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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 13.01.2013


Duki Dror - Erich Mendelsohn. Visionen für die Ewigkeit
Susann S. Reck

Der Dokumentarfilm des israelischen Filmemachers erzählt die Lebensgeschichte des für die Moderne des 20. Jahrhunderts wegweisenden Architekten anhand von persönlichen Briefen mit seiner Frau Luise




Amsterdam und die Bombe

Nach seiner Motivation befragt, erwähnt Duki Dror in einem im Interview von zwei Schlüsselmomenten, die ihn veranlasst haben einen Film über den Architekten Erich Mendelsohn zu machen.
Bei dem ersten handelt es sich um eine Episode, die sich 1933 am Bahnhof von Amsterdam zugetragen hat. Nachdem Erich Mendelsohn als Jude aus der deutschen Architektenkammer ausgeschlossen worden war, bestieg er noch am selben Abend mit seiner Frau Luise den Nachtzug von Berlin nach Amsterdam. Dort stieß er am nächsten Morgen auf einen Bekannten.
"Erich, was machst Du denn hier"?, fragte er.
Mendelsohn zog einen Stift aus seiner Jackentasche und antwortete:
"Ich habe soeben mein Büro verlegt".

Für Duki Dror spiegelt diese Episode, neben Erichs Weitblick, einen Menschen, der an seinen Visionen festhielt und dafür bereit war, Risiken auf sich zu nehmen. Die Mendelsohns kehrten nie wieder nach Deutschland zurück.
Das zweite Moment ist ähnlich schicksalhaft wie das erste. Kurz vor dem Beitritt der Amerikaner in den 2. Weltkrieg (1941), erreichen die Mendelsohns die USA.
"Mein Volk wird geschlachtet", schreibt Erich an einen Freund. "Ich muss der Regierung meine Dienste anbieten.

Tatsächlich geht das amerikanische Militär darauf ein. Es kann mit Hilfe des Architekten, der genauen Aufschluss darüber gibt, wie und womit in Deutschland gebaut wurde, die Durchschlagskraft der Bomben erheblich verbessern, die seine Städte zerstören und schließlich mit zum Waffenstillstand beitragen werden.

Wer aber war dieser Mendelsohn, der visionär das moderne Bauen des 20. Jahrhunderts in Deutschland vorwärts getrieben und entscheidend geprägt hat, und der nach dem 2. Weltkrieg nichts mehr mit Deutschland zu tun haben wollte?

Einsteinturm

1887 im ostpreußischen Allenstein (heute Olsztyn in Polen) als Sohn eines Kaufmanns geboren, lernt Mendelsohn früh seine spätere Frau Luise, eine begabte Cellistin kennen. Sie ist aus reichem Haus und fasziniert von seinen ungewöhnlichen Entwürfen als Architekt. Luise trägt entscheidend zu seinem Erfolg bei. Nach dem ersten Weltkrieg etwa, macht Erich durch sie die Bekanntschaft mit Albert Einstein, der zu diesem Zeitpunkt fast auf dem Höhepunkt seiner Karriere als Physiker ist und seine Pläne für ein Forschungslabor der Relativitätstheorie favorisiert. In einer bislang unbekannten Formensprache, in der Eisen und Beton als elastisches Material unter Beweis gestellt werden soll, wäre der Bau von Mendelsohns Vorschlag zudem ein expressionistisches Experiment. Tatsächlich erhält er 1920 den Zuschlag, und als ein Jahr nach der Enthüllung seines spektakulären Debüts, dem Einsteinturm in Potsdam, der Physiker den Nobelpreis erhält, ist es auch für Mendelsohn der Durchbruch.

Funktionelle Dynamik und Machtergreifung

Innerhalb kürzester Zeit wird Erich Mendelsohn zum meist beschäftigten Architekten Berlins. Sein Büro gehört zu den größten Europas.
Mit der Mitgestaltung des Potsdamer Platzes, dem Bau von Kaufhäusern für den Industriellen Schocken und des Woga-Komplexes, zu dem das einstmals modernste Kino der Welt, das Universum am Kurfürstendamm (heute die Schaubühne) gehörte, um nur einige Bauten zu nennen, bewegte sich Mendelsohn mit seinem Konzept einer funktionellen Dynamik auch weiterhin jenseits des Mainstreams. Mit dem Ausschluss aus der Architektenkammer, findet diese Werkphase Erich Mendelsohns jedoch ein jähes Ende.

Duki Dror erzählt in seinem chronologisch aufgebauten Dokumentarfilm die Auswirkungen von Terror und Krieg auf die Gebäude stets mit. So wird erwähnt, dass der jüdische Industrielle Schocken enteignet und seine Kaufhäuser zweckentfremdet wurden, dass durch die Bombenangriffe der Alliierten vom Potsdamer Platz nichts übrig blieb und dass der Einsteinturm nur dank seiner innovativen Form den späteren Druckwellen der Bomben standhielt.
Unmerklich bereitet der Filmemacher vor, was weder die Zuschauerin, geschweige denn Mendelsohn selbst zu diesem Zeitpunkt seines Lebens ahnen konnte, dass der Erbauer zum Mitzerstörer seines eigenen Werkes werden sollte.

