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Beitrag vom 23.09.2020
Lydia Davis - Es ist, wie´s ist
Christina Mohr
Mit dem Band "Es ist, wie´s ist" liegen nun alle Erzählungen der US-amerikanischen Autorin Lydia Davis in deutscher Übersetzung vor. Wie gewohnt präsentiert sich Davis als Meisterin der kleinen Form.
Und klein bedeutet: Kurz- und Kürzestgeschichten, manchmal nur wenige Zeilen umfassend wie "Was sie wusste", im Grunde gar keine "echte" Geschichte, sondern ein trotz der Kürze höchst verwirrendes Gedankenspiel um eine Frau, die eigentlich ein Mann ist oder auch nicht – Lydia Davis beantwortet aufkeimende Fragen nicht, in dieser Story nicht und auch nicht in den meisten anderen, die in "Es ist, wie´s ist" (Originaltitel Break it down, 1986) versammelt sind.
Davis´ Stories sind Momentaufnahmen, häufig rätselhaft und mit vielerlei Interpretationsmöglichkeiten. Und nicht jede Geschichte ist eine Story, sondern, siehe oben, das Kreisen um eine Idee, eine Begebenheit, einen vor langer Zeit aufgenommenen und inzwischen verloren geglaubten Faden. Ihre Figuren sind so verloren wie die Leserinnen, die Gedanken machen sich selbständig, die Suche nach Sinn ist oftmals vergebens.
Meisterhaft ist Davis´ Darstellung von Mrs. Orlando, die in altersbedingte Verwirrtheit abgleitet. Ihre Töchter glauben die Berichte von Männern, die unter Autos liegen und Mrs. Orlando am Knöchel fassen, nicht – doch förmlich greifbar ist die namenlose Angst, die die alte Dame beschleicht. Wie fast alle Stories von Lydia Davis hat auch diese kein abschließendes Ende, vielmehr hört sie einfach auf, lässt die Leserin beinah brüsk zurück. Frau sinnt über die ungelöste Frage und die Leerstellen in der Erzählung nach, doch schon beginnt die nächste Geschichte, schon ist frau in einem neuen Kontext, der in einer großen Stadt handeln kann, aber auch auf dem Land. Vermeintlich alltägliche Handlungen, Aufgaben, Ereignisse gibt es schließlich überall, und überall verzweifeln die Menschen am Alltäglichen.
Das Fragmentarische, Lapidare des Davis´schen Stils ist keine Oberflächlichkeit: Davis sieht und bemerkt alles, stellt Vermutungen an, beispielsweise darüber, ob die Nachbarin mit ihrer Oboe masturbiert oder ob doch der Musiklehrer zugegen ist. Neben solchen sehr lebensnahen Betrachtungen gibt es im Davis´schen Repertoire auch viele skurrile und fantastische Beschreibungen. "Der Schwager" beispielsweise ist ein blasser, blutleerer, "trockener" Mensch, der keinerlei Geruch hinterlässt, sich letzten Endes buchstäblich auflöst: "Sie schüttelten ihn aus den Matratzen, kehrten ihn vom Boden auf, wischten ihn von der Fensterscheibe und wussten nie, was sie erledigt hatten." Das Ende bleibt stets offen, die Faszination und auch der Schrecken liegen genau darin.
Lydia Davis ist keine tröstende Erzählerin: sie schaut auf jedes noch so kleine Detail, notiert es und zieht weiter, zum nächsten Forschungsobjekt.
AVIVA-Tipp: Die große Gabe Lydia Davis´ besteht im genauen Blick – sie unterscheidet nicht in mehr oder weniger interessante Begebenheiten oder Persönlichkeiten. Alles ist gleich wichtig. Und gleich rätselhaft.
Zur Autorin: Lydia Davis wurde 1947 in Northampton, Massachusetts, geboren, wuchs dort, in New York und Graz auf. Nach Jahren in Irland und Frankreich lebt sie heute wieder in New York. Lydia Davis wurde vorgeschlagen für den National Book Award 2007 und ausgezeichnet mit dem Man Booker International Prize 2013 sowie mit dem Award of Merit Medal der American Academy of Arts and Letters 2013 und dem PEN Malamud Award 2020.
Mehr Infos zu Lydia Davis: www.droschl.com/autor/lydia-davis
Ihre Erzählungen bzw. Stories liegen gesammelt vor in den Bänden "Break it Down" (1986, "Es ist, wie´s ist", Droschl 2020), "Almost No Memory" (1997, "Fast keine Erinnerung", Droschl 2008), "Samuel Johnson is Indignant" (2002, "Samuel Johnson ist ungehalten", Droschl 2017), "Varieties of Disturbance" (2007, "Formen der Verstörung", Droschl 2011) und "Can´t and Won´t" (2014, "Kanns nicht und wills nicht", Droschl 2014) sowie in den "Collected Stories" (2009). Ihr Roman "The End of the Story" ("Das Ende der Geschichte") erschien bei Droschl 2009.
Lydia Davis
Es ist, wie´s ist. Stories
Originaltitel: Break it down
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Klaus Hoffer
Droschl, erschienen 28.08.2020
176 Seiten, gebunden
€ 22
ISBN: 978-3-99059-057-7
Mehr zum Buch unter. www.droschl.com
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