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Beitrag vom 20.03.2014
Die Moskauer Prozesse. Von Milo Rau. Kinostart: 20.03.2014
Britta Leudolph
Der Prozess um die Punkband Pussy Riot hat in der westlichen Welt für Entsetzen und Unglauben gesorgt. Dass dies nur ein Höhepunkt eines immer repressiver werdenden russischen Staates im ...
... Schulterschluss mit nationalen und orthodoxen Kräften ist, ist auch im Dokumentarfilm "Die Moskauer Prozesse" zu erkennen, der begleitend zu einer 2013 in Moskau inszenierten Theateraufführung entstand.
Nachdem im Januar 2003 sechs nationalistisch-orthodoxe Gläubige die umstrittene Kunstaustellung "Vorsicht! Religion." verwüsten, bleiben sie straffrei, stattdessen werden die OrganisatorInnen der Ausstellung zu Geldstrafen verurteilt – wegen Aufwiegelung zu religiösem Hass. Wegen desselben Tatbestands werden 2010 zwei KuratorInnen verurteilt, die mit ihrer Ausstellung "Verbotene Kunst" auf die staatliche Zensur in Russland hinweisen wollten. Sie entgehen nach einem Schauprozess nur knapp dem Straflager. Zuvor hatte der Moskauer Patriarch der orthodoxen Kirche zur "Vertreibung der Dämonen" und "Rettung Russlands" aufgerufen, mit Billigung des Staates.
Während diese beiden Prozesse im Ausland relativ wenig Aufmerksamkeit erregten, horchte die Weltöffentlichkeit auf, als Künstlerinnen der Punkband "Pussy Riot" nach einem Protestauftritt in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche zu zwei Jahren Freiheitsentzug wegen "Rowdytums aus religiösem Hass" verurteilt wurden.
Milo Rau stellt diese drei Prozesse mit dem Mittel des politischen Theaters nach und fasst sie zu einem Prozess zusammen. Er versammelt hierzu Beteiligte der Prozesse und lässt sie neu verhandeln. Im Prozess treten außerdem AkteurInnen des realen politischen Lebens auf, die schon während der realen Prozesse öffentlich Position dazu bezogen hatten.
Die Verteidigung übernimmt die Moskauer Rechtsanwältin Anna Stavickja. Sie hatte in den Prozessen gegen die OrganisatorInnen der Ausstellungen "Vorsicht! Religion" und "Verbotene Kunst" drei der Angeklagten verteidigt.
Neben dem Staatsanwalt sitzt als Experte der russische Journalist und Moderator Maxim Schwetschenko – ein Konservativer, der sich ein Russland wünscht, das nicht vom westlichen Lebensstil geprägt ist, sondern von den Werten der orthodoxen Kirche.
Als Angeklagte für den "Pussy Riot"-Prozess spricht Yekaterina Samutsevich, Künstlerin der Punkband.
Als ExpertInnen erscheinen AkteurInnen unterschiedlicher politischer Gruppierungen Russlands, unter anderem Jekaterina Degot, Kunstkritikerin und Kunstexpertin, Wladimir Sergejew, Präsident der Vereinigung "Combat Sambo" und Beteiligter an der Zerstörung der Ausstellung "Vorsicht, Religion!" oder Wsewolod Tschaplin, Erzpriester der orthodoxen Kirche und Vorsitzender der Abteilung der heiligen Synode des Moskauer Patriarchats für Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft. Der Philosophie-Professor Michael Ryklin spricht - auch im Namen seiner Frau Anna Altschuk - die im "Vorsicht! Religion."-Prozess angeklagt war und sich 2008 mutmaßlich das Leben nahm.
Neben dem Geschehen im Theater lässt Rau die ProtagonistInnen in Einspielern zu Wort kommen und ihre Position darstellen. Daneben platzt ebenso die russische Migrationsbehörde in die Inszenierung, um Raus Papiere zu überprüfen, wie eine Gruppe orthodoxer Kosaken, die von einer religionskritischen Inszenierung erfahren haben und sich darüber empören.
Zum Regisseur: Milo Rau wurde 1977 in Bern geboren. Er studierte Soziologie, Germanistik und Romanistik. Seit 2003 inszenierte er an Theatern im In- und Ausland, unter anderem am Maxim-Gorki-Theater und HAU in Berlin. Daneben produzierte er Dokumentarfilme wie "Hate Radio", "City of Change" und "Die letzten Tage der Ceausecscus". Außerdem erschienen von unter anderem die Veröffentlichungen "Was tun? Kritik der postmodernen Vernunft" und "Die Enthüllung des Realen". Milo Rau erhielt nach der Inszenierung eine Einreiseverbot für Russland.
AVIVA-Tipp: Milo Rau zeigt in diesem begleitendem Film zu einem politischen Theaterstück, wie die Prozesse um Pussy Riot und die Ausstellungen "Vorsicht! Religion" und "Verbotene Kunst" hätten verlaufen können, wenn sie nach den rechtlichen Statuten Russlands verhandelt worden wären. Die Stärke der Inszenierung liegt darin, dass Rau zwar die Rahmenbedingungen stellt, die ProtagonistInnen aber frei agieren und die Beurteilung der unterschiedlichen Aussagen den ZuschauerInnen überlassen bleibt. So entsteht ein eindrückliches Bild der russischen Gesellschaft, die tief zerissen zu sein scheint und in der die Vergangenheit tiefe Narben hinterlassen hat. Es zeigt sich auch, dass grundlegende Werte der Demokratie in Teilen der Gesellschaft nicht verwurzelt sind. Die Verbindung zwischen einer immer autoritärer agierenden Regierung und der rückwärtsgewandten orthodoxen Staatskirche hat auf alle Prozessbeteiligten einen gravierenden Einfluss, ganz gleich, ob sie als glühende VerehrerInnen deren Ansichten proklamieren oder um ihre Freiheit fürchten müssen, weil sie eben diese verteidigen.
Die Moskauer Prozesse
Deutschland, 2013
Regie und Drehbuch: Milo Rau
Lauflänge: 86 Minuten
Verleih: Realfiction Filmverleih
Kinostart: 20.03.2014
facebook.com/moskauerprozesse
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