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Beitrag vom 16.01.2020
Gestartet: Das Interview + Fotoprojekt JETZT ERST RECHT von Sharon Adler. Gefördert von der Amadeu Antonio Stiftung
AVIVA-Redaktion
"Du Jude". Hassmails und Rechte Hetze im Netz und im Rap. Der Mordanschlag in Halle an Yom Kippur. Mobbing von Schülerinnen und Schülern. Verschwörungsmythen zu Corona-Zeiten. Antisemitismus in Deutschland hat viele Gesichter. Um Erfahrungen, Perspektiven und Forderungen von Jüdinnen und Juden abzubilden, hat die Fotografin, Journalistin und Herausgeberin von AVIVA-Berlin ein neues Projekt JETZT ERST RECHT! initiiert. Mehr Infos zum Hintergrund und zur Teilnahme hier auf AVIVA-Berlin >
Realitäten von Jüdinnen und Juden in Deutschland heute:
Am 9. Oktober 2019, an Yom Kippur, dem höchsten Feiertag im jüdischen Kalender, hat ein rechtsextremistischer, antisemitischer 27-jähriger Attentäter einen Mordanschlag auf die Synagoge in Halle verübt. Eine einfache Holztür hat verhindert, dass der Täter ein Blutbad unter den Betenden angerichtet hat, in seinem grenzenlosen Hass hat er anstelle der Juden und Jüdinnen zwei Menschen erschossen, die sich in der Nähe der Synagoge aufgehalten haben.
Die Statistik des Bundesverbands RIAS e.V., der Recherche- und Informationsstelle als Melde-Netzwerk für antisemitische Vorfälle dokumentiert den kontinuierlichen Anstieg antisemitischer Taten. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin) hat 2018 insgesamt 1.083 antisemitische Vorfälle in Berlin erfasst. Im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um 14 %. Die Zahlen des BKA belegen aktuell fünf Angriffe auf Jüdinnen/Juden pro Tag.
Der Mordanschlag in Halle; Attacken auf Schülerinnen und Schüler; die Instrumentalisierung und Kommerzialisierung Asche von NS-Opfern; Hassmails; "Du Jude" als Schimpfwort bei Beleidigungen unter Jugendlichen; antisemitische Inhalte und Weiterverbreitung von Klischeebildern in Schulbüchern - die Bilanz antisemitischer Angriffe zeigt einen eklatanten Anstieg.
Und die Justiz? Brandanschläge auf Synagogen werden "nicht per se als antisemitisch" eingestuft. Das jedenfalls sieht das AG Wuppertal so, das hinter dem Anschlag keine "antisemitischen Motive", sondern "nur" Israelkritik erkennen wollte. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verwarf einen Antrag auf Revision und bestätigte das skandalöse Urteil, anstatt ein sichtbares Zeichen zu setzen.
Das Leben und Erleben von Jüdinnen und Juden in Deutschland heute ist vielerorts belastet durch offenen oder versteckten Antisemitismus, antisemitischer Gewalterfahrung und Diskriminierung, aber auch bestimmt durch den Wunsch nach Normalität und Akzeptanz im Alltag, in Politik, in Gesellschaft, in den Medien.
Ob säkular oder religiös - Jüdinnen und Juden jeden Alters, religiöser Richtung und haben in ihrem Leben Antisemitismus erfahren. Neben physischen Angriffen und verbalen Beleidigungen ist es aber auch die fehlende Empathie, die verletzt. Trotz aller Bemühungen und Programme u.a. seitens der Bundesregierung ist jüdisches Leben in Deutschland heute noch immer von Vorurteilen und Klischeevorstellungen geprägt.
Das Interview- + Fotoprojekt "JETZT ERST RECHT! STOP ANTISEMITISMUS". Konzept und Hintergrundinfos
Abseits der Zahlen + Statistiken will die jüdische Fotografin und Journalistin Sharon Adler diese Erfahrungen, aber auch Perspektiven und Forderungen jüdischer Menschen sichtbar machen. Abgebildet werden soll ein Text in Form eines Interviews, ein Kurz-Statement zum Claim "JETZT ERST RECHT" und ein Foto.
Das Konzept dafür hat sie Ende 2019 erarbeitet, gefördert wurde das Interview- + Fotoprojekt von der Amadeu Antonio Stiftung.
Ursprünglich, also vor Corona-Zeiten, waren neben einem Interview auch Foto-Aufnahmen im Portrait-Studio von Sharon Adler geplant:
"Ich plane, in Bild + Text die Statements von 10-15 Jüdinnen und Juden zum Thema Antisemitismus, zu #Halle, abzubilden. Dazu möchte ich alle mit einem "Demo-Schild" fotografieren, auf dem ein Signet aufgebracht wird. Der Claim lautet: "JETZT ERST RECHT! STOP ANTISEMITISMUS" Das ergänzende, individuelle Statement auf dem Demo-Schild kommt dann jeweils von den Teilnehmenden selbst. Schwarz auf Weiß. Mit Edding oder einem anderen Material ihrer Wahl.
Die so entstandenen Demo-Schilder plane ich auch einzeln fotografieren, die Originale werde ich sammeln, um sie in einer Ausstellung zu zeigen und eine Collage damit herzustellen."
Gestaltet wurde das Signet JETZT ERST RECHT! von der israelischen Künstlerin Shlomit Lehavi. Die Teilnehmer_innen können zwischen drei Signets für "ihr" Demo-Plakat wählen.
Durch den Einsatz eines einheitlichen Foto-Hintergrunds (wahlweise Rot, Schwarz oder Hellgrau) und ohne Abbildung von jüdisch konnotierten Locations beziehungsweise von Elementen/Symbolen/Objekten im Hintergrund sollen klischeetypische Bilder vermieden werden.
