Sie litt unter der Lebensmittelknappheit und den immer neuen Restriktionen. Als ihre Verwandten deportiert wurden, blieb Sandmann im November 1942 nur der Weg in den Untergrund. Die befreundete Familie Grossmann, Susy Hermans und ihre Lebensgefährtin Hedwig Koslowski versteckten sie bis zum Kriegsende in verschiedenen Wohnungen in Berlin.

Trotz widrigster Umstände gelang es Sandmann, bis zuletzt eine optimistische Gemütshaltung zu bewahren. Mit jeder weiteren Entbehrung reduzierte sie ihre Ansprüche, freute sich noch in der Not über die wenigen Eindrücke aus der Natur, die ihr geblieben waren.
Nach dem Krieg erlitt sie einen gesundheitlichen Zusammenbruch, in dessen Folge sie erwerbsunfähig wurde. Mit einer geringen Entschädigungs- und PrV-Rente (politisch und religiös Verfolgte) lebte Sandmann in der Folge ein bescheidenes Leben. Sobald es ihr Gesundheitszustand zuließ, begann sie wieder zu zeichnen.

Die Homosexuelle und Frauenrechtlerin

Bereits 1926 war Sandmann Gründungsmitglied des Künstlerinnenvereins GEDOK. Obwohl sie in den dreißiger Jahren als Jüdin ausgeschlossen wurde, trat sie dem Verein nach seiner Neugründung 1960 wieder bei.
Nachhaltig engagierte sich Sandmann bis ins hohe Alter für Künstlerinnen und in der Lesben- und Frauenrechtsbewegung. Sie war Gründungsmitglied der Gruppe L74, der ersten Vereinigung älterer lesbischer Frauen, und lieferte Illustrationen und Wortbeiträge für die lesbische Frauenpresse. Bis zu ihrem Tod 1981 lebte sie mit ihrer Partnerin Tamara Streck in einer gemeinsamen Wohnung in Berlin-Schöneberg.

AVIVA-Tipp: Die Wiederentdeckung Sandmanns durch Anna Havemann kann als wahrer Glücksfall gelten. Es bleibt zu hoffen, dass die Künstlerin durch Folgeausstellungen und weitere Publikationen die verdiente Öffentlichkeit erfährt, die sie lange entbehren musste. Havemanns komprimierte Biografie liefert einen gelungenen Auftakt. Die vielen verwendeten Auszüge aus Sandmanns Tagebüchern, in welchen die Künstlerin sich zur Kunsttheorie und zum Zeitgeschehen äußert, lassen erahnen, welch geistreiche und feinsinnige Persönlichkeit es hier zu entdecken gilt.
Der Band enthält darüber hinaus Fotos und Abbildungen ausgewählter Werke aus Sandmanns Oeuvre.

Zur Autorin: Anna Havemann studierte Kunstgeschichte in New York und wurde 2009 an der Universität Potsdam promoviert. Sie lehrte in Hongkong und New York. Seit 2001 ist sie als Dozentin und Kuratorin in Berlin/Potsdam tätig. Zurzeit erarbeitet sie das Werkverzeichnis von Gertrude Sandmann und kuratiert die Ausstellung "Vom Sehen und Leben – Gertrude Sandmann. Retrospektive einer Künstlerin und Zeitzeugin". Sie hat mehrfach über den emanzipatorischen Kampf von Künstlerinnen publiziert. (Quelle: Verlagsinformation)

Anna Havemann
Gertrude Sandmann. Künstlerin und Frauenrechtlerin

Hentrich&Hentrich, in der Reihe "Jüdische Miniaturen", erschienen Februar 2011
Broschiert, 88 Seiten
ISBN 978-3-942271-18-9
9,90 Euro
www.hentrichhentrich.de

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

"Retrospektive zu Gertrude Sandmann vom 11. Februar bis 3. April 2011 im HAUS am KLEISTPARK", der ausführliche Beitrag zur Gertrude Sandmann-Ausstellung auf AVIVA-Berlin


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Beitrag vom 10.02.2011

AVIVA-Redaktion