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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 25.06.2008


Johanna Zeul - Album No.1
Tatjana Zilg

Gleich mit ihren ersten Auftritten eroberte sie sich einen Ruf als das neue Anti Folk Sternchen. Ganz allein auf der Bühne, nur mit ihrer Gitarre bewaffnet, ist sie alles andere als introvertiert,..




... sondern sie singt rotzfreche Texte, mit messerscharfen Pointen, charmantem Witz und Treffsicherheit vom ersten bis zum letzten Wort.

Anti Folk – was soll das denn nun wieder bedeuten, wird sich die Eine oder Andere möglicherweise jetzt fragen. Tatsächlich schrieb Thomas Groß schon 2002 einen Artikel für Die Zeit über den widersprüchlichen Genre-Begriff, der seinen Ursprung in der New Yorker Musik-Zeitgeschichte hat und eine Kombination aus der rebellischen, lauten Punk-Attitüde und dem melodiösen Akustik-Sound der Folk-Szene bezeichnet.

Der Reporter der Zeit spürte in New York einige junge SongwriterInnen auf, die als Gegenstrom zur dekadenten East Village–Szene auf bodenständige, durch und durch ehrliche Musik setzen und diese mit ihrer ganzen Leidenschaft und Liebe verwirklichen. Wer den Film "Berlin Song" (Regie: Uli M. Schueppel, 2007) gesehen hat, wird sicherlich schnell Parallelen zur Berliner Musik-Szene rund um den Festsaal Kreuzberg und in Friedrichshain entdecken.

Nun tritt mit Johanna Zeul eine neue Stimme ans Licht dieser Szene. Ihre Songs und ihre aufbrausende Gestik bei den Konzerten sind genau das Gegenteil von der introperspektiven Schüchternheit mancher SongwriterInnen. Live trägt sie laut und ohne Scheu ihre Texte vor, die nicht tiefe Gefühle erkunden, sondern bissige, humorvolle Momentaufnahmen des Lebens im Hier und Jetzt darstellen. Dabei schont sie auch ihre Gitarre nicht und entlockt ihr einen Sound, der zwischen krachig und melodiös hin- und herspringt. Bernadette La Hengst bezeichnete Johanna Zeul als "Raubtier", nachdem diese vor dem Konzert der Electro-Machinette im Festsaal Kreuzberg dem Publikum mit ihrem Temperament einheizte. "Raubtier" heißt auch einer der 13 Songs des "Album No.1". "Ich fühl mich so dressiert, was ist mit mir passiert" trällert sie im Stakkato-Tenor ins Mikro, wobei der Held des Songs nicht sie selbst ist. Ein junger Mann namens Moritz entdeckt hier den "Jagdtrieb seiner Ahnen". Wie vertonte Comic-Strips über Spaß und Tücken im Großstadtalltag wirken ihre temporeichen Songs. Immer ein wenig zynisch, ironisch und satirisch reiht sie die Worte aneinander und so richtig wird keineR heraushören können, was der 27jährige Wirbelwind ernst meint und wo sie ihren inneren Schelm sprechen lässt. Nichtsdestotrotz lässt sie auch leisere Töne zu wie auf "Hallo Leben", einer kleinen Hymne auf den Aufbruch in die Welt und dem Verlassen von zu eng gesteckten Begrenzungen.
Der Album Opener "Ich will Was Neues" mit dem extrem frohgesinnten Grundrhythmus ist ein Musterbeispiel für die verspielte Ironie, die das Debut der Newcomerin wie ein roter Faden durchzieht, und richtet den Fokus auf eines der beliebtesten Hobbies junger Großstadtmenschen: Exzessives Shoppen.

Für die Studioaufnahmen holte Johanna Zeul sich Verstärkung in Form einer klassischen Bandbesetzung mit ins Boot: Jonas D. Hammond am Bass, cri de manque an der zweiten Gitarre und Caroline Bigge am Schlagzeug. "Nur bei Dir" und "Raubtier" erhalten zudem durch die Trompete von Sebastian Studnitzky einen leichten Ska-Touch.

Weiterhören: Heidi Happy und Bernadette La Hengst.

Johanna Zeul im Netz: www.johannazeul.de und auf Myspace.

AVIVA-Tipp: Die Gewinnerin des Rio Reiser Songpreises 2006 ruft mit ihren munteren Songs auf, der Spontaneität und der Lebendigkeit mehr Gewicht zu geben. Dabei wirkt sie an vielen Stellen wie eine moderne Variante einer Kinderserien-Heldin aus vergangenen Tagen wie "Die kleinen Strolche" oder "Pippi Langstrumpf" - erwachsen geworden, und immer noch lauter Streiche und viel Phantasie im Kopf. In ihre Songs packt sie mit knappen Worten unvergleichliche Geistesblitze, die amüsieren, erstaunen, überraschen und verblüffen. Wie das Cover verrät, gelingt ihr das mit viel Bauchgefühl und Eigensinn. Gern lässt frau sich beim Hören von diesen guten Eigenschaften infizieren.

Johanna Zeul
Album No. 1

Label: Gold und Tier, Broken Silence, VÖ Juni 2008



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Beitrag vom 25.06.2008

AVIVA-Redaktion