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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 06.06.2013


Ruth Landshoff-Yorck - Die Schatzsucher von Venedig
Madeleine Jeschke

In einer einzigen Nacht im Venedig der späten zwanziger Jahre nimmt das Schicksal von sechs Menschen eine entscheidende Wendung. Ein Typoskript im Nachlass der deutsch-jüdischen Schriftstellerin...




... war die Grundlage für die vom AvivA Verlag herausgegebene Erstedition des 1932 verfassten Romans.

Der Star der Berliner Boheme in den 1920er und 1930er Jahren ist heute weitestgehend in Vergessenheit geraten. Jung, klug und schön, vertrat sie den Typus "Neue Frau" und lebte als Tänzerin und Schauspielerin, Journalistin, Lyrikerin, Roman-Autorin nicht nur den Stil der wilden Zwanziger, sondern berichtete auch darüber. Sie schrieb Artikel und Feuilletons über ihre Generation der modernen Frau, und es wurde auch Fotostrecken über die Schriftstellerin selbst in Zeitschriften veröffentlicht. 1930 erscheint mit "Die Vielen und der Eine" ihr erster Roman, die beiden weiteren können jedoch aufgrund der Machtergreifung Hitlers nicht mehr erscheinen. Wie andere junge SchriftstellerInnen, die in den späten Zwanziger- und frühen Dreißigerjahren erste Erfolge feiern konnten, wurde Ruth Landshoff-Yorck vom "Dritten Reich" um ihre literarische Karriere gebracht.

"Die Schatzsucher von Venedig" beginnt mit einem rauschenden Fest in einem Palazzo. Dort trifft das amerikanische Geschwisterpaar Madelin und Jack auf eine bunt gemischte Partygesellschaft. Unter den Gästen befinden sich ein abgedankter König und extravagante Witwen, die als "depossedierter König" oder die "pompöse Dame Hofknix" vorgestellt werden. Auch anwesend in dieser illustren Gesellschaft sind: der erfolgreiche Theaterregisseur Bachmann, der selbsternannte Miterfinder des "Vitamin B", Dr. Müller, der zwielichtige argentinische Revolutionär Proktor und einige verarmte italienische AristokratInnen. Die sehr unterhaltsamen Konversationen der Partygesellschaft werden im Verlauf des Abends immer sonderbarer. Deren Exaltiertheit wird besonders durch Madelin, die sich unbefangen und mit typisch-amerikanischer Direktheit mit ihnen unterhält, sowie durch den ironischen Erzählton, verdeutlicht.

Unwissentlich wird die junge Amerikanerin in eine "Schatzsuche", einem Spiel neureicher Venedig-BesucherInnen verwickelt, dessen TeilnehmerInnen sich auf einer Art Schnitzeljagd befinden. In diesem Fall ist der "Schatz" eine kostbare Brosche. Der Fund und anschließende Verlust des Schmuckstücks führt Madelin durch das nächtliche Venedig. Auf ihrem Weg trifft sie auf einen schlafenden Jungen, der sich ihr anschließt. Zusammen kommen die beiden an den historischen Plätzen und Gebäuden der Stadt vorbei, bis sie auf einen kuriosen Barmann treffen, der sie zum Palazzo Vendramin führt, wo sie die Bekanntschaft mit seinem mysteriösen Bewohner machen. Seinen Namen erfahren wir nicht, er wird von Madelin der "Herr von Vendramin" genannt. Er scheint aber wie alle Menschen, die in dieser Nacht aufeinander treffen, in gewisser Weise verloren und auf der Suche nach etwas zu sein. Auch Madelins Bruder Jack, der soeben einen Anruf seines Vaters erhalten hat und vom plötzlichen Ruin der Familie erfahren musste, sucht nach einem Ausweg. Mittellos müssen die Geschwister nun ihr Schicksal selbst gestalten. Auf dessen weiteren Verlauf werden die Begegnungen dieser Nacht entscheidenden Einfluss haben.

