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Beitrag vom 05.12.2014
Alina Gromova - Generation koscher light. Urbane Räume und Praxen junger russischsprachiger Juden in Berlin
Lisa Sophie Kämmer
Eine Untersuchung der postmodernen Generation junger Berliner Jüdinnen und Juden, deren Identität durch den urbanen Raum geprägt wird. Die dem Buch zugrunde liegende Dissertation wurde 2013 mit ...
... dem "Humboldt-Preis" - Sonderpreis "Judentum und Antisemitismus" ausgezeichnet.
Erkunden Tourist_innen heutzutage Berlin, dann dürfte ihnen vor allem eine Sache auffallen:
Die Hauptstadt an der Spree ist ein bunter Begegnungsort, der von Menschen verschiedener Nationen im multikulturellen Neben- und Miteinander bewohnt wird. Die internationale Färbung der Stadt wird dabei noch künftig zunehmen, sodass laut Bundesamt für Statistik bald jede/r dritte Berliner_in einen Migrationshintergrund aufweist.
Das kulturell so vielgestaltige Stadtleben wird in besonderer Weise auch durch die etwa 300.000 russischsprachigen Migrant_innen geprägt. Diese Einwanderergruppe, die aufgrund ihrer gemeinsamen Sprache gemeinhin als "Russen" bezeichnet wird, bildet dabei keineswegs eine homogene Einheit. Während sie sich lediglich aus knapp 20.000 ethnischen Russinnen und Russen zusammensetzt, stellen deutschstämmige Spätaussiedler_innen, sogenannte "Russlanddeutsche", sowie Staatsangehörige anderer ehemaliger Sowjetrepubliken das Gros der russischsprachigen Berliner und Berlinerinnen.
Diesem vielfältigen Migrationsstrom, der von Litauen bis in den Kaukasus reicht, schlossen sich auch die sowjetischen Juden an, von denen zwischen 1991 und 2005 im Rahmen des "Kontingentflüchtlingsgesetzes" etwa 200.000 nach Deutschland gelangten. Sie und ihre Nachkommen, die mehrheitlich aus Russland, der Ukraine und den baltischen Staaten stammen, verschafften der Berliner Gemeinde hierdurch einen merklichen Zuwachs. So zählt diese derzeit etwa 10.000 Mitglieder, von denen zwei Drittel aus der ehemaligen Sowjetunion zuwanderten, während die mindestens 25.000 aktuell in Berlin lebenden Juden zu 85 Prozent russischsprachig sind.
Die Gedanken- und Erfahrungswelt dieser bedeutsamen jüdischen Gruppe im urbanen Raum Berlins sichtbar zu machen, bildet das Forschungsziel der Kulturanthropologin Alina Gromova. Indem sie 15 russischsprachige Juden zwischen 18 und 35 Jahre über zwölf Monate begleitete und sich ihnen u.a. in Form von qualitativen Interviews näherte, ermöglicht sie den Leser_innen einen intimen Einblick in das Leben dieser jungen Hauptstädter_innen. Das Besondere an der Arbeit ist dabei ihre zentrale Stadtperspektive, wodurch die Selbst- und Fremdwahrnehmungen der Interviewten stets im Hinblick auf den urbanen Kontext analysiert bzw. ihre "Jüdischkeit" vor dem Hintergrund ihres städtischen Alltags in Berlin nachgezeichnet wird.
Dass sich dieser mit Blick auf ihre jüdische Identität von ihren Herkunftsländern stark unterscheidet, ist dabei ein wichtiger Ausgangspunkt der Arbeit. So wird vorangestellt, dass sich die jungen Juden anders als in ihren sowjetischen Herkunftsländern, wo das Jüdische lediglich eine nationale Zugehörigkeit implizierte, nunmehr einer Religionsgemeinschaft gegenübersehen. Vor diesem Hintergrund einer für sie neuen Definition des Judentums müssen sie in einer fortwährenden Identitätsarbeit ihre eigene Position stets bestimmen.
