Edda Ziegler - Verboten - Verfemt - Vertrieben. Schriftstellerinnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 07.07.2010


Edda Ziegler - Verboten - Verfemt - Vertrieben. Schriftstellerinnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Evelyn Gaida

Gibt es eine speziell weibliche Exilsituation und -erfahrung? Diese Frage sei schwer zu beantworten, so Ziegler. Dennoch zeigt ihr Buch geschlechtsspezifische Unterschiede auf, indem es von ...




... einem breitgefächerten Ansatz ausgeht.

Die Literaturwissenschaftlerin und Dozentin stellt eine Galerie der Lebensläufe von Schriftstellerinnen zusammen, in deren Bahn das NS-Regime massiv und irreparabel einbrach. Bekannte und unbekannte, solche, deren Karriere auf diese Weise ein abruptes Ende fand, und andere, die zum Zeitpunkt der Nazi-Herrschaft bereits arriviert waren - von Else Lasker-Schüler und Ricarda Huch über Mascha Kaléko, Erika Mann und Vicki Baum bis Gina Kaus und Rose Ausländer. Zieglers Exilbegriff ist sehr weit gefasst. Er bezieht sich sowohl auf (jüdische) Autorinnen, die verfolgt und vertrieben wurden, als auch auf Schriftstellerinnen, die sich in die sogenannte "innere Emigration" zurückzogen, Deutschland aber nicht verließen. Der Titel des Buches ist dabei irreführend. In den Blick genommen wird nicht das Thema "Widerstand gegen den Nationalsozialismus", sondern die Erfahrung des Exils und der Vertreibung.

Neuausgabe der "Verbrannten Dichterinnen"

"Verboten - verfemt - vertrieben" ist Zieglers zweiter Anlauf, diesmal ist ihr Buch im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen. Es ist eine revidierte und erweiterte Neuausgabe ihrer vorhergegangenen Monographie zum Thema, die im Jahr 2007 vom Artemis & Winkler Verlag unter dem Titel "Die verbrannten Dichterinnen. Schriftstellerinnen gegen den Nationalsozialismus" veröffentlicht, aber wieder aus dem Verkehr gezogen wurde. Zahlreiche Passagen verletzten Urheberrechte von Hiltrud Häntzschels Büchern "Brechts Frauen" und "Irmgard Keun" (Rowohlt 2001 und 2002) sowie weiterer Publikationen dieser Autorin.

Bruchstelle

Ziegler betrachtet die spezifischen Bedingungen schriftstellerischer Arbeit von Frauen, zeitgenössische Frauenbilder und das Thema Exil unter verschiedenen Gesichtspunkten, in verschiedenen Ausprägungen und Ländern. Aufschlussreich ist dabei ihr Ausgangspunkt, die Zeit der Weimarer Republik, und deren transitorischer Charakter, womit die Autorin direkt an der Stelle des Bruchs, des Abreißens und der Entwurzelung ansetzt.

Verwaiste Autorinnen

Die Lebensbeschreibungen der Schriftstellerinnen sind äußerst knapp gehalten und geraten deshalb stellenweise unangemessen rigoros und oberflächlich, so zum Beispiel, wenn Else Lasker-Schülers in Palästina verfasste Dichtung als "weltfremd" und "schwärmerisch" etikettiert und simplifiziert wird. Die Portraits stehen recht verwaist zwischen den exil(literatur)geschichtlichen Erläuterungen, die jedes der sieben Kapitel ausführlich einleiten. Zieglers eigenes Interesse galt offenbar dem historischen Hintergrund weitaus mehr, als den titelgebenden Autorinnen, denen sie nicht gerecht wird. Aus der groben Darstellung des Lebensweges der Schriftstellerinnen heraus ist die Logik ihrer Einordnung unter die jeweiligen Kapitelüberschriften oft nicht erklärbar. Ziegler diagnostiziert eine weitgehende Vergessenheit der behandelten Autorinnen, denen vornehmlich literaturhistorisches statt literarisches Interesse entgegengebracht würde, geht aber selbst kaum auf ihr Werk ein. Die zeit- und literaturgeschichtlichen Erläuterungen lassen durch eingeschobene Exkurse über einzelne Personen oder Aufzählungen teilweise bessere Strukturierung und Übersichtlichkeit vermissen.

Den Nerv der Erfahrung und Bedeutung des Exils legt Ziegler dennoch offen: das "Grundgefühl existenzieller Verlorenheit" und Sprachlosigkeit sowie den extremen Kraftaufwand, den es erforderte, unter Voraussetzung einer solchen Deprivation und Verarmung ein neues Leben zu beginnen.

