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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 09.05.2007


Nach einer Wunde suchen für den Schmerz...
Clarissa Lempp

Die Künstlerin Gisela Weimann ist eine der Hauptakteurinnen der Ausstellung "FRIDA A LOS 100 AÑOS". Mit AVIVA-Berlin sprach sie über ihre Erfahrungen in Mexico und den Mythos Frida Kahlo




AVIVA-Berlin: Frida Kahlos 100. Geburtstag ist der Anlass, alte und neue Geschichten über die faszinierende und außergewöhnliche Künstlerin zu erzählen. Der "Frida-Kult" hat sie zum Popstar gemacht. Was interessiert Sie persönlich und als Künstlerin am Mythos und am Mensch Frida?
Gisela Weimann: Die Besuche in Frida Kahlos casa azúl waren 1976 das inspirierendste Erlebnis meines ersten Aufenthaltes in Mexiko. Ihr ausgeprägter Sinn für Schönheit und Poesie, ihre Bilder, ihre Tagebücher, ihre Sammlung mexikanischer Volkskunst und ihr Leben, das gleichzeitig wie ein rauschendes Fest und von großer Tragik war, berührten mich tief und schärften meine Sinne für die Wahrnehmung der einzigartigen Kultur und dramatischen Geschichte Mexikos. Daher widme ich ihr zu ihrem 100. Geburtstag mein "Tepoztlaner Tagebuch". Der "Popstar", zu dem eine so tiefgründige und ernsthafte Künstlerin wie sie gemacht wurde, erlebe ich als kulturpolitisch bewusste Kollegin heute als ein erschütterndes Beispiel für die Gnadenlosigkeit des Kunstmarktes und nachgeborener Nutzer. Die Frauenforschung arbeitet vorrangig über Verschollenes, Verstecktes, Verlorenes. In der Regel schreiben Kunstwissenschaftlerinnen und Kunstwissenschaftler über tote Künstlerinnen. Sind diese durch Lebens- und Zeitumstände nicht ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten oder vergessen worden, bleibt das Werk häufig nur rudimentär oder gar nicht erhalten. Ein anderer Aspekt ist die posthume Vermarktung von Künstlerinnen, die öffentliche Beachtung errungen haben. Die Ausstellung zur Rezeption von Frida Kahlos Werk, die wir gegenwärtig anlässlich ihres 100. Geburtstages am 6. Juli 2007 für das Haus am Kleistpark in Berlin vorbereiten, zeigt einige dieser Aspekte auf. Die Werke der Künstlerin, die zu ihren Lebzeiten in Mexiko kaum ausgestellt und verkauft wurden (in ihre erste große Einzelausstellung in Mexiko-Stadt wurde sie, schon halbtot, in ihrem Bett gebracht), und ihre tragischen Lebensumstände sind zum Ausgangspunkt für eine gewinnträchtige Frida-Industrie geworden, die vor keinem privaten Detail und keiner Geschmacklosigkeit Halt macht.

