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Beitrag vom 16.08.2012
We Need To Talk About Kevin. Kinostart 16. August 2012
Clarissa Lempp
Tilda Swinton spielt in der Verfilmung des gleichnamigen Bestseller-Romans von Lionel Shriver die Mutter eines jugendlichen Amokläufers. Ein exzellenter Arthouse-Psycho-Thriller von Lynne Ramsay.
In Lionel Shrivers Roman "We Need To Talk About Kevin" analysiert Eva, die Mutter eines jugendlichen Amokläufers (im Film gespielt von Tilda Swinton), schonungslos die eigene Geschichte in Briefen an ihren Ex-Mann Franklin (John C. Reilly). Wann fing es an, dass Kevin ihr unheimlich wurde? Warum haben sie und ihr Mann nie darüber sprechen können. Wie kann einem Elternteil das eigene Kind überhaupt so fremd und unheimlich werden? Was durchlebte sie als Mutter, als Frau, als Mensch? Die Regisseurin Lynne Ramsay fokussierte sich filmisch und erzählerisch auf diese Versatzstücke, die schleichend ein scheinbar unaussprechliches Unglück in Evas Wahrnehmung heraufbeschwören. Die Szenen wechseln zwischen Kevins Kindheit und Jungend, Evas Leben nach dem Amoklauf und den wichtigen Momenten in Evas und Franklins junger Beziehung, bevor sie Eltern wurden, hin und her.
Von der kosmopolitischen und lebenslustigen Reise-Journalistin zum hingebungsvollen Hausmütterchen mutieren. Das ist nicht Evas Rollenverständnis. Trotzdem geht alles schief. Sie wird keine entspannte junge Mutter. Das Schrei-Kind Kevin wird schnell zur alltäglichen Belastung. Bei Franklin findet Eva nach Kevins Geburt zwar eine helfende Hand, aber nicht immer Verständnis. Um Ruhe vor der schrillen Babystimme zu finden, stellt sich Eva in einer Szene mit dem schreienden Säugling im Kinderwagen neben einen Presslufthammer auf einer Baustelle. Kevin bleibt schwierig. Aus ihm wird das sprachlose Kind. Das distanzierte Kind. Das aggressive Kind Kevin.
Ramsay übersetzt die subjektive Perspektive der Briefe aus der Romanvorlage dem Medium Film entsprechend perfekt in Erinnerungssequenzen und Momentaufnahmen um. Immer mehr spinnt sich aus den fragmentarischen Szenen das alptraumhafte Ausmaß, das Kevins zerstörerisches Wesen als Teenager annimmt. Ein Psychogramm, das sich medial auf Bild und Schauspiel statt auf direkte Erklärungen konzentriert und vielleicht daher umso präziser wirkt. Evas Angst um und vor dem eigenen Kind werden durch Tilda Swintons Darstellung und Seamus McGarveys Kamera im Kinosaal beklemmend spürbar. McGarveys Kamera-Arbeit startete mit Musik-Clips, u.a. für PJ Harvey, das sieht mensch auch daran, wie die Szenewechsel und Erzählebenen in starken Bildern vorantreiben. Für den Schnitt zeichnete sich Joe Bini verantwortlich, der bereits an Kult-Filmen wie Werner Herzogs "Grizzly Man" oder "Bad Lieutenant" mitarbeitete.
"We Need To Talk About Kevin" ist hochwertiges Arthouse-Kino im Psychothriller-Gewand - was auch mehrere Auszeichnungen und eine Wettbewerbs-Nominierung in Cannes 2011 bewiesen. Regisseurin Lynne Ramsay, die sich bisher eher mit Stoffen aus dem englischen Arbeiter-Milieu einen Namen machte, schrieb hier auch das Drehbuch zusammen mit Mann Rory Stewart Kinnear. Auch Tilda Swinton war als ausführende Produzentin in einer Doppelrolle in das Projekt involviert. Um das Name-Dropping abzuschließen: Jonny Greenwood, Mitglied der ikonischen Band "Radiohead", lieferte die Film-Musik.
AVIVA-Tipp: Trotz aller großen Namen, die hier aufgezählt wurden, greift das Sprichwort "Zuviel des Guten" bei diesem Film glücklicherweise nicht. "We Need To Talk About Kevin" ist rundum ein sehenswerter Film, der höchstens in der Darstellung des Amoklaufs Schwächen zeigt, als die Perspektive auf Kevin überspringt. Seine Selbstglorifizierung während des Amoklaufs durchbricht nicht nur den Erzähllauf aus Evas Perspektive, sondern nimmt auch ein wenig von dem, was der Film bis dahin aufgebaut hat. Das Verständnis für die Unmöglichkeit der Erklärung einer solchen Tat.
We need to talk about Kevin
GB 2011
Regie: Lynne Ramsay
Nach dem gleichnamigen Bestseller von Lionel Shriver
DarstellerInnen: Tilda Swinton, John C. Reilly, Ezra Miller
Länge: 110 Min
We need to talk about Kevin
Start in deutschen Kinos: 16.8.2012
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Rezension zur deutschen Ausgabe von Lionel Shrivers "Wir müssen über Kevin reden"
"Julia" mit Tilda Swinton
"Thumbsucker - Bleib wie du bist" mit Tilda Swinton
"The Invisible Frame" mit Tilda Swinton