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Beitrag vom 26.11.2017
Isabel Fargo Cole - Die grüne Grenze
Bärbel Gerdes
Die Amerikanerin Isabel Fargo Cole, Mitinitiatorin der Initiative Writers Against Mass Surveillance, debütiert mit einem Roman am Rande der DDR. Zwischen Dorfgemeinschaft und Grenzzäunen entfaltet sie die Geschichte einer Gesellschaft im Sperrgebiet.
1973 ziehen Editha und Thomas nach Sorge, einem kleinen Dorf im Harz, direkt an der deutsch-deutschen Grenze gelegen. Die Sperrzonen unterlagen besonderen Voraussetzungen. Anwohner_innen trugen einen Vermerk im Personalausweis, Besucher_innen benötigten einen "Passierschein", um das Gebiet zu betreten.
1973 ist auch das Geburtsjahr von Isabel Fargo Cole. Die in Illinois, USA geborene und in New York aufgewachsene Autorin und Übersetzerin studierte an der University of Chicago. 1987 besuchte sie Ostberlin, einen Ort, der sie faszinierte, weil er so "hinter einer Mauer versteckt" war. Nach Beendigung ihres Studiums 1995 zog sie folgerichtig nach Berlin, wo sie heute als freie Schriftstellerin und Übersetzerin lebt. Häufig durchwanderte sie den Harz und schon früh begann sie Autoren aus der DDR ins Englische zu übersetzen, unter ihnen so große Namen wie Franz Fühmann und Wolfgang Hilbig. An letzterem schätzt sie "die Sprache, die rhythmische Intensität, die Vorstellungskraft und Atmosphäre", wie sie es in einem Interview mit dem 3:AM Magazine ausdrückt. Dessen stilistischer Einfluss ist auch in ihrem Roman zu finden.
Editha ist Bildhauerin, Thomas ist Schriftsteller und arbeitet an einem mittelalterlichen Roman zum Thema Grenzen. Die beiden haben sich in Berlin kennengelernt. Nachdem Editha ein Kind erwartet, beschließen sie, in den Harz zu ziehen, wo Edithas Mutter wohnt. "Was für ein Privileg. Hier stehen zu dürfen. Hier sogar sein Leben zu verbringen. Dich lassen sie da rein?! Mit den Berliner Freunden hatte er vor kurzem die Bewilligung seines Antrags auf Zuzug ins Sperrgebiet gefeiert. Gefeiert war zu viel gesagt. Darauf getrunken. Die Freunde ratlos, er fühlte sich – hohl. Man hatte ihn durchleuchtet und nichts gefunden."
Sie leben in einem ehemaligen, stark renovierungsbedürftigen Gasthaus, in dem früher die russische Armee und anschließend die DDR-Grenztruppen untergebracht waren.
Die Dorfbewohner_innen begegnen den beiden zunächst misstrauisch. Schnell werden Erwartungen gestellt: sie mögen doch im literarischen Zirkel mitwirken, Editha im Kunstzirkel.
Thomas arbeitet in der örtlichen Bücherei und lernt Sebastian kennen, einen Antiquar aus Wernigerode. Er versorgt ihn mit den Büchern, die Thomas für seinen historischen Roman benötigt.
Im Verlauf seiner Recherchen zieht es Thomas immer weiter in seine eigene Geschichte hinein. Immer wieder blitzen Erinnerungen in ihm auf, bis er sich auf die Suche begibt. Er war als kleiner Junge im Zweiten Weltkrieg von einem russischen Offizier gerettet worden, lebte die ersten Jahre in Russland und wurde dann einer Pflegefamilie in der DDR übergeben, die äußerst linientreu war. Das war prägend für Thomas.
