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Beitrag vom 15.06.2023
Isabel Rohner – Kalte Sophie
Katarina Struik
Linn Kegel, die Heldin der "feministischen Kicher-Krimis" von Isabel Rohner, ist endlich Erfolgsautorin. Seit Linn mit ihrem Stück "Schwarze Petra" die Bühne der Wiener Festung rockte und dabei pressewirksam umgestylt war, reißen sich die Boulevardmedien um sie. Auch Linns Verlag hat ...
…seine Vermarktungsmaschinerie ausgebaut und präsentiert sie inzwischen aufgebretzelt in Talkshows. Zuletzt in knallgrünen Hosen und einem Shirt in schreiendem Pink. Überraschend sorgt nicht die Farbkombi für Schockreaktionen, sondern, was auf Linns Shirt steht: WOMAN. Social Media erbebt: Wenn das kein Männer-Bashing ist!
Am Tag nach der Talkshow tobt ein (professionell angefachter) Shitstorm. Linn Kegels Verleger Hartmann tobt mit, wenn auch aus Verzweiflung. Über tausend Hassbotschaften sind bei ihm eingegangen, das Netz ist voll mit übelsten Kommentaren! Linn soll sich gefälligst entschuldigen! Aber Linn sieht dazu keinen Grund; allerdings würde sie gern abtauchen. Zum Glück im Unglück eröffnet eine Tante ihrer besten Freundin Bettina Heidenreich gerade eine Galerie in Osnabrück. Bettina fährt ohnehin hin, Linn fährt mit. Osnabrück liegt an einem Fluss, sein Name ist Hase und der weiß von nichts, was also soll schon in Osnabrück passieren?
Nun, es passiert so einiges. Erst fällt bei der Eröffnung der Galerie das Licht aus. Dann ist die "Kalte Sophie" verschwunden, obwohl es sich dabei um ein erstaunlich hässliches Gemälde handelt. Und dann verschwindet auch noch eine Kunsthistorikerin. Linn rollt die Augen, aber es hilft alles nichts, Bettina Heidenreich ist bereits im Shirley-Holmes-Modus, hat unerschöpflichen Proviant in den Taschen und nimmt Witterung auf …
Die Fährte führt die beiden erfahrenen Spürnasen diesmal tief ins Milieu der Kunst und Kunstgeschichte. Dort steht das Genie im Zentrum. Das Genie ist männlich (auch wenn die Grammatik dies perfide neutralisiert, wieder so ein Gendermist …). Das Genie also ist der männliche Maler, wie die Herren Professoren gern zu sagen pflegen, solche wie Prof. Malinckrodt, der die "Kalte Sophie" ganz klar für eine Fälschung hält. Für ihn, den führenden Experten, gilt als gesichert, dass der Maler Bramsche, dem das Schreckensbildnis zugeschrieben wird, immer nur Landschaften gemalt hat, nie Menschen. Erst recht keine so hässliche Frau! Die verschwundene Kunsthistorikerin sieht das zwar anders, nämlich als Allegorie – aber was weiß schon eine, die sich auf Werke von Malerinnen spezialisiert hat (was letztlich bereits ihre Ignoranz gegenüber dem Genie unter Beweis stellt). Malinckrodt jedenfalls verwundert es nicht, dass die Dame mit ihrem Gendermist bisher keine ordentliche Professur erlangen konnte. Entsprechend wenig bedauert er ihr Verschwinden.
Uns als Krimileser:innen dagegen juckt genrebedingt die drängende Frage. Wer stirbt hier denn nun eigentlich, wieso und durch wen?! Nun. Wahre Fans wissen, dass Isabel Rohner ihre Leichen nicht mal eben so über den nächstbesten Zaun hängt. Gelegentlich tauchen sie gar erst im letzten Drittel des Buches auf. Das verstärkt die Spannung und gibt pulsierendem Leben Raum. Also Geduld, bitte. Erst einmal lernen wir Kapitel für Kapitel einen illustren Kreis an Verdächtigen kennen und lachen uns schief über den Ideenreichtum, mit dem sie kredenzt werden. So viel sei aber verraten: Am Ende der "Kalten Sophie" winkt ein bonfortionöser Mord!