Um nur ein Beispiel für die vielen interessanten Erkenntnisse zu nennen, sei auf den Titel der Arbeit verwiesen: "Koscher Light". Hierbei handelt es sich um eine abgewandelte Auslegung der religiösen Speisegesetze, die von vielen der jungen Migrant_innen kreativ angewandt wird. Da es in Berlin – anders als etwa in New York – kaum koschere Restaurants gibt, versuchen die jungen russischsprachigen Juden durch eigene, offenere Auslegungen, ein solches Fehlen zu umgehen, ohne dabei auf ein Essen im Restaurant verzichten zu müssen. In diesem Sinne wird deutlich, wie stark der urbane Raum auf die religiösen Praxen der jungen Juden und damit letztlich auf ihre Identität einwirkt. Das "Jüdischsein" in Berlin – so die These von Gromova – offenbart sich als ein urbaner Lebensstil, der verschiedene kulturelle Optionen an die jungen Juden heranträgt, aus denen sie auswählen und mit Blick auf Inklusions- und Exklusionsstrategien ihre eigene Identität konstruieren.
Zur Autorin: Alina Gromova, ist akademische Mitarbeiterin im Jüdischen Museum Berlin, wo sie auch Führungen anbietet. Ihre Dissertation, die dem Buch zugrunde liegt, wurde 2013 mit dem "Humboldt-Preis" - Sonderpreis "Judentum und Antisemitismus" ausgezeichnet.
Im Vorstand der Berliner Stiftung "ZURÜCKGEBEN", deren Stiftungszweck darin gründet, jüdische Frauen in Kunst und Wissenschaft zu fördern, war Gromova ebenfalls für lange Zeit aktiv. Als Kulturanthropologin bilden Migration, Urbanität, Postsäkularisierung sowie die Gemeinschaftsbildung den Schwerpunkt ihrer Forschung.
AVIVA-Tipp: Die ethnografische Studie von Alina Gromova bietet einen aufschlussreichen Einblick in die Lebenswelten junger russischsprachiger Jüdinnen und Juden in Berlin, die sich vor allem durch ihren Fokus auf den urbanen Raum einschließlich seiner Wirkung auf die Identitätsbildung der Akteur_innen auszeichnet. Indem Gromova selbst russischsprachige Jüdin ist, gelang es ihr im Zuge ihrer Feldforschungen, eine besondere Nähe zu ihren Interviewpartner_innen aufzubauen, wobei sie diese als Forscherin zugleich immer wieder kritisch reflektierte.
Die Studie besticht darüber hinaus durch ihren fortwährenden Bezug auf theoretische Überlegungen und Konzepte, die als solche garantieren, dass die empirischen Ergebnisse im Rahmen weiterführender Theorien verortet werden. Gromova gelingt es dabei, Klassiker wie den "Sozialen Raum" von Pierre Bourdieu sinnvoll auf ihre Empirie anzuwenden, ohne die Aufmerksamkeit der Leser_innen durch zu weitführende theoretische Erörterungen von ihren eigenen Erkenntnissen abzulenken.
Alina Gromova
Generation "koscher light". Urbane Räume und Praxen junger russischsprachiger Juden in Berlin
transcript Verlag, erschienen im Oktober 2013
306 Seiten, kart., 14 Abb.
ISBN 978-3-8376-2545-5
32,99 Euro
www.transcript-verlag.de
Mehr Infos unter:
www.taz.de "Russische Juden in Berlin. Unerwartet gut gelandet", taz-online vom 16.07.2012
www.welt.de "Berlin als Zentrum und Jerusalem Europas", DIE WELT-online vom 12.04.2012
www.merian.de/magazin/das-neue-juedische-berlin.html "Das neue jüdische Berlin". MERIAN-Magazin Berlin, 2/2013
www.deutschlandradiokultur.de/ "Ein anderer Umgang mit Geschichte: Die Berliner Stiftung Zurückgeben". Deutschlandradio Kultur, Beitrag vom 27.05.2011
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