"Die Schatzsucher von Venedig" war von Landshoff-Yorck als Sommer-Roman geplant."It was to be a summer novel. Amusing and gay and light [...] schrieb die Autorin in einer ihrer autobiographischen Aufzeichnungen. Auf unangestrengte Weise nähert sich die Autorin dem Thema der Weltwirtschaftskrise, die laut Herausgeber Walter Fähnders allegorisch mit dem "Verlust und Gewinn eines "Schatzes" deutbar wird. Wobei dieser Verlust am Ende eine Chance für etwas Neues bedeutet.
Das zweite Thema, dessen sich die Autorin unbefangen annimmt, ist Venedig, eine Stadt, die schon immer berühmte LiteratInnen angezogen hat. Der Literaturwissenschaftlerin Helga Karrenbrock zufolge "muss es umso ambitionierter anmuten, wenn eine junge Autorin Anfang der Dreißiger Jahre Venedig zum Thema eines Romans macht." Ruth Landshoff-Yorck unternehme es "ausgerechnet im Genre des Trivialromans den gängigen Venedig-Mythos umzuschreiben". Dafür leihe sie sich den jungen "unideologischen, ´naiven´ Blick" der jungen Amerikanerin Madelin, die es schafft, "die Schönheit und auch die Schattenseiten der Stadt aus der Geschichte ins Gegenwärtige zu transportieren."

Ruth Landshoff-Yorck und Venedig

Die Schriftstellerin selbst kannte die Stadt am Lido gut, veröffentlichte sogar mehrere Feuilletons über sie. "Die Schatzsucher von Venedig" spielt an verschiedenen Sehenswürdigkeiten der Stadt, die im Buch als Fotografien abgebildet werden. Zusammen mit den plastischen Beschreibungen durch die Autorin werden den LeserInnen so die Schauplätze, wie das Hotel Excelsior oder der Palazzo Vendramin näher gebracht. In dem Palazzo, den Ruth Landshoff-Yorcks damaliger Liebhaber Karl Vollmoeller gemietet hatte, hielt sie sich häufig auf und traf sich dort u. a. auch mit der Schriftstellerin und Journalistin Annemarie Schwarzenbach, mit der sie eine enge Freundschaft verband.

Generell verarbeitet Landshoff-Yorck ihre Erfahrungen und Beobachtungen in den Kreisen der "Haute Volée" in diesem Roman, der vom Herausgeber mit nur minimalen Änderungen wortgetreu übernommen wurde. Dies spiegelt sich in der ironischen Erzählweise wieder, mit der sie diese Szene betrachtete, sowie in der Typisierung der Charaktere, von denen einige deutliche Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen aufweisen. So scheint auch Landshoffs um dreißig Jahre älterer Liebhaber Karl Vollmoeller die Vorlage für den "Herrn von Vendramin" geliefert zu haben. Die Figur des Theaterregisseurs Bachmann wiederum ist laut Herausgeber als eine Anspielung auf Max Reinhardt erkennbar.

Als Nichte des Verlegers Samuel Fischer hatte Ruth Landshoff-Yorck seit ihrer Kindheit Kontakt zu Berühmtheiten wie Thomas Mann und Gerhart Hauptmann, wurde von Oskar Kokoschka gezeichnet, bereits als Schülerin trat sie 1922 in Murnaus Nosferatu auf, sie lernte Theater bei Max Reinhardt und stand mit der damals noch unbekannten Marlene Dietrich auf der Bühne.
In ihrer unvollendeten und unveröffentlichten Autobiografie schrieb sie: "Ich war bestimmt ein glückliches Kind. […] Ich war übermäßig stolz auf dreierlei: Jüdin zu sein, Deutsche zu sein, Berlinerin zu sein. All das war später eher ein Nachteil." Zitiert wird diese Stelle in dem Radiofeature der Schriftstellerin Ursula Krechel aus dem Jahr 1999, "In hartes Grau verwandelt ist das Grün. Ruth Landshoff-Yorck: Jüdin, Deutsche, Berlinerin" (Deutschlandradio).

