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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 01.08.2016


Tove Jansson - Reisen mit leichtem Gepäck. Erzählungen
Doris Hermanns

Geschichten vom Reisen sind es, die jetzt neu von Tove Jansson vorliegen: vom Abfahren und Verlassen des Alltags, vom Ankommen, von neuen Umgebungen, davon sich selber anders erleben.




Nach ihrem Roman Die ehrliche Betrügerin liegt nun wieder eine Sammlung mit Erzählungen von Tove Jansson vor.
Einen schönen Einstieg bildet "Briefwechsel", die berührenden Briefe eines japanischen Mädchens, in denen sie ihre Sehnsucht nach der Autorin, die sie sehr verehrt, ausdrückt. Ihr Traum ist es zum einen, in andere Länder zu reisen und andere Sprachen zu sprechen und zu verstehen, zum anderen möchte sie Geschichten schreiben, die bewirken sollen, dass jede und jeder ihren bzw. seinen eigenen Traum verstehen und wiedererkennen kann. Sie lernt viel aus dem Briefwechsel – "man fängt einfach an, eine Geschichte zu schreiben, weil man muss" - und auch wenn sich ihr Wunsch, die Autorin persönlich kennenzulernen, nicht erfüllt, so realisiert sie sich: "Es ist ein schöner Gedanke, dass man einem Schriftsteller nur in seinen Büchern begegnen sollte."

Bücher spielen auch eine wichtige Rolle in "Der Wald", in der sich zwei Kinder, die den Sommer in einem Sommerhaus verbringen, nicht in den Wald trauen. Erst als ihre Mutter ihnen Bücher über Tarzan schickt, fangen sie an, sich mehr zuzutrauen, nichts scheint ihnen mehr gefährlich. Sie erleben den Wald jetzt als Dschungel, der sie beschützt und den sie erforschen wollen, so entwickeln sie eine neue Selbständigkeit.

"Es war schon immer mein Traum, mit leichtem Gepäck zu reisen (...) – jetzt gelang es mir zum ersten Mal, nur das absolute Minimum mitzunehmen … Die Tasche wurde so leicht wie mein leichtsinniges Herz …" Aber nicht allen gelingt es, wie geplant, alles hinter sich zu lassen, wie sich gerade in der Titelgeschichte zeigt, in der sich der Ich-Erzähler auf eine Reise begibt und alles hinter sich lassen möchte, "nichts und niemand mehr war wichtig", aber auf Dauer erkennen muss, dass er neue Menschen kennenlernt und damit auch neue Verbindungen eingeht. Das eigene Ich als absolutes Minimum.

Über "richtiges" und "falsches" Reisen geht es in "Der Lustgarten", in dem eine Frau nach Spanien reist. Es entwickelt sich dort fast ein Kurzkrimi, aber es geht auch um verschiedene Arten der Einsamkeit. Viktoria denkt dort über frühere Reisen nach, ob sie diese auf die "richtige Art und Weise" gemacht habe. Sie gelangt zu der Einsicht, dass frau nicht alles gesehen haben und überall hinrennen muss: "Weißt du, man könnte doch einfach nur da sein und sich umsehen, bis man wirklich sieht, anders sieht, und darüber reden, oder einfach über irgendwas reden und sich gemeinsam vortasten."

Die Erzählung "Shopping" ist eher ungewöhnlich für Jansson. Es ist eine Art Dystopie, die eher an die Romane von Margaret Atwood erinnert. Eine Frau und ein Mann in einer zerstörten Umgebung leben, die meisten anderen sind bereits weggegangen, die Atmosphäre wird immer düsterer.

"Der achtzigste Geburtstag" handelt weniger vom Reisen als um unterschiedliche Arten zu leben. So heißt es über die blühende Vogelkirsche: "Nicht wahr, man soll sie blühen lassen und einfach bewundern. Das ist eine Art zu leben. Der Versuch, sie noch einmal zu machen, ist eine andere Art. Das ist alles." Genauso kommt Jonne am Schluss zu der Erkenntnis: "Meine Lust ist vielleicht nicht so bemerkenswert, aber wenigstens ist es meine eigene."

AVIVA-Tipp: Es sind zwölf Kurzgeschichten, in Tove Janssons einfachen klaren Stil geschrieben, die inhaltlich sehr unterschiedlich sind, aber jede von ihnen ist ein kleines Meisterwerk, die sich nicht nur auf Reisen wunderbar lesen lassen.

Zur Autorin: Tove Jansson (1914-2001) wuchs in einem KünstlerInnenhaushalt in Helsinki auf. Mit 16 begann sie in Stockholm ihre künstlerische Ausbildung, studierte in Paris und Helsinki und arbeitete als Illustratorin und Karikaturistin. International wurde sie durch ihre Mumin-Bücher und -Comics bekannt, schrieb aber außerdem viele Romane und Kurzgeschichten für Erwachsene. In den 50er-Jahren traf sie die Graphikerin Tuulikki Pietilä, mit der sie bis zu ihrem Lebensende eine tiefe Liebe verband.

Tove Jansson
Reisen mit leichtem Gepäck

Originaltitel: Resa med lätt bagage
Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer
ISBN 978-3-8251-7958-8
Urachhaus, erschienen 2016
188 Seiten, Hardcover mit Umschlag
Euro 19,90
www.urachhaus.de

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Tove Jansson - Mumin und das Meer, das Buch, und die DVD, Mumins an der Riviera nach den Comics von Tove Jansson
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Weiterlesen:

Website zu Tove Jansson:
www.tovejansson.com

Das Unternehmen Oy Moomin Characters Ltd, das Tove Jansson mit ihrem Bruder Lasse Ende der 1950er Jahre gründete, ist im Netz zu finden unter:
www.moomin.com

www.fembio.org

www.reprodukt.com

Westin, Boel: Tove Jansson: Life, Art, Words. The Authorized Biography. Translation: Silvester Mazzarella. Sort of Books 2014


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Doris Hermanns