Exil

Amsterdam, London, Jerusalem, San Francisco. Mit der Flucht vor den Nationalsozialisten kommen auf Erich Mendelsohn Bauaufgaben in neuen Kulturen und unter anderen Lebensumständen zu. Aber auch jetzt scheinen die richtigen Kontakte über den Schock der Demütigung hinweg zu helfen, deutet alles auf einen Neuanfang in Palästina hin. Dann aber landen die ersten deutschen Truppen in dem von Italien kontrollierten Libyen und die Mendelsohns packen erneut ihre Koffer. Diesmal ist ihr Ziel New York. Dort verfolgen die Mendelsohns die Auswirkungen nationalsozialistischer Politik in Europa. "Die Deutschen", erklärte Luise bereits in Jerusalem, "haben uns Juden allesamt verraten".

The German Village

Wer konnte besser Auskunft darüber geben, wie in Deutschland gebaut und wo sich kriegsrelevante Gebäude befanden, als ein Architekt aus Deutschland? Südwestlich von Salt Lake City in der Wüste von Utah, innerhalb der bis heute größten militärischen Sperrzone der USA wurden während des 2. Weltkriegs Häuser nach deutschen Bauprinzipien gebaut, die zu Testzwecken bombardiert wurden.
"For me, it´s the most interesting dramatic point because you see an artist who had to collaborate in some way with a war machine and sell his soul, so to speak, and he would be condemned if he did, condemned if he didn´t. I don´t know what I would do if I were him and I hope that everybody who watches the film will feel the same, will put himself or herself in this position." so Duki Dror im Interview.
Ein Gewissenskonflikt dieser Tragweite ist ein phantastischer Höhepunkt für einen Film.
Wie Erich Mendelsohn selbst damit zurrecht kam, scheint jedoch nicht schriftlich festgehalten worden zu sein. Es gibt im Film zumindest keinen Hinweis darauf. Allerdings ist bekannt, dass er nach dem Krieg nicht wissen wollte, welche seiner Bauten zerstört worden waren.
Auch schlug er alle Einladung nach Deutschland aus.
"Ich bin verloren in einer Welt, die sich selbst verloren hat", zitiert Dror Mendelsohn.

Golden Gate

In Duki Drors Dokumentarfilm verschwindet Erich Mendelsohn gleichsam aus dem Film. Er ist plötzlich weg. Über seine letzte Werkphase in den USA erfahren die ZuschauerInnen so gut wie nichts. Sein Tod kommt überraschend. Laut einer Enkelin ist die Asche des Großvaters im Jahr 1953 von einem Windsurfer unter der Golden Gate Bridge in San Francisco ausgestreut worden. Ist es eine Legende oder nicht?
Der Film klärt es nicht auf.
Duki Drors Dokumentarfilm suggeriert, dass mit dem german village Mendelsohns Leben an einem Endpunkt angekommen ist. Im Sinne einer fiktionalen Filmerzählung mag das stimmen, aber ist auch nach dokumentarischen Gesichtspunkten legitim?
Auch Luise Mendelsohns Spuren verlieren sich. Sie musste nach Erichs Tod eine Arbeit annehmen, sie verwaltete sein Erbe. Aber wie kam sie in den USA zurecht? Wann starb sie?
Auch darüber gibt der Film, den sie als Erzählerin über weite Strecken getragen hat, am Ende keine Auskunft.

Von Allenstein/Ostpreußen bis St. Louis/Missouri

Erich Mendelsohns Entwurf für das Riverside Park Holocaust Memorial in New York wurde nie verwirklicht. Es ist müßig sich zu fragen warum, aber ist es auch überflüssig zu erzählen, dass Mendelsohn zwischen 1946 und 1952 fast ausschließlich Synagogen baute? Ist es vielleicht zu sentimental um Raum zu finden? Immerhin gehört die B´nai Amoona Synagogue in St. Louis zu den Innovativsten, die je verwirklicht wurden. Auch begann Mendelsohn seine Laufbahn als Architekt mit einem Haus der rituellen Reinigung, das kurz nach seinem Studium neben dem jüdischen Friedhof in seinem Heimatort Allenstein (Olsztyn) entstand. War die Gebäudewahl ein Zufall? Wie wichtig war Erich Mendelsohn die spirituelle Seite des Judentums?
In Duki Drors Dokumentarfilm bleibt vieles in der Schwebe. In der Werkschau wird die letzte Phase ausgespart, auch die Liebesgeschichte zwischen Erich und Luise wird nicht zu Ende erzählt.

AVIVA-Tipp: "Wir brauchen keine Einkaufszentren sondern Gebäude die uns intelligenter machen", heißt es an einer Stelle im Film. Genau dieses Bewusstsein aber macht ihn aus. Er zeigt einen von Visionen besessenen Architekten, der es vermochte, der experimentellen Lust an Dynamik, Material, Licht und Perspektiven freien Lauf zu lassen, ohne je die Funktionalität eines Gebäudes außer acht zu lassen. Auch zeigt er einen Menschen, der früh die Gefahren des Hitler-Regimes erkannte und es vermochte, so gut wie möglich darauf zu reagieren.

