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Beitrag vom 05.02.2010
STOP FGM NOW - Waris Dirie startet internationale Kampagne
Lisa Erdmann
Alle elf Sekunden wird auf der Welt ein Mädchen an ihren Genitalien verstümmelt. Mindestens 150 Millionen Frauen weltweit sind davon betroffen. Vor etwa 15 Jahren nahm Ex-Supermodel Waris Dirie ...
...den Kampf gegen das Verbrechen FGM (Female Genital Mutilation) auf und startet in 2010, am 6. Februar - dem internationalen Tag "Null Toleranz gegen Genitalverstümmelung" – eine neue internationale Kampagne um ihrer Forderung "STOP FGM NOW!" Nachdruck zu verleihen.
Dass Waris Dirie der Folter "Genitalverstümmelung" den Kampf angesagt hat, ist sicher jeder Leserin bekannt. Auch, dass die Somalierin selbst im Alter von fünf Jahren Opfer des grausamen Verbrechens wurde, ist spätestens seit dem Kinostart ihrer Biographieverfilmung "Wüstenblume" kein Geheimnis mehr. Doch was Genitalverstümmelung eigentlich bedeutet, welche Folgen sie nach sich zieht und wie stark vor allem auch Mädchen und Frauen in Europa betroffen sind, all das lag bislang nur selten im Fokus der Medien.
"Ich will, dass alle Menschen auf dieser Welt meinen Traum träumen: Das Ende der Genitalverstümmelung – für alle Zeit. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es wichtig, vorhandene Kräfte zu bündeln und weitere Unterstützer zu gewinnen", sagt Waris Dirie im Rahmen der Pressekonferenz am 04. Februar 2010 in Berlin.
Die mehrfach ausgezeichnete Menschenrechtsaktivistin und Gründerin der 2002 ins Leben gerufenen "Waris Dirie Foundation" bringt daher in 2010 zusammen mit der Heymann Brandt de Gelmini Werbeagentur und führenden Organisationen, die sich im Kampf gegen Genitalverstümmelung engagieren, eine neue internationale Kampagne auf den Weg.
Die wichtigsten Ziele des gemeinsamen Engagements sind:
die aktuelle Situation betroffener Frauen in Deutschland zu verbesserneinen Durchbruch für den Schutz bedrohter Mädchen zu erzielenpolitischen Forderungen Ausdruck zu verleihen und Interessierten konkrete Möglichkeiten zur Förderung und Unterstützung von Projekten zu geben.
Mit einem Video-Spot und Anzeigen will die Kampagne die Aufmerksamkeit für FGM-betroffene Frauen dabei jedoch nicht über Mitleid, sondern über Irritation erzielen. Zu sehen ist das Model Manon von Gerkan - eine wunderschöne, nackte Frau, die Arme vor der Brust verschränkt. Das Bild würde an eine Hochglanz-Beauty-Anzeige erinnern, stünde nicht neben der makellosen Schönheit eine bittere, pietätlos erscheinende Anforderung: "Jetzt nur noch die Klitoris herausschneiden, und sie ist perfekt." Nicht die Opferdarstellung trifft hier die BeobachterInnen, sondern eine tiefe, grausame Wahrheit: Zum Ideal der perfekten Frau gehört in vielen Afrikanischen Ländern, aber auch in anderen Teilen der Welt, das grausame Verbrechen der Beschneidung.
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© Initiator "HEYMANN BRANDT DE GELMINI" Werbeagentur AG |
Ziel der Anzeigen und des Spots sei es, das Thema Genitalverstümmelung auch in das Blickfeld von Menschen zu rücken, die sich bisher nicht oder nur sehr wenig mit diesem grausamen Ritual beschäftigt haben und in die Diskussion einzusteigen, wie Mädchen zu schützen sind – und zwar jetzt, so Werbeagenturchef René Heymann. Der Unternehmer hat die "STOP FGM NOW!"-Kampagne initiiert und entwickelt. Seine Berliner Werbeagentur "Heymann Brandt De Gelmini" kreierte und finanzierte nicht nur Anzeigen und einen TV-Spot, sondern gewann darüber hinaus zahlreiche PartnerInnen und SponsorInnen für den gemeinsamen Kampf gegen Genitalverstümmelung. "150 Millionen Frauen sind weltweit von FGM betroffen, und während wir hier sprechen, werden es weitere 3000 sein", sagte Heymann auf der die Kampagne eröffnenden Pressekonferenz.
"Ohne die Agentur Heymann Brandt De Gelmini gäbe es diese Kampagne nicht. Die Idee hat mich überzeugt" sagt Waris Dirie, die mit ihrer Foundation als Trägerin und Botschafterin der Kampagne agiert.
Zu den ersten Unterstützerorganisationen der internationalen "STOP FGM NOW!" -Kampagne zählen das "CENTER for PROFS" sowie die eingetragenen Vereine "stop mutilation", "Leb Kom", "FIM - Frauenrecht ist Menschenrecht", "Hammer Forum", "(I)ntact" und "TERRE DES FEMMES".