Nach ihrem erfolgreichen Debüt von "Die Vielen und der Eine"(1930) wurde sie vom Ullstein-Verlag damit beauftragt, einen Roman in Fortsetzungen für die Berliner Illustrierte zu schreiben, "Die Schatzsucher von Venedig", so Ruth Landshoff-Yorck in einem Brief von 1956 an einen Vertreter der Familie Ullstein. In einer autobiographischen Aufzeichnung gibt sie an, dass sie für den Roman 40.000 Mark hätte erhalten sollen die Hälfte [...] von dem was Vicki Baum kriegte" Mit der Erfolgsautorin Vicky Baum sah sich Ruth Landshoff-Yorck in direkter Konkurrenz.
"The book had been accepted when suddenly the government in Germany changed, and with it - everything changed.", schrieb die Schriftstellerin später an anderer Stelle aus dem Exil.

1933 entschied Ruth Landshoff-Yorck sich, in die Emigration zu gehen und Deutschland zu verlassen. In ihrem amerikanischen Exil, in das 1937 ging, wurde der Widerstand gegen die Nazi-Diktatur zu ihrem Hauptthema und das Englische zu ihrer Schreibsprache, so veröffentlichte sie u.a. das vielbeachtete Gemeinschaftswerk "The Man Who Killed Hitler"(1939).
Wie für viele andere ExilliteratInnen blieb Deutsch ihre literarische Heimat. Sie begann erneut auf Deutsch zu schreiben und zu publizieren. 1952 erschien in der Frankfurter Verlagsanstalt der Erzählungenband "Das Ungeheuer Zärtlichkeit", womit sie jedoch nicht mehr an frühere Erfolge anknüpfen konnte. Auch um die Veröffentlichung ihres Romans "Die Schatzsucher von Venedig", wie Walter Fähnders in seinem Nachwort berichtet, hat sie sich in den fünfziger Jahren ohne Erfolg bemüht. Trotz prominenter FürsprecherInnen fand sie zu ihren Lebzeiten keine/n VerlegerIn mehr.

Ihre Romane wurden erst 70 Jahre nach ihrer Entstehung vom AvivA Verlag wiederentdeckt. Mit der aktualisierten Fassung ihres 2004 veröffentlichten Romans "Die Schatzsucher von Venedig" wird nun, nach der Neuauflage von "Die Vielen und der Eine" (2001) und Erstveröffentlichung von "Roman einer Tänzerin"(2004), Landshoff-Yorcks gesamtes Roman-Werk, das sie vor 1933 verfasste, zugänglich gemacht.

AVIVA-Tipp "Die Schatzsucher von Venedig" war von der Autorin als Unterhaltungsroman erdacht und als dieser verfehlt er seine Wirkung nicht. Die leichte, amüsante Geschichte, im Stil und Sprache der Dreißiger Jahre, ist ein authentisches Dokument seiner Zeit und lässt den Zeitgeist jener Jahre wieder spürbar werden.

Zur Autorin: Ruth Landshoff-Yorck, 1904 als Ruth Levy in Berlin geboren, schrieb Feuilletons und Artikel über Autos, Mode und die moderne Frau für verschiedene Zeitschriften. 1930 erfolgt die Veröffentlichung ihres ersten Romans "Die Vielen und der Eine". 1933 emigrierte Landshoff nach Frankreich, dann nach England, in die Schweiz und 1937 in die USA und begann dort eine zweite literarische Karriere als Ruth L. Yorck. Bis zu ihrem Tod 1966 lebte sie als Publizistin, Übersetzerin und Theaterautorin in New York.

Zum Herausgeber: Walter Fähnders ist apl. Professor für Neuere Germanistik an der Universität Osnabrück. Er publizierte zahlreiche Editionen und Monographien zur Literatur des 20. Jahrhunderts, u.a. Avantgarde und Moderne 1890–1933(1998), Mitherausgeber. von Ruth Landshoff-Yorck, Karl Otten, Philipp Keller u.a.(2003), Autorinnen der Weimarer Republik (2003), Metzler Lexikon der Avantgarde (2009), und der Nachlass-Edition von Annemarie Schwarzenbachs Das Wunder des Baums (2010)

Ruth Landshoff-Yorck
Die Schatzsucher von Venedig

AvivA Verlag, erschienen im März 2013
Hrsg. und mit einem Nachwort von Walter Fähnders
ISBN 978-3-932338-56-4
168 Seiten
13,90 Euro
www.aviva-verlag.de

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(Quelle: AvivA-Verlag, Taz- Online -Archive)




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Beitrag vom 06.06.2013

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