Zum Filmemacher: Duki Dror, 1963 in Tel Aviv, Israel geboren hat Duki Dror bereits über zehn Filme gemacht. Seine Themen kreisen vor allem um Migration, Entfremdung und Identität. Zu den Bekanntesten gehören:
Cafe Noah
The journey of Vaan Nguyen
Side Walk
Red Vibes
My fantasia
Weitere Informationen: www.dukidror.com

Erich Mendelsohn. Visionen für die Ewigkeit

FILAF d´Or, Festival International du Livre d´Art et du Film Perpignan 2012
Besondere Erwähnung der Jury, Jerusalem International Film Festival 2011


Erich Mendelsohn. Visionen für die Ewigkeit.
Originaltitel: Mendelsohn´s Incessant Visions
Israel 2011
Regie: Duki Dror
Drehbuch: Galia Engelmayer-Dror, Duki Dror
Produktion: Zygote Films
Kamera: Philippe Bellaiche
Schnitt: Duki Dror
Musik:Frank Ilfman
Sound Design: Itzik Cohen
DarstellerInnen Ita Heitze Greenberg, Jeremy Hoffman, Alan Haydon, Länge: 70 Minuten

Sprache: Deutsche Fassung, englische OF
Untertitel Deutsch, Englisch, Französisch, Polnisch
Bestell-Nr. D284
Edition Salzgeber. VÖ 12.11.2012
EAN 4040592004785
UVP 19,90 Euro
Extras Kinotrailer, Features: Mendelsohn in San Francisco, Briefe von Unterwegs, Haifa, Der "Synagogen-Architekt"
DVD bestellen unter: gayclassics.tv

Kinostart: 22. November 2012, Ab 13.Januar 2013 im Xenon, Berlin www.xenon-kino.de

Weitere Informationen:

Mendelsohn´s Incessant Visions: www.architectmovie.com
Trailer www.youtube.com

Aus Anlass des 125. Geburtstages von Erich Mendelsohn (1887-1953) gaben die Erich-Mendelsohn-Stiftung und die Kunstbibliothek Berlin am 21. März 2012 eine bislang unveröffentlichte Aphorismen-Sammlung heraus, die 1961 von Mendelsohns Witwe Louise und seinem Biografen Oskar Beyer zusammengestellt wurde. Bereichert durch eine Auswahl seiner legendären Zeichnungen, wird hier die besondere Stärke Mendelsohns deutlich, die im spontanen Gedankenkürzel wie in der schnellen, hingeworfenen Skizze immer bereits das Ganze erfasst. Befreit von allem Überflüssigen, ist es die Konzentration auf das Wesentliche, die diese Text- und Bild-"Formeln" so eingängig machen. Die gestalterische Bearbeitung der Publikation hat die Urenkelin Erich Mendelsohns, Alexis Petty, Künstlerin und Grafikdesignerin in San Francisco, übernommen.
Erich Mendelsohn: Mensch und Form
Aus dem Nachlass des Architekten
Ausgewählt und eingeleitet von Oskar Beyer
Mit einem Nachwort von Ita Heinze-Greenberg
112 Seiten, Broschur, 33 Abbildungen
ISBN: 978-3-942271-61-5, EUR 17,90
Ita Heinze-Greenberg: Erich Mendelsohn
"Bauen ist Glückseligkeit"
88 Seiten, Broschur, 21 Abbildungen
ISBN: 978-3-942271-34-9, EUR 8,90
Jüdische Miniaturen, Bd. 116
Hentrich & Hentrich Verlag Berlin
www.hentrichhentrich.de

Luise und Erich Mendelsohn
Eine Partnerschaft für die Kunst

Hrsg. Ita Heinze-Greenberg, Regina Stephan, Texte von Oskar Beyer, Ilse Goldenzweig, Walther Harich, Ita Heinze-Greenberg, Richard Hunter, Luise Maas, Erich Mendelsohn, Luise Mendelsohn, Hans Schiller, Regina Stephan
Reihe: Materialien zur Moderne
Erschienen im Hatje Cantz Verlag

Erich Mendelsohn: Bauen für ein neues Land auf haGalil.com

"Die Frau hinter... Erich Mendelsohn", ein Artikel von Susanne Kippenberger im Tagesspiegel (2004)

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Deutsche jüdische Architekten vor und nach 1933, von Myra Warhaftig

"Jüdisches im Grünen. Ausflugsziele im Berliner Umland" von Judith Kessler und Lara Dämmig
(mit Hinweis auf Erich Mendelsohns berühmte Luckenwalder Hutfabrik)

"Wie würde ich ohne Bücher nur leben und arbeiten können? Privatbibliotheken jüdischer Intellektueller im 20. Jahrhundert, herausgegeben von Ines Sonder, Karin Bürger, Ursula Wallmeier
(In dem Sammelband finden sich Texte auch zu den Bibliotheken von Erich Mendelsohn)




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Beitrag vom 13.01.2013

Susann S. Reck