Irmingard Schewe-Gerigk, Vorstandsvorsitzende des Vereins "TERRE DE FEMMES" und ehemalige Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen erklärt: "Wir möchten, dass Genitalverstümmelung [in Deutschland] eine eigenständige Straftat ist" und Kerstin Hesse, Ausgebildete Fachkraft zur Verhinderung weiblicher Genitalverstümmelung und Projektleiterin vor Ort in Kenia für den Verein "LebKom e.V." ergänzt: "Unsere Arbeit [vor Ort] zielt ab auf Prävention, denn eine erfolgreiche Prävention macht Strafverfolgung entbehrlich." Weiter erklärt Hesse: "Was bringt es, wenn eine Frau entscheidet, ihr Kind nicht beschneiden zu lassen, und die ganze Familie stellt sich gegen sie? – Nichts. Deshalb legen wir unseren Fokus auf die Männer."
Auch Prof. Dr.rer.pol. Muthgard Hinkelmann-Toewe, Direktorin des Forschungs- und Ausbildungsinstitutes "CENTER for PROFS", sieht die Chancen zur Bekämpfung der Genitalverstümmelung in der Informierung und Fortbildung der Männer Afrikas. "Wieso schicken wir für einen Brückebau Fachkräfte nach Afrika und für dieses Thema nicht? Ganz einfach: Brückenbau ist Männersache" und daher müsse "auch GFM Männersache werden". Hinkelmann-Toewe: "Wir müssen das Interesse am Erhalt der Klitoris wecken", denn "das Augenmerk richtet sich auf das, was zu wahren ist: die Klitoris."
Gertrud Mehrens, Vorstandsvorsitzende und Mitbegründerin von "FIM – Frauenrecht ist Menschenrecht e.V." sieht in der Genitalverstümmelung "bei aller Beteiligung der Frauen", sei es als Beschneiderin oder als Mutter, die ihre Tochter beschneiden lässt, trotzdem vor allem "ein Patriarchat von Männern über die Frauen". Daher ist es für Mehrens und den Verein FIM – Frauenrecht ist Menschenrecht "ganz wichtig, die Männer mit einzubeziehen." Ihr Ziel ist vor allem auch die Enttabuisierung von Genitalverstümmelung und ihren Folgen.
Christa Müller, erste Vorsitzende des Vereins (I)NTACT e.V., gibt einen weiteren Denkanstoß: "Man sollte sich bei der Frage des Kampfes gegen Genitalverstümmelung eines bewusst sein: wenn wir für Tsunami- oder Erdbebenopfer spenden, helfen wir in diesem einen Moment. Wenn wir für GFM-Bedrohte oder Opfer spenden, helfen wir für alle Zeiten."
Der Verein "TERRE DES FEMMES" wirbt neben seinem aktiven Engagement auch um Unterschriften für eine Petition. Mit dieser sollen die Krankenkassen in Deutschland aufgefordert werden, Kosten zu übernehmen, wenn, und das ist nicht selten der Fall, betroffene Frauen aufgrund der erlittenen Genitalverstümmelung gesundheitliche Probleme haben.
Bis zu 500.000 verstümmelte oder von FGM bedrohte Mädchen und Frauen leben in Europa. Unzählige Mädchen und Frauen sterben an dieser massiven Form der Gewalt oder ihren Folgen. In Deutschland leben mehr als 20.000 Frauen, die bereits eine Genitalverstümmelung erlitten haben. Über 5.000 Mädchen und Frauen aus Zuwandererfamilien droht dieses Schicksal zum Beispiel bei einem Ferienaufenthalt im Herkunftsland. Daher glaubt Jawahir Cumar, Gründerin und Sprecherin des Vereins "stop mutilation e.V." und selbst Opfer der Genitalverstümmelung, dass schon bei der Einreise von Familien auf Afrikanischen Ländern nach Deutschland etwas getan werden müsse. Sie vertritt darüber hinaus die Ansicht, dass GFM endlich als ein Asylgrund vom Staat anerkannt werden solle.
Insgesamt wollen die Organisationen mit Hilfe der Kampagne insbesondere folgende Forderungen publik machen:
Alle Kinder in Deutschland – unabhängig von Herkunft und Geschlecht – sollten verbindlich an den ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen. ÄrztInnen sollten melden müssen, wenn sie entdecken, dass ein Mädchen bereits verstümmelt ist. Das Thema Beschneidung gehört in die Ausbildung von ÄrztInnen, PsychologInnen und SozialarbeiterInnen. Für betroffene Mädchen und Frauen sollte es mehr Beratungsstellen geben. FGM sollte ein eigener Straftatbestand werden. Es braucht die Ausbildung von Anti-FGM-Fachkräften, damit diese den Dialog zu Migrantenethnien aufbauen können, um sie für einen gemeinsamen Kampf zu mobilisieren. Zur Realisierung dessen wird zudem gefordert, dass Bund und Länder im Rahmen eines Nationalen Aktionsplanes die entsprechenden Mittel bereitstellen.
Die Folter der genitalen Verstümmelung findet meist vor der Pubertät statt, häufig bei Mädchen zwischen vier und acht Jahren, inzwischen auch vermehrt bei Säuglingen, die erst wenige Tage, Wochen oder Monate alt sind. Weibliche Genitalverstümmelung kommt vor allem in Afrika vor, besonders in Nordost-, Ost- und Westafrika. Es gibt sie aber auch im Nahen Osten, in Südostasien – und unter Einwanderinnen in Europa, den USA, Kanada, Australien und in Neuseeland.
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.stop-fgm-now.com , www.waris-dirie-foundation.com, www.frauenrechte.de und www.hbdg.de
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