AVIVA-Berlin: Das bereits erwähnte "Tepoztlaner Tagebuch" entstand während Ihres Studienaufenthalts von 1979 bis 1980 in Tepoztlán, Mexiko. Gab es bestimmte Ereignisse oder Situationen, die besonders starken Einfluß auf Ihre Arbeit hatten?
Gisela Weimann: Ich lebte über ein Jahr allein mit zeitweilig 10 Katzen in einem großen Haus mit vielen Zimmern, Treppen, Terrassen und einem Garten mit Avocado-, Orangen- und Zitronenbäumen und exotischen Pflanzen, das zum Verkauf stand. Ich hatte lange Zeit kein Licht und kein Gas. Wenn die plötzliche tropische Nacht vom Himmel fiel, verließen neugierige Nachbarn fluchtartig das Haus, und auch mir war es unheimlich, wenn ich von der oberen Terrasse mit einer flackernden, Schatten werfenden Kerze zu meinem Schlafraum ging. In den ersten Nächten hatte ich unheimliche Träume, fühlte mich beobachtet und geprüft und schließlich akzeptiert, aufgenommen in das Geheimnis. Mexiko ist ein magisches Land, voller Fantasie, Genialität, Sinnlichkeit und Lebensfreude bei gleichzeitiger, immer präsenter Todesnähe. ‚Brujas' und ‚brujos' (Hexerinnen/Heilerinnen und Hexer/Heiler) sind im Kontakt mit den ‚invisibles' (den Unsichtbaren/den Geistern) und einem überlieferten Wissen, das sie bei ‚limpias' (Reinigungszeremonien) und bei heidnisch-christlichen Ritualen vermitteln. Die besondere Atmosphäre eines Ortes wie Tepoztlán und diese Begegnungen, unterstützt von ‚hongas' (halluzinogenen Pilzen), schafften einen weit geöffneten, rezeptiven Bewusstseinzustand, der Träume, Empfindungen und Bilder entstehen ließ, die mich selber überraschten. Nach meiner Rückkehr nach Berlin wurden die leuchtenden Farben immer düsterer, nur der Tod blieb präsent, als Bedrohung und nicht als Teil des Lebens.

tepoztlaner tagebuch, 29. 10. 1979 … eingehüllt unter dem frühen, rosig verschleierten morgen sitzen - in weichen grauen hügelwellen abgestufte ferne - eine landschaft wie von turner, caspar david friedrich oder auf chinesischen tuschzeichnungen und japanischen holzschnitten, vertraut und neu - in meinem verwunschenen palast kein strom und kein gas - bedauerter verzicht auf ein heißes getränk - endlich flammt die sonne auf, seit tagen vermisst, und zerreißt die schleier vor meinen augen… // über den tempelbergen weit oben quellen dicke, schneeweiße wolken hervor, so als würde dahinter etwas zubereitet - so seltsam schön dieses land aber nicht sanft - josé antonio zeigte mir gestern einen schweren rundgeschliffenen stein und sagte, damit hätten die priester die rippen der opfer zerschlagen bevor sie das herz herausschnitten

AVIVA-Berlin: Der Titel, unter dem die Bilder gezeigt werden, entstammt dem Tagebuch von Frida Kahlo: "Wozu brauche ich Füße, wenn ich Flügel zum Fliegen habe?". Sie schrieb es kurz nach ihrer Fußamputation unter eine Zeichnung. In welcher Verbindung sehen Sie dieses Zitat zu ihren Arbeiten?
Gisela Weimann: Nach meinem ersten Aufenthalt 1976 kehrte ich im August 1979 nach Mexiko zurück und lebte über ein Jahr in dem beschriebenen Haus in Tepoztlán, diesem magischen Ort, der, überragt von der Pyramide Tepozteco und umgeben von geheimnisvoll modellierten Bergen (nach der Sage waren Riesen am Werk) in einem der alten, heiligen Täler Mexikos liegt. Der Traum vom Fliegen gehört zu den Archetypen menschlicher Sehnsüchte und der Wunsch, die Erdgebundenheit und meinen Körper in anderer Form zu verlassen, taucht schon vor meinem ersten Mexikoaufenthalt in meinen Tagebüchern auf. Zwei danach, 1977 entstandene Radierungen tragen die Titel: "Daphne verwandelt sich vor Zeugen in eine Wolke" und "Ikarus verwandelt sich vor Zeugen in einen Vogel". Aber erst in Tepoztlán verlor ich den Boden unter den Füßen ohne zu fallen. Auf meinen Aquarellen erschienen anfänglich bedrohliche Mischwesen aus Mensch und Vogel, während meine Tagebuchtexte Ängste vor der Nacht und ihren fremden Geistern beschrieben. Langsam jedoch wurde das ‚Schweben über dem Tal' selbstverständlich, lösten sich die Figuren auf meinen Aquarellen schwerelos vom Boden. Zu Beginn der Regenzeit trieben sie grüne Blätter und Flügel, gingen himmelan und flogen, begleitet von Palmen und der gefiederten Schlange indianischer Mythen, durch eine leuchtende, helle Welt. Eine weitere Affinität zu Frida Kahlo ist ihre Bewältigung der Schmerzen, die sie, wie bei einer Beschwörung, in Bilder bannte. In meinen Tagebüchern der 60er Jahre findet sich der Satz: "nach einer wunde suchen für den schmerz". Für diesen stark empfundenen seelischen Schmerz, der mit der Wunde zusammen hängen mag, die ich durch das Erschrecken über die Menschen und die Welt durch die Enthüllungen der grauenvollen Ereignisse während des Zweiten Weltkrieges erlitt, suchte auch ich nach Bildern und Worten, wie Aquarelle von blutigen, verletzten Körpern und Titel zeigen: "dornen im fleisch". Mexiko selbst erscheint mir ein Land mit einer tiefen Wunde zu sein, ein Land mit einem tief empfundenen Gefühl für Schmerzen und Leiden, hervorgerufen durch seine traumatische koloniale Geschichte, aber auch durch die blutigen Rituale der prähistorischen Religion. Ich sehe das als eine Erklärung dafür an, dass die christliche Religion mit der stellvertretenden grausamen Kreuzigung ihres Gottes in Mexiko so erfolgreich eine Verbindung mit eigenen Traditionen eingehen konnte und weiter dafür, dass Frida Kahlo durch ihre Identifizierung mit überlieferten Mythen und ihre Leidensgeschichte ein mexikanisches Grundgefühl reflektiert und fast zu einem Teil mexikanischer Identität geworden ist.

