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Beitrag vom 14.09.2009
Hilde Domin - Sämtliche Gedichte
Daniela Besser
In diesem Jahr wäre die bedeutende Lyrikerin 100 Jahre alt geworden. Anlass genug sich diesem Herbst in ihre "Sämtlichen Gedichte" zu vertiefen, die sie selbst als ihre einzige Stütze im Leben sah.
Die Dichterin Hilde Domin wurde eigentlich erst 1951 geboren – also 42 Jahre nach ihrer leiblichen Geburt 1909. Ihre lyrische Existenz begann durch eine tiefe Lebenskrise: Domins Mutter stirbt 1951 und der Trauerfall wird zur Bewährungsprobe für die Ehe von Hilde Domin und ihrem Mann Erwin Walter Palm. Sonst das ganze Leben des Ehepaares organisierend, ist sie nun erstmals auf ihren Mann als Stütze angewiesen. Doch dieser gibt ihr keinen Halt. Zudem entdeckt Domin die Affären ihres Mannes. Es kommt zu einer schweren Ehekrise.
Auch Domins Wunsch nach einem Kind, das das Leben weitertragen soll, wird von ihrem Mann zurückgewiesen. Domin leidet sehr unter dem Verhalten ihres Mannes, hat Selbstmordgedanken. Sie kann nicht leben, sich aber auch nicht umbringen – aus Angst vor dem ewigen Leben, davor, dass sich der Tod als Fortsetzung des Lebens herausstellen könnte. Sie glaubt fast verrückt darüber zu werden, als ihr die Gedichte gegeben werden. Das künstlerische Schaffen verhilft ihr zu einer anderen, eigenen Welt – die ihr wieder einen Halt im Leben gibt.
Sowohl der Tod der Mutter wie die zunehmende Entfremdung von ihrem Mann spielen bei der Geburt der Lyrikerin demnach eine zentrale Rolle, und in diesem Zusammenhang kann auch ein Interview von 1994 aufschlussreich sein, in dem Domin sagt: "Wenn der Mensch sehr bedrückt ist, kann ihm Lyrik helfen. Lyrik ist eine größere Entlastung als etwa Prosa. Lyrik kommt mit Blaulicht. Lyrik entsteht mehr aus Leid als aus Freude. Der Mensch kann sich durch das Schreiben von Gedichten befreien."
Zur Autorin: Als einzige Tochter assimilierter jüdischer Eltern wurde sie als Hilde Dina Löwenstein am 27. Juli 1909 in Köln geboren und genoss eine liberale und glückliche Kindheit. Domin studiert Jura und Nationalökonomie, belegt aber auch eine Soziologie- und einige Philosophie-Veranstaltungen. Sie geht 1932 nach Italien und promoviert 1935 in Florenz. 1936 heiratet sie den Archäologen und Kunsthistoriker Erwin Walter Palm. Italien wird zu ihrem ersten Exilland, es folgen England und von 1940 bis 1954 die Dominikanische Republik. Domin ist als Lehrerin und Universitätsdozentin sowie als Übersetzerin und Fotografin tätig. 1951 hat sie eine schwere Lebenskrise und beginnt ihre ersten Gedichte zu schreiben. 1954 kehrte sie zusammen mit ihrem Mann nach Deutschland zurück – die endgültige Übersiedlung erfolgt 1961. 1959 erscheint Domins erster Gedichtband "Nur eine Rose als Stütze", mit dem sie ihren Durchbruch als Lyrikerin hat. Sie erhält zahlreiche Literaturpreise, ihre Gedichte werden in 22 Sprachen übersetzt. Hilde Domin stirbt am 22. Februar 2006 in Heidelberg.
AVIVA-Tipp: Die Gedichte Hilde Domins sind nicht keine leichte Kost, aber jede/jeder kann etwas für sich darin finden. Die Dichterin des "Dennoch" verharrt nicht in der Verzweiflung, sondern sucht Vertrauen für eine mögliche Zukunft. Wer eine Stütze im Leben sucht, der/die sollte Hilde Domins Gedichte unbedingt als lyrische Medizin in die Hausapotheke aufnehmen.
Hilde Domin
Sämtliche Gedichte
Herausgegeben von Nikola Herweg und Melanie Reinhold
Mit einem Nachwort von Ruth Klüger
S. Fischer Verlag, erschienen Juni 2009
Gebunden, 351 Seiten
ISBN: 978-3-10-015341-8
16,00 Euro
Weiterlesen/-sehen/-hören:
"Hilde Domin – Die Liebe im Exil"
"Ilka Scheidgen, Hilde Domin. Dichterin des Dennoch"
"Ich will Dich. Begegnungen mit Hilde Domin"
"Hilde Domin - Die Insel, der Kater und der Mond auf dem Rücken"