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Beitrag vom 28.12.2005
Katharine Mehrling im Interview
Daniela Krebs + Karin Effing
Sie steht in den Musicals "Cabaret" in der Bar jeder Vernunft als "Sally Bowles" und in "Die drei von der Tankstelle" am Schlosspark-Theater als "Lilian Cossmann" in Berlin auf der Bühne.
Katharine Mehrling absolvierte ihre Schauspiel - und Musicalausbildung am Londoner Studio Centre und am Lee Strasberg Theatre Institute in New York. Im Londoner West End Theatre "The Old Vic" spielte sie als einzige Deutsche die Rolle der "Chrissy" in "Hair". Sie war unter anderem in den Rollen als "Sugar Kane" in "Some like it hot", "Evita Peron" in "Evita", "Edith Piaf" in "Piaf", "Klein Erna" in "Pinkelstadt" und "Eponie" in "Les Misèrables" zu sehen. Sie steht in den Musicals "Cabaret" in der Bar jeder Vernunft als "Sally Bowles" und in "Die drei von der Tankstelle" am Schlosspark Theater als "Lilian Cossmann" in Berlin auf der Bühne.
Nebenbei veröffentlichte Katharine Mehrling mehrere CDs (unter anderem ein Duett mit Christopher Lee) und produzierte eine Electronic /Jazz CD "Midnight state of mind" mit von ihr selbst geschriebenen Songs.
AVIVA-Berlin: Sie halten mit Andreas Gergen den Berliner Rekord in wöchentlicher Bühnenpräsenz mit mehr als 11 gespielten Vorstellungen in einer Woche. Und selbst an Ihren spielfreien Tagen stellen Sie sich für Kolleginnen und Kollegen, die für Rollen an Theatern vorsprechen, als Dialogpartnerin zur Verfügung. Sind Sie ein Workaholic?
Katharine Mehrling: Nein, nicht wirklich (lacht). Ich kann auch eine Zeit lang wunderbar ohne Arbeit leben und skrupellos genüsslich faul sein.
Manchmal kommt eben alles zusammen, und wenn es sich vereinbaren lässt, empfinde ich es als ein Privileg, in diesem Beruf verschiedene Dinge gleichzeitig machen zu können. Ich liebe die Abwechslung, deshalb bin ich auch ab und zu gerne Dialogpartner. Dieses Jahr war ich Mitglied der Jury beim Bundeswettbewerb Gesang, an dem ich vor 10 Jahren selbst teilgenommen und gewonnen habe. Das war eine ehrenvolle Aufgabe und besondere Erfahrung.
AVIVA-Berlin: Die Neuproduktion von "Cabaret" in der Bar jeder Vernunft fand auch außerhalb von Berlin viel Aufmerksamkeit und Anerkennung. Ist es eine Herausforderung, nach Liza Minelli, Ute Lemper und Anna Loos-Liefers die "Sally Bowles" zu spielen? Haben Sie eine der Aufführungen in der Bar jeder Vernunft gesehen?
Katharine Mehrling: Jede Rolle ist eine Herausforderung. Sie zu finden, zu ergründen, zu verstehen und zu lieben. Sally Bowles ist eine Traumrolle! Natürlich identifiziert man Sally erst mal mit Liza Minelli. Sie hat eine göttliche Sally Bowles kreiert und sicherlich viele Schauspielerinnen inspiriert. Wenn man aber vom Film absieht (und der Film unterscheidet sich sehr vom Bühnenstück), kann Sally von ganz unterschiedlichen Frauentypen verkörpert werden, denn sie ist an keine lebende Vorlage gebunden wie z.B. die Piaf.
Sicher, Isherwood hatte auch seine Muse für Sally Bowles - die Engländerin Jean Ross, doch kaum jemand weiß wie sie aussah, oder wie sie wirklich war. Man kann sich die Rolle also voll und ganz zu eigen machen, innerlich wie äußerlich. Ja!
AVIVA-Berlin: Wie erarbeiten Sie eine neue Rolle? Und welche Unterschiede gab es in der Begegnung mit den Rollen Sally Bowles und Lilian Coßmann?
Katharine Mehrling: Ich beschäftige mich mit der Zeit, in der die Figur lebt. Erstelle eine Art Biographie mit den wichtigsten Ereignissen, die sie zu der Person haben werden lassen, die sie ist. Und natürlich schaue ich bei mir. Gibt es Parallelen, ähnliche Denkweisen, Verhaltensmuster, oder Erfahrungen? Sally war als Engländerin in Berlin, ich war als Deutsche zwei Jahre in London...
Ich beobachte Menschen, und wenn mich etwas fasziniert, lasse ich es in meine Interpretation einfließen. Auch greife ich auf mein Handwerk zurück, z.B. auf meine Stimme, oder auf eine bestimmte Art zu sprechen. Ich passe meine Stimme der jeweiligen Rolle an, oder die Rolle nimmt sich die Stimme, die zu ihr gehört.
Meine Sally ist eine zutiefst verletzte Figur, die ihren Schmerz und ihre Ängste gekonnt hinter ihrer vergnügungssüchtigen und egozentrischen Lebensweise versteckt. Bei aller Sehnsucht vermag sie es nicht, sich selbst und der Liebe zu vertrauen.
Aber, "Sally is a survivor". Sie wird immer wieder aufstehen und weitermachen.
Sie braucht die Bühne, es ist ihre Droge. "Life is a Cabaret"!