AVIVA-Berlin: Eine weitere Verbindung zwischen Ihrer Arbeit und Kahlos Werk ist die direkte Einbeziehung der eigenen Person durch Selbstportraits. Was birgt diese Darstellungsform für Sie?
Gisela Weimann: Es gibt kaum KünstlerInnen, die sich nicht in verschiedenen Lebensphasen selbst dargestellt haben: stolz oder fragend, zweifelnd oder verzweifelt oder den Prozess der eigenen Vergänglichkeit festhaltend, wie die Retrospektive der finnischen Künstlerin Helene Schjerfbeck in Hamburg uns gerade vorgeführt hat. Das Selbstporträt ist eine direkte Form der Selbstbefragung, das neugierige Forschen nach existentiellen Antworten in den Linien und dem Ausdruck des eigenen Gesichtes. Die eigene Person steht als Modell und Dialogpartner jederzeit und kostenlos zur Verfügung und hilft, die Einsamkeit zu überwinden. Durch ihre Krankengeschichte, die sie über lange Zeitspannen an das Bett fesselte, war Frida Kahlo auf sich selbst zurück geworfen und angewiesen. In ihre komplexen Selbstporträts fließen sowohl Zeitgeschichte als auch koloniale Geschichte und mexikanische Mythen, Ereignisse ihres privaten Lebens, eigene Träume, Leiden und Ängste, Identifizierung mit verletzten Kreaturen und dem kosmischen Kreislauf des Lebens ein. Fast ihr gesamtes Werk kann als Selbstporträt bezeichnet werden. Ich selbst habe über viele Jahre in einer doppelten Spiegelung meine Mutter und mich selbst gezeichnet.