(Spoiler an diejenigen, die nicht warten können: Hey, Leute! In diesem Krimi herrscht von der ersten Seite an ein subtiles mörderisches Treiben. Es gibt haufenweise Opfer und Serientäter – denn die "Kalte Sophie" erzählt den historischen Mord an all jenen Künstlerinnen, die über Jahrhunderte hinweg "kalt gemacht" wurden, deren Existenz vernichtet, deren Talent vertuscht wurde zugunsten des männlichen Genies, sowohl im männerbeherrschten Kunstbetrieb wie in einer Kunstwissenschaft, die über Frauen und ihre Werke hinwegging und von männlichen Malern fabulierte. Isabel Rohner erzählt aber auch von der Gegenwart: von Rufmord, Hatespeech, misogynen Shitstorms hier und heute.)
AVIVA-Tipp: Die "Kalte Sophie" dreht sich um mehr als nur einen Mord, denn Isabel Rohner geht es nun einmal stets um Aufklärung nicht nur im kriminalistischen, sondern auch im feministischen Sinn. Die "Kalte Sophie" ist die Quadratur des Kreises: höchst unterhaltsame Spannungsliteratur über ein todernstes Thema: Frauenhass. Isabel Rohner lässt uns lachen und lernen. Als Kulisse dienen ihr diesmal Kunst und Soziale Medien. Indem sie auf diesen Feldern den Firnis abträgt, legt sie die misogyne Grundierung frei. Daran beteiligen wir uns nur zu gern, gemeinsam mit der wunderbar schrulligen Linn Kegel, ihrer "barocken" Freundin Bettina Heidenreich und einer bunten Palette höchst phantasievoller Nebenfiguren. Dass etwa die Galeristin Burgel Krull, eine in der Wolle gefärbte SPD-Frau, ausgerechnet Angela Merkel verblüffend ähnlich sieht, ist nur einer der lustigen Farbkleckse in diesem Roman. Witzige Details und lakonische Sprüche tun ihr Übriges, um das Buch nicht aus der Hand legen zu können.
Und so ist auch dieser 210-Seiten-Krimi wieder viel zu schnell zu Ende. Zum Glück verspricht die Autorin Nachschub und der Verlag hält mit den bisherigen Fällen bei Laune: "Schöner morden" (2019), "Taugenixen" (2020), dem Spreewald-Krimi "Gretchens Rache" (2021), in den als goldener Faden eine kritisch-feministische Auseinandersetzung mit dem männerlastigen Literaturmarkt und frauenfeindlichen Feuilleton eingewoben wurde, sowie last, but not least: mit der "Schwarzen Petra" (2022), die in die Welt des Theaters entführt.
Zur Autorin: Isabel Rohner, geboren 1979 in St. Gallen, studierte Germanistik, Philosophie und Romanistik. Nach ihrer Promotion arbeitete sie an der Fern-Universität Hagen. Seit 2013 ist sie Fachreferentin für Bildung bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Wenn sie keine Krimis schreibt, konzipiert sie politische Sachbücher, etwa zum Frauenwahlrecht, oder Bände mit Zitaten berühmter Frauen. Einen besonderen Namen hat Isabel Rohner sich als Mitherausgeberin von Hedwig Dohms Gesamtwerk und Expertin für die Geschichte der Frauenbewegungen gemacht. Sie ist zudem Verfasserin der Dohm-Biografie "Spuren ins Jetzt" (Helmer) und steht als Teil des "Hedwig Dohm Trios" auf der Bühne, um die feministische Pionierin zu neuem Leben zu erwecken. Auch mit ihrem Podcast "Die Podcastin" verschafft sie sich Gehör (zusammen mit der Politphilosophin Regula Stämpfli). Isabel Rohner ist verheiratet und lebt in Berlin.