Durch seine Tochter Eli wird ihm bewusst, wie anders Kinder Welt wahrnehmen, denn sie lebt in ihrer eigenen, phantasie- und märchenreichen Welt, während die der Erwachsenen durch die politische Situation beeinflusst wird: Wolf Biermann wird ausgebürgert, Thomas´ Lektor flieht nach Westdeutschland, Künstler und Künstlerinnen sollen sich für die Werktätigen engagieren, was Editha in ihrem Zirkel in einer Gießerei auch macht. Die politische Situation beeinflusst wiederum die ganz reale: " die Landschaft ist von den Grenzanlagen geschändet, der Mythos des deutschen Waldes ist historisch kontaminiert."
Dass eine Amerikanerin sich an dieses Thema wagt, zeigt großen Mut. Isabel Fargo Cole hat für diesen Roman viel recherchiert. Sie sprach mit Einwohner_innen der ehemaligen Sperrgebiete, las im Magdeburger Landesarchiv Polizei- und Parteiakten und versuchte, sich in die Personen hineinzuversetzen, die nicht flüchten wollten, sondern bleiben. "Meist wird der Freiheitsdrang der Leute, die weggegangen sind, thematisiert. Ich habe mich gefragt, wie war das eigentlich für die, die zurückgeblieben sind? Es blieb so eine große Melancholie, von der wollte ich schreiben.", begründet sie ihr Vorgehen in einem Gespräch mit der sachsen-anhaltinischen Tageszeitung "Die Volksstimme".
Cole, die eigentlich englisch schreibt und ja auch aus dem Deutschen ins Englische übersetzt, hat diesen Roman in deutscher Sprache geschrieben, denn solche Geschichten ließen sich besser auf Deutsch erzählen.
Obgleich sich ihr Roman klar in einer äußeren Welt positioniert, findet er doch stark im Inneren ihrer Protagonist_innen statt. Die beklemmende Atmosphäre am Rande eines Landes, das sich der Spitzelei verschrieben hatte, wird spürbar.
Der Stil ist geprägt von den individuellen Wahrnehmungen und Unsicherheiten des Romanpersonals, was das Buch stellenweise weitschweifig und aus der Zeit gefallen macht.
AVIVA-Tipp:Mit ihrem Erstlingswerk stellt Isabel Fargo Cole der fiktiven Geschichtsschreibung der DDR ein weiteres wichtiges Buch zur Seite. Die grüne Grenze spiegelt den wilden waldreichen Harz, wie er einst war, gegen die geordnete und Tod bringende Grenzwelt der DDR.
Zur Autorin: Isabel Fargo Cole, 1973 in Illinois geboren, studierte in Chicago. 1995 Russisch-Studium an der Humboldt-Universität, Berlin. Sie hat unter anderem Annemarie Schwarzenbach, Friedrich Dürrenmatt, Wolfgang Hilbig und Franz Fühmann ins Englische übersetzt. Mit ihren Übersetzungen stand sie häufig auf der Shortlist bedeutender Übersetzungspreise. Als Autorin finden sich Beiträge von ihr in unterschiedlichen Zeitschriften, z.B. Sinn und Form, [um-]laut und Lichtungen. Unter anderem mit Juli Zeh und Ilija Trojanow gründete sie die Initiative "Writers Against Mass Surveillance". Seit 1995 lebt sie als freie Schriftstellerin und Übersetzerin in Berlin.
2013 erschien ihre Novelle »Ungesichertes Gelände« bei mikrotext. »Die grüne Grenze« ist ihr erster Roman, er wurde für den Klaus-Michael Kühne-Preis für das beste deutschsprachige Romandebüt 2017 nominiert.
Mehr zu auf dem Blog von Isabel Fargo Cole: diegruenegrenze.blog
Isabel Fargo Cole
Die grüne Grenze
Edition Nautilus, erschienen im September 2017
Hardcover, 490 Seiten
26,00 Euro
ISBN:978-3-96054-049-6
Mehr zu "Die grüne Grenze" von Isabel Fargo Cole unter: www.edition-nautilus.de
Ein Interview mit der Autorin ist online unter: www.edition-nautilus.de
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