Berlin, 1986: Seit 1964 zeichne ich in Abständen meine Mutter und mich selber. Die Zeichnungen sind ein Dialog, an dem wir beide kritisch beobachtend, vergleichend und mit unseren Gefühlen teilhaben. Seit 1982 wird unser Gespräch zunehmend bewusster geführt - als dritter Gesprächspartner ist der Tod hinzugekommen. Dadurch ausgelöst beschäftige ich mich seit 1982 in meiner gesamten künstlerischen Arbeit vorrangig mit dem Tod - er hat für mich zwei Gesichter: Das eine gehört dem vertrauten Tod, wie er mir in Mexiko begegnet ist - er ist lebendig, ständig neben mir, isst mit, tanzt mit, trägt eine Narrenkappe und setzt sie mir auf, wenn ich ihn vergesse. Dieser Tod ist physischer Natur im Sinne von Überwindung und psychischer Erneuerung und betrifft mich persönlich. Der andere Tod ist anonym, fremd und macht das persönliche Schicksal lächerlich. Er ist ‚cool' geplant, durchkalkuliert und manipuliert, seine Beziehung zum Leben und den Menschen wird verdrängt. Dieser unfassbare Tod bedroht mich existentiell seit meiner Rückkehr nach Europa.

In meinem 2002 erschienenen Werkverzeichnis meiner Arbeiten mit Spiegeln beschreibt Carola Muysers diese Arbeitsserie in einer Weise, die sich auch auf Frida Kahlo übertragen lässt, die viele ‚Spiegelungen' in ihre Selbstporträts integriert: "Die Porträts kommunizieren miteinander - so scheint ein dreistimmiges Gespräch zwischen der Künstlerin, ihrem Spiegelbild und ihrer Mutter zu entstehen.Denken wir an das klassische Künstlerselbstbildnis, so ist hier das Verhältnis der Künstlerin/Autorin zu ihrem eigenen Abbild gleich mehrfach gebrochen. Denn Gisela Weimann gibt sich keineswegs mit einem narzisstischen Bild ihrer selbst zufrieden. Im Gegenteil scheint sie das Gegenüber der Mutter zu befragen und ihre eigene Reaktion auf diese Situation widerzuspiegeln. Zugleich dient ihr das mütterliche Pendant ebenso als Spiegel wie ihr eigenes gezeichnetes Spiegelbild - ein Verwirrspiel zwischen Selbst und Anderem, aus dem sich das Selbstbild der Künstlerin zusammenfügt. Eine Fotografie … zeigt das große Atelier von Gisela Weimann, in dem ein ovaler Spiegel die Perspektive verstellt. Wie zufällig steht er auf einer Staffelei der Künstlerin gegenüber, so dass ihre ernsthaften Züge darin reflektiert werden. Am Fensterflügel im Hintergrund des Spiegelbildes hängt eine spinnenartige (mexikanische) Maske, und rechts davon sind Papierbahnen mit aufgemalten Skeletten angebracht - Motive, die aufmerken lassen. Für Traumbilder und Visionen aus einer anderen Welt haben sie eine zu reale Präsenz. Wie ein Insekt sitzt die Maske am Fenster, während die Skelette in ihrer großflächigen Konturierung fast wie eine verspielte Dekoration wirken. Obwohl diese Bilder fremd und rätselhaft sind, vermitteln sie auch Vertrautes. Sie entstammen der Welt der Künstlerin und sind zugleich eigenständige Wesen. So gesehen kann man ihre Anwesenheit vollends begreifen: Die Skelette, die dort fröhlich mit den Knochen zu klappern scheinen, und die Maske, die aufmerksam und scharf die Umgebung beobachtet, sind die Garde der Künstlerin, sind ihre Gefährten und ihre Beschützer, die ihr beim Abtauchen in die kreativen Tiefen nicht von der Seite weichen".