Meine Lilian hingegen ist zwar ohne Mutter aufgewachsen, dennoch sehr behütet. Sie ist reich, verwöhnt, charmant, selbstbewusst und ohne jegliche Tragik.
Ich habe versucht, Lilians melodiöser Sprache eine akzentuierte Diktion zu verleihen, um den Stil der Epoche mitschwingen zu lassen. Sie spricht ihre Worte sehr bewusst, fast wie kleine Kostbarkeiten.
Vermutlich wird sie glücklich mit ihrem Willi, der sie am Ende bekommt.
Und wenn sie nicht gestorben sind...
AVIVA-Berlin: Die beiden lebenslustigen Frauen bewegen sich im Übergang zum Nationalsozialismus. In "Cabaret" sind diese Entwicklungen explizit Thema, im 1930 gedrehten Film "Die Drei von der Tankstelle", der Grundlage des Musicals, braut sich die Tragödie gerade erst zusammen. Wie sehen Sie die beiden Figuren auf dem Hintergrund der furchtbaren politischen Verhältnisse?
Katharine Mehrling: "Die Drei von der Tankstelle" ist unpolitisches Stück, das rein der Unterhaltung dient. Selbst die zu Beginn der Handlung kurz thematisierte Arbeitslosigkeit der drei Freunde, ist keine Sozialstudie, sondern unterstützt die komödiantische Entwicklung der Liebesbeziehung. In der Tankstelle ist die Welt in Ordnung. Lilians einziger Konflikt ist, dass sich drei Männer gleichzeitig in sie verliebt haben. Wenn´s weiter nichts ist...
In "Cabaret" hingegen ist die politische Situation ein wichtiger Aspekt der Handlung.
Die Wahrnehmung der Figuren ist unterschiedlich.
Sally tanzt auf dem Vulkan, lebenshungrig und unkritisch, mit einer ungeheuren Naivität.
Sie hat sich zu ihrem Schutz eine Phantasiewelt erschaffen und weigert sich die Realität so zu sehen, wie sie ist. "Politik? Aber was hat das mit uns zu tun?"
Während Sallys Geliebter Cliff begreift: "Wach auf, die Party ist vorbei".
Er zieht seine Konsequenz, er verlässt Deutschland und somit Sallys Welt.
AVIVA-Berlin: Die Leichtigkeit sowohl von "Die Drei von der Tankstelle" als auch die unbeschwerte Spitzbübigkeit von Heinz Rühmann können vor den politischen Hintergründen durchaus als unangemessen wahrgenommen werden, gerade weil sie eine heile Welt vorgaukeln, obwohl die Welt zeitgleich aus den Fugen gerät. Wie denken Sie darüber?
Katharine Mehrling: Jede Epoche hat ihre Unterhaltung.
Heute sucht Deutschland den Superstar und krönt die Dschungelqueen!
Die UFA Verfilmung "Die Drei von der Tankstelle" wurde 1937 von Goebbels verboten.
AVIVA-Berlin: Gibt es eine Rolle, die Sie schon immer gerne spielen wollten?
Katharine Mehrling: Lulu.
Figuren von Tennessee Williams.
AVIVA-Berlin: Welche von Ihnen dargestellte Persönlichkeit empfanden Sie als die Beeindruckendste?
Katharine Mehrling: Die Piaf!
Ich habe die Piaf in drei verschiedenen Inszenierungen gespielt, habe in Paris gelebt, mich auf eine Art Zeitreise begeben und bin ihren Spuren gefolgt.
Sie hat sich auf der Bühne wie im Leben völlig hingegeben und verausgabt.
Es gibt nichts, was sie nicht erlebt hat.
AVIVA-Berlin: Neben Ihren Musicalengagements haben Sie schon zahlreiche CDs aufgenommen. Was unterscheidet die schauspielerische Arbeit von der musikalischen?
Katharine Mehrling: Wenn ich im Studio bin und meine Musik aufnehme, darf mich keiner sehen, so wie auf der Bühne. Wahrscheinlich, weil ich mich ohne Rolle nackt fühle.
Es ist sehr intim, fast introvertiert. Auch in meinen Chanson-Konzerten bevorzuge ich die leisen Töne. Zur Zeit arbeite ich an einem Jazz-Programm mit Rolf Kühn. Gitarre, Klarinette und Stimme.
AVIVA-Berlin: Sie haben neben Musik-CDs auch eine Buch-CD für Kinder aufgenommen. Erzählen Sie uns bitte mehr darüber.
Katharine Mehrling: Ja! "Conni, ich mach so gern Musik!"
Eine zauberhafte Kinder-CD mit sehr anspruchsvoller Musik von Dixieland bis
Hip Hop. Produziert und geschrieben von Rainer Bielfeldt.
Ich singe die Conni und habe mir vorgestellt, wie ich als Kind diese Lieder gesungen hätte.
AVIVA-Berlin: Welche privaten Pläne und Visionen haben Sie für die Zukunft?
Katharine Mehrling: In der Gegenwart glücklich zu sein!
AVIVA-Berlin: Danke für das Interview und weiterhin viel Erfolg!
Weitere Infos:
www.katharine-mehrling.de
www.schlossparktheater.de
www.bar-jeder-vernunft.de
www.cabaret-berlin.de
Lesen Sie auch weiter über das Musical Cabaret, sowie das Interview mit Anna Loos-Liefers, die ebenfalls Sally Bowles darstellt.