Isabel Rohner im Netz: www.isabelrohner.com und www.diepodcastin.de
Isabel Rohner
Kalte Sophie
Ulrike Helmer Verlag, Erscheinungstermin 05/2023
Paperback, 210 Seiten
ISBN 978-3-89741-469-3
Euro 14,00
Mehr zum Buch unter: www.ulrike-helmer-verlag.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Isabel Rohner – Schwarze Petra
Der "feministische Kicher-Krimi" erobert die Bühne! Dafür sorgt die Erfinderin dieses Genres, Isabel Rohner mit ihrem aktuellen (vierten) Fall. Leichthändig bohrt sie auch diesmal wieder dicke feministische Bretter und beweist erneut, wie wunderbar Humor und Aufklärung zusammenpassen. (2022)
Isabel Rohner – Gretchens Rache
Isabel Rohner hat das Genre des "feministischen Kicher-Krimis" erfunden, um zu beweisen, wie wunderbar Feminismus und humorvolle Aufklärung zusammenpassen. In ihrem neuesten Mordfall offenbart sie ´feministisch kichernd´ die patriarchalen Schlagschatten der Literaturkritik. (2021)
Zukunft hören. DIE PODCASTIN
Wie werden Frauen in den Medien sichtbar? Warum fragen Frauen, während Männer antworten? Und was haben die Bilder über Krieg, Wirtschaft oder Kunst mit Gender zu tun? Die Politphilosophin Regula Stämpfli und die Publizistin Isabel Rohner – beide Doktorinnen ihres Fachs – werfen auf DIE PODCASTIN einen feministischen Blick auf die Welt. @laStaempfli und die @Rohnerin räumen in ihrem Wochenrückblick gnadenlos mit Kitsch und Klischees auf: Messerscharf, politisch und unterhaltsam. (2020)
Isabel Rohner – Taugenixen
Isabel Rohner ist nicht nur Literaturwissenschaftlerin und Hedwig-Dohm-Expertin, sondern sie schreibt auch Krimis. Einer davon ist "Taugenixen". Ein erfrischender Kriminalroman, mit feministischem Einschlag und queeren Figuren, in deren Mittelpunkt zwei Kölner Freundinnen um die vierzig stehen, die eigentlich nur einen entspannten Spanienurlaub verbringen möchten. Daraus wird aber nichts, denn es geschehen mehrere Morde...(2020)
100 Jahre Frauenwahlrecht. Ziel erreicht - und weiter? Herausgegeben von Isabel Rohner und Rebecca Beerheide
Schluss mit den Trippelschritten. Im November 1918 erhielten die Frauen gegen heftige Wiederstände das aktive und passive Wahlrecht. Eine feministische Emanzipationsgeschichte, ein leidenschaftlicher Prozess, der hartnäckig und zäh bis heute weitergeführt wird. Ein perspektivenreicher und politisch brandaktueller Sammelband mit Beiträgen von einflussreichen Frauen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien. (2017)
AVIVA-Interview mit der Verlegerin und Sozialwissenschaftlerin Ulrike Helmer
"Bücher sind Klamotten fürs Hirn", so der Claim des Ulrike Helmer Verlags, der auf der Frankfurter Buchmesse 2017 mit Lesungen und Präsentationen seinen 30. Geburtstag feiert. Die Verlegerin Ulrike Helmer berichtet über die Entwicklung des Verlages, ihre wichtigsten Bücher und darüber, wie sich die Verlagslandschaft heute verändert hat. (2017)
Hedwig Dohm - Feuilletons 1877-1903. Herausgegeben von Nikola Müller und Isabel Rohner
1873 forderte Hedwig Dohm das Stimmrecht für Frauen und setzte sich in ihrem umfangreichen Gesamtwerk Zeit ihres Lebens für die politische, soziale und ökonomische Gleichstellung von Männern und Frauen ein: Brillante Texte, die bis heute nichts von ihrer Frische und Aktualität verloren haben. (2016)
Erfolg buchstabiert sich T-U-N. Kluge Frauen über Macht, Erfolg und Geld. Herausgeben von Isabel Rohner und Andreas Franken
Im Ulrike Helmer Verlag erschien kürzlich dieses kleine Büchlein. Thematisch sortiert versammelt es historische und aktuelle Zitate von Frauen zu ´Karrierethemen´. Eine handliche Inspirationsquelle! (2011)
Spuren ins Jetzt. Hedwig Dohm - Eine Biografie von Isabel Rohner
Die Frauenrechtlerin, Journalistin, Autorin und Publizistin Hedwig Dohm (1831- 1919) hatte vier Geburtsurkunden, wurde an einem Dienstag geboren und war mit 17 Geschwistern in der Friedrichstraße 235 groß geworden. Pünktlich zum Hedwig-Dohm-Jahr 2011 erschien im November 2010 im Ulrike-Helmer-Verlag eine sachlich-kurzweilige Biografie der Jubilarin Hedwig Dohm, geborene Schlesinger.