AVIVA-Berlin: Tepoztlan liegt südlich von Mexico Stadt, im Bundesstaat Morelos, der als Wiege des Revolutionärs Emiliano Zapata gilt. Für Frida Kahlo war die Revolution ein wichtiges Ereignis, das sie als ihre Geburtsstunde bezeichnete (obwohl sie tatsächlich 3 Jahre zuvor geboren wurde). Die Politik ging in dieser Zeit in die Kunst über, wie das Beispiel der Muralisten zeigt, zu denen ja auch Diego Rivera gehörte. Wurde Ihr eigenes Verhältnis zu Politik in der Kunst durch den Mexico Aufenthalt beeinflusst?
Gisela Weimann: Ich habe von 1965 bis 1971 in Berlin studiert, d. h., dass ich in meinem Denken und meinem sozialen Bewusstsein von der kritischen Studentenbewegung geprägt war. Entsprechend haben mich die Kunst der mexikanischen Revolution und die großen Muralisten fasziniert und begeistert. Ich hatte bald Kontakt zu linksgerichteten Künstler/-innen, wie dem kritischen Zeichner Rojelio Naranjo, der Schauspielerin Ana Ofelia Murgia, die viele Jahre mit dem "teatro campesino" gearbeitet hat (einer sozialkritischen, von Agosto Boal entwickelten Form des "unsichtbaren Theaters", bei dem Konflikte und Probleme mit den betroffenen ‚campesinos' in den Dörfern aufgearbeitet, nachgespielt und so bewusst gemacht werden), zu den Theoretikerinnen Raquel Tibol, Alaide Foppa und zu Eli Bartra von der feministischen Gruppe "La Revuelta" (der Umbruch). Seit 1976 hatte sich mein politisches Engagement und mein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit auf die Gleichberechtigung der Frauen und auf kulturelle Bildung konzentriert, in der Hoffnung, dass kreative Menschen unabhängiger denken und nicht so leicht zu manipulieren sind. Dass dies durchaus von politischer Brisanz ist, haben meine Erfahrungen in Mexiko zwischen 1979 bis 1980 bestätigt.

berliner tagebuch, 11. 1. 1981 ... wir sind so umgeben von gewalt, dass man sich gar nicht mehr davon trennen kann - reale gewalt, verherrlichte historische gewalt, unterschwellige gewalt - ...jula dech rief an und erzählte mir, dass alaide foppa am 19. 12. 1980 auf offener straße in guatemala entführt worden ist (ihr mann war vorher "tödlich verunglückt"!) - verschiedene gerüchte grassieren: entführung durch eine todesschwadron oder zum versuch der erpressung - ich denke an alaide, unseren ersten abend in meinem haus in tepoztlán, wo sie mir das "du" anbot, unser zusammenstehen unter dem hohen sternenhimmel in der stille auf meiner terrasse - sie sagt, wie sehr sie die stille und den himmel hier liebt - bis zum juli 1980 waren mehrere hefte von "fem"* zum thema der rolle der frau im befreiungskampf lateinamerikas erschienen - ich sehe sie vor mir auf dem podium des goethe institutes, hübsch geschminkt und in einer spitzenbluse die einführung für die ausstellung der mexikanischen kolleginnen haltend; eine etwas hausbacken wirkende ältere dame // ...bevor ich aus mexiko abfuhr, schrieb ich ein paar abschiedszeilen an alaide, und nun! - es gibt keine sicherheit, wenn man mit moral und verantwortung sein leben verfolgt...

*Das feministische Journal "fem" wurde 1975 von Margarita García Flores und Alaide Foppa geründet.

