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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 19.11.2013


Zum Tod von Doris Lessing
Lea Albring

"Es wird mir gefallen, tot zu sein" – so nonchalant sinnierte die Nobelpreisträgerin über ihr Leben nach dem Tod. Am 17. November 2013 ist sie kurz nach ihrem 94. Geburtstag in London gestorben.




Auf den Spuren einer markanten Persönlichkeit

Speziell, ein bisschen schroff und unsentimental – nicht erst das Alter hat Doris Lessing zu einer höchst eigensinnigen Frau werden lassen. Unkonventionell und unangepasst sind die Worte, die ihre Vita prägten und ihre Literatur weltberühmt machten. Sie selbst rebellierte schon früh gegen alles und jeden. Zuerst gegen ihre Eltern, dann gegen die Schule, aus unglücklichen Ehen brach sie aus, gegen politische und gesellschaftliche Missstände begehrte sie auf.
Geboren wurde Doris May Tayler, so der Geburtsname Lessings, am 22. Oktober 1919 in Kermanschah im heutigen Iran. Es folgte eine kurze Zwischenstation in England, bevor die Familie schließlich nach Südrhodesien, dem heutigen Simbabwe, übersiedelte. Ihr Vater, ein Invalide mit nur einem Bein, war von dem Ersten Weltkrieg genauso gezeichnet wie ihre Mutter, eine Lazarettkrankenschwester. Die Nachwehen des Krieges, ein schwieriges Verhältnis zu den Eltern und das Aufwachsen in Afrika prägten die Kindheit und später auch die Literatur von Lessing. Zentrale Themen sind die Suche nach Liebe und Sicherheit, weibliche Selbstbestimmung und Identität.

Literatur als Ventil

Die Erzählung "Das Leben meiner Mutter" (1985) ist ein Psychogramm einer kriegsgezeichneten Frau. In autobiographischer Manier schildert Lessing hier ihre Kindheit, tritt dabei aber möglichst oft als Ich-Erzählerin zurück, um den Fokus auf Ego und Psyche der Mutter richten zu können. Die Geschichte des rebellierenden Kindes schreibt sich dennoch in diese Zeilen ein. Es ist bezeichnend, dass sich das letzte Buch der Autorin ("Alfred und Emily", 2007) nochmals ihren Eltern widmet und in Teilen ein Leben imaginiert, in dem es keinen Krieg gegeben hat – ein Thema, das Lessing nie losließ. Gemeinhin als ihr Hauptwerk zählt "Das goldene Notizbuch" (1962). Aus der Sicht von zwei selbstbestimmten Frauen setzt sich der Text mit den Themen Kommunismus, Rassismus und Identitätssuche auseinander, auch dieses Werk trägt autobiographische Züge. Der Roman gilt als Pamphlet der Frauenbewegung, Lessing schreibt hier über politisches und emanzipatorisches Engagement genauso wie über weibliche Orgasmen und Menstruationsbeschwerden. Die Autorin selbst allerdings hat sich nie von einer Bewegung vereinnahmen lassen wollen, auch nicht von der feministischen. Das Verhältnis der Geschlechter zueinander ist dennoch ein beständiger Antrieb ihres Schaffens gewesen.

Engagiert und Reserviert

Bis zuletzt setzte sich Doris Lessing gegen die Apartheid und Missstände in Südafrika ein. Pauschale Geldspenden lehnte sie ab, der Blick in das Land und auf die Menschen war ihr wichtig, um erst zu begreifen und dann verändern zu können. Wie in ihrer Literatur war ihr hier eine besondere Hellsichtigkeit und ein Weitblick zu eigen, hinter denen der gesellschaftliche Konsens oft weit zurücklag.
So engagiert die Autorin in Bezug auf Andere war, so reserviert war sie hinsichtlich ihrer eigenen Person. Unvergessen bleibt ihre Reaktion auf den Literaturnobelpreis, den sie im Oktober 2007, im Alter von 88 Jahren, verliehen bekam. Ungerührt kommentierte sie: "Den Nobelpreis kann man niemandem verleihen, der tot ist, also haben sie sich wahrscheinlich gedacht, die geben ihn mir, bevor ich abkratze." Sentimentalitäten waren nicht ihre Sache, Schmeicheleien lehnte sie ab. Ein Nachruf wie dieser wäre wohl mit Nichtbeachtung oder bestenfalls mit Missbilligung von ihr gestraft worden.

Und jetzt?

Mit mehr als 50 Büchern hinterlässt die Autorin ein großes Werk, das auch künftig zur Auseinandersetzung mit Literatur und der Lebenswirklichkeit auffordert. Der Kinofilm "Tage am Strand" läuft am 28.11. 2013 in den Deutschen Kinos an, er ist eine Verfilmung von Lessings Erzählung "Die Großmütter". Die Regisseurin Anne Fontaine erzählt die Geschichte von der Freundschaft zweier Frauen, die mit dem Sohn der jeweils anderen eine Liebesaffäre beginnen. Der Vorrat an (vermeintlichen) Tabubrüchen ist groß – Lessing wird uns noch lange beschäftigen.


Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Doris Lessing – Das Leben meiner Mutter - Hörbuch

Literaturnobelpreis 2007 für Doris Lessing

Weiterlesen im Netz: Ein sehr ausführlicher Nachruf findet sich auf den Seiten der New York Times.


(Quellen: www.dorislessing.org, www.spiegel.de, www.fembio.org, www.zeit.de)



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Beitrag vom 19.11.2013

AVIVA-Redaktion