Da durch COVID-19 derzeit jedoch keine Studiofotos realisiert werden können, hat Sharon Adler folgende Alternativ-Idee parat:
"Das Demo-Schild incl. JETZT ERST RECHT!-Signet verschicke ich auf Anfrage digital per eMail, es müsste also nur ausgedruckt werden. Danach kann das Statement eingefügt werden (handschriftlich oder per Schreibprogramm des Smartphones) und Du machst ein Selfie von Dir oder bittest jemanden, ein Foto mit dem Smartphone aufzunehmen.
Studiofotos machen wir dann sofort später, wenn es wieder möglich ist, sich zu treffen."
MITMACHEN
Welche Erfahrungen hast Du in Deiner Kindheit, Jugend, in der Schule, im Studium beziehungsweise Berufsleben, als Jüdin/Jude gemacht? Gibt es antijüdische Klischeebilder, mit denen Du Dich konfrontiert siehst? Wann und in welchen Situationen oder Facetten ist Dir Antisemitismus begegnet, wie bist Du damit umgegangen? Hast Du von deinem Umfeld eher Solidarität oder Ignoranz erfahren? Wie nimmst Du die Darstellung von Jüdinnen/Juden, von jüdischem Leben in Deutschland in den Medien wahr? Wie sind Deine Gedanken zu Verschwörungsmythen gegen Jüdinnen und Juden in Zeiten wie der derzeitigen #Covid 19 –Pandemie? Und welche Forderungen hast Du an Zivilgesellschaft und Politik? Wie könnte Dein Statement gegen Antisemitismus lauten, womit würdest Du "JETZT ERST RECHT!" ergänzen?
Wenn Du Interesse hast, an dem Interview- + Fotoprojekt JETZT ERST RECHT teilzunehmen, kannst Du Dich bis zum 10.12.2020 per eMail mit Sharon Adler unter sharon@aviva-berlin.de in Verbindung setzen. Bitte sende in dieser eMail Deine Motivation und einige biographische Informationen.
Konzipiert wurde JETZT ERST RECHT! von Sharon Adler, AVIVA-Berlin.
Gefördert wurde das Interview- + Fotoprojekt von der Amadeu Antonio Stiftung
Copyright: Gestaltet wurde das Signet JETZT ERST RECHT! von der israelischen Künstlerin Shlomit Lehavi. Alle Rechte vorbehalten. Nutzung ausschließlich nach vorheriger schriftlicher Anfrage und Genehmigung durch AVIVA-Berlin.
Zu Sharon Adler
Geboren 1962 in Berlin-West, 2. Generation, gründete 2000 das Frauen-Online-Magazin und Informationsportal AVIVA-Berlin, das sich für die Sichtbarmachung von Frauenbiografien, für interkulturelle Verständigung, und gegen Rassismus, Sexismus und Antisemitismus einsetzt.
Dazu initiiert sie Schreib- und Dialogprojekte wie "Jüdische Frauengeschichte(n) in Berlin - Writing Girls", "Lokale Geschichte_n" für Frauen aus aller Welt, oder "Schalom Aleikum", das jüdische und muslimische Frauen in den Austausch brachte und vernetzte. Für ihr Engagement wurde sie 2012 mit dem Berliner Frauenpreis ausgezeichnet.
Neben ihrer Arbeit für AVIVA-Berlin arbeitet Sharon Adler seit 30 Jahren auch als Fotografin und hat beispielsweise die Konzeption und Fotoproduktion für den Bildband "Frauen und ihre Autos" realisiert, um mit Klischeebildern bei der Darstellung von Frauen in der Werbung aufzuräumen oder setzt seit mehreren Jahren die Motive für die LADS –Kampagne "Diskriminierung hat viele Gesichter – Gleichbehandlung ist Ihr gutes Recht!" um.
Seit 2013 engagiert sie sich außerdem ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzende der Stiftung ZURÜCKGEBEN, Stiftung zur Förderung jüdischer Frauen in Kunst und Wissenschaft.
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Bundesweite Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus rund um den 9. November
Über 170 Veranstaltungen gegen Antisemitismus während der Aktionswochen bundesweit und Projektionen an öffentlichen Gebäuden machen antisemitische Straftaten sichtbar. Das Kampagnenmotto für das Jahr 2019 lautete "Du Jude! #sowhat?" und reagierte damit auf antisemitische Beleidigungen unter Jugendlichen.
Berliner Büro des American Jewish Committee (AJC) stellt 12-Punkte Aktionsplan zur Bekämpfung des Antisemitismus in Deutschland auf
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Häufiger als zuvor nahm Antisemitismus im vergangenen Jahr in Berlin verrohte Formen an. Dies geht aus dem "Bericht antisemitischer Vorfälle 2018" hervor, den die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin) am 17.04.2019 vorstellte. In ihrer - auf AVIVA-Berlin veröffentlichten - Pressemitteilung dokumentiert RIAS Berlin Zahlen, Fakten und O-Töne. Außerdem in diesem Beitrag: Die AVIVA-Linkliste informiert zu Initiativen und Organisationen, die sich gegen Antisemitismus engagieren. (2019)
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Antisemitische Haltungen von LehrerInnen und SchülerInnen, antisemitische Inhalte und Weiterverbreitung von Klischeebildern in Schulbüchern. Das Schul- und Universitätssystem weist diverse Schwachstellen auf, die Antisemitismus in Bildungseinrichtungen erst möglich machen. Das Gutachten des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin mit der Universität Gießen vom Januar 2019 liefert zwar keine Zahlen. Dafür zeigt es präzise auf, wo Handlungsbedarf besteht.