AVIVA-Berlin: Zum Abschluss, was wird die Besucher/-innen der "Frida a los 100 años"-Ausstellung an Neuem erwarten?
Gisela Weimann: Der vielfältige Blick auf die Rezeptionsgeschichte: Anne Jud's Collage auf dem Einladungs-Faltblatt, mit den 2002 ausgegebenen amerikanischen Frida-Briefmarken im Dollarrahmen, verdeutlicht zum einen ihre weltumspannende Berühmtheit und setzt zum anderen einen kritischen Akzent, der mit dem umfangreichen Begleitprogramm mexikanischer und deutscher WissenschaftlerIinnen weiter ausgelotet und diskutiert werden wird. Renate Reichert's 100 Objektkästen aus ihrer schon seit 10 Jahren kontinuierlich fortgesetzten Arbeitsserie "Frida mi vida" ("Frida mein Leben", zärtliche Form der Anrede für vertraute und geliebte Menschen) sind erstmals in Berlin zu sehen und zeigen in der manisch-magischen Verbindung der Künstlerin mit ihrem Idol Frida den Einfluss auf, den deren Leben und Werk auf sie ausüben. Renate Reichert bezieht dabei sowohl biografische Details aus Frida Kahlo's Leben als auch eigene Erfahrungen und tagespolitische Ereignisse ein, denen sie in der Frida Kahlo's Bildtexten nachgeahmten kindlichen Handschrift Kommentare beifügt. Ihr großer Traum war es, ihre 100 persönlichen Variationen des berühmten Bildes "Die beiden Fridas" zum 100. Geburtstag von Frida Kahlo in Berlin zu zeigen. Diesen Traum hat sie mit Zähigkeit und Briefen an viele Kulturinstitutionen und an mich verfolgt und damit den Anstoß zu diesem Ausstellungsprojekt des HAUS am KLEISTPARK gegeben. Die Auswahl von 100 Aquarellen aus meinem "Tepoztlaner Tagebuch" ist noch nie gezeigt worden. Der ganz besondere Aspekt unserer Ausstellung besteht jedoch darin, dass wir die große Magierin Frida Kahlo in den Fotos von Gisèle Freund auferstehen lassen können (die bis zu ihrer Emigration ‚um die Ecke' im Bayrischen Viertel gelebt hat) und dass sie ihren 100. Geburtstag umgeben von fotografischen Werken von 3 Generationen ihrer kreativen Familie feiern kann. Das verdanken wir unserem Kooperationspartner Ibero-Amerikanisches Institut in Berlin, in dessen Archiv sich eine Sammlung von Fotos von Frida Kahlo's Vater Wilhelm (Guillermo) befindet und vor allem den Organisatorinnen des großartigen jährlichen Festivals "Frauenperspektiven: neue Welt - Neue Welten" in Karlsruhe mit dem Schwerpunkt "Identidades in Movimiento" (Identitäten in Bewegung), Guatemala, Mexiko und Kuba im März/April 2007. Elisabeth Schraut, im Kulturamt der Stadt verantwortlich für internationale Beziehungen, stellte die Verbindung zu Sylvette Strönstad vom französischen Kulturinstitut und zu Dorothee Bode von der Galerie Bode her. Sylvette Strönstad war es gelungen, in ihrem Institut eine Ausstellung mit den wundervollen Fotos von Gisèle Freund zu organisieren, die sie zwischen 1950-1952 von Frida Kahlo und ihrer Umgebung gemacht hat, und die Galerie Bode zeigte die Fotoserie "Noviembre Dos" (der 2. November, Tag der Toten, wird in Mexiko mit Verkleidungen der Kinder und opulenten Festen auf den Gräbern begangen) der Fotografin Cristina Kahlo. Auf diese Weise kamen wir in Kontakt mit dem Gisèle Freund-Archiv in Paris und mit Cristina Kahlo und konnten mit Sylvette Strönstad und Dorothee Bode vereinbaren, dass wir einen Teil der von ihnen mit hohem künstlerischem Niveau und viel Arbeit zusammen gestellten Ausstellungen übernehmen konnten. Wir bedanken uns herzlich für die Vorarbeit und großzügige Weitergabe. Cristina Kahlo wiederum ist die Tochter des Fotografen Antonio Kahlo, eines Neffen von Frida, und konnte uns deshalb 3 Fotos zur Verfügung stellen, die ihr Vater von Frida Kahlo gemacht hat.

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview!

Alle Fotos und Bilder von GiselaWeimann:
Gisela Weimann: "Selbstporträt mit Calavera-Maske", vor dem Bild "der Tod beflügelt", 1987
Gisela Weimann: "die schlange in der hand halten und abfliegen", 21X 29,5 cm, Tepoztlaner Tagebuch, 3. 8. 1980
Gisela Weimann: "Rückenansicht von mir in Tepoztlán", 1979

Lesen Sie auch die Informationen zur
Ausstellung "Frida a los 100 años" im Haus am Kleistpark.


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Beitrag vom 09.05.2007

Clarissa Lempp