Von der Weimarer Republik zur Nazi-Diktatur

Der Beginn der Weimarer Republik im Jahr 1919 hatte den Anbruch einer neuen Zeit markiert, in der die Frauenbewegung aus formalrechtlicher Perspektive einige ihrer wichtigsten Ziele erreicht hatte: Frauen durften wählen, studieren, Abitur machen und berufstätig sein. Mit der Verortung von Frauen auf dem Buchmarkt der 20er und frühen 30er Jahre skizziert Ziegler auch einen wichtigen Abschnitt weiblicher Identitätssuche. Sie beschreibt die Schwierigkeiten von Frauen, sich literarisch zu etablieren, da Autorinnen vom Literaturmarkt seit dessen Entstehung um 1800 ausgegrenzt gewesen waren und eine durchgehende weibliche Schreibtradition fehlte. Mit der ´Neuen Sachlichkeit´ und ihren Prämissen eines modernen, großstädtischen und kommerziellen Lebensstils ging auch das Bild der ´Neuen Frau´ einher, die berufstätig, selbständig und finanziell unabhängig war. Obwohl auch in der Literatur der ´Neuen Frau´ die Selbständigkeit nur äußerlich blieb und die Berufstätigkeit mit der Eheschließung meist endete bzw. eine Polarisierung zwischen Berufsleben als Dasein ohne Liebe und Familienleben kreiert wurde - die nach wie vor der Realität entsprach - gab es eine tatsächliche Neuerung: Frauenrollen und -bilder wurden kontrovers verhandelt, offen und übergänglich. Dem setzte die Nazi-Diktatur mit ihrer regressiv-ideologischen Definition der Frau als Gebärerin, Hausfrau und Mutter ein brutales Ende und damit ebenso den Lebensentwürfen einer Vielzahl von Schriftstellerinnen, die durch die Aussiedlung ihrer Existenzgrundlage beraubt wurden - der eigenen Sprache. Sie blieb ihnen im fremdsprachigen Ausland hauptsächlich als Rückzugsort und letzte Bastion, als Exil im Exil.

"Vergebens"

Die jüdische Dichterin Mascha Kaléko besetzte das Bild der ´Neuen Frau´ für das bis dahin noch vakante lyrische Genre. Sie wurde zur jungen Expertin des Zeitungsgedichts, das Heines Zeitgedichte fortsetzte, zum literarischen Glücks- und Wunderkind, dem aus der Hand gerissen wurde, was es schrieb. Nachdem ihre Lyrik von den Nazis auf die ´Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums´ gesetzt wurde, war ihre Karriere beendet. Im Exil lebte sie vorrangig für Mann und Kind. "Vergebens./ Sie starb/ an den Folgen/ des Lebens" lauten die Verse, die sie für ihr Epitaph entwarf.
Selbst die privilegierte Erika Mann, die in Amerika den Nationalsozialismus als Vortragsreisende zum Thema ihrer Arbeit machte und als Kriegsberichterstatterin tätig war, resignierte nach mehreren Umsiedlungen "bei der Vorstellung, sich angesichts der zu erwartenden Schwierigkeiten ein viertes Mal eine berufliche Existenz als Publizistin aufbauen zu müssen." Sie stellte ihre Fähigkeiten schließlich in den Dienst des Vaters und dessen Werk, bezeichnete sich später selbstironisch als "blassen Nachlassschatten".

Verlust, Abstieg und Lebenswillen

Drastische und typische Verlusterfahrungen dieser Art wurden von einem zähen Überlebenskampf und der Mobilisierung aller verbliebenen Energien begleitet, den Ziegler durch eine Mischung von Zitaten und eigenen Ausführungen zur Zeitgeschichte eindrucksvoll darstellt. Mehr als die männlichen Autoren waren Schriftstellerinnen und Frauen insgesamt dazu bereit, den Lebensunterhalt für ihre Familie durch Jobs weit unter ihrem (Qualifikations-)Niveau zu verdienen. Das bedeutete einerseits, dass Frauen im Exil "auffallend häufig berufstätig waren", andererseits, dass es von ihnen erwartet wurde, "die soziale Degradierung auf dem Arbeitsmarkt des Exillandes hinzunehmen", so Ziegler. Darüber hinaus war es für Frauen selbstverständlich, hinter dem Mann zurückzustehen, wenn es um die erneute Ausübung ihres eigentlichen Berufes im Exil ging. Sprachbarrieren, fehlendes Publikum, nicht vorhandene Publikationsmöglichkeiten, kulturelle Entwurzelung und Isolation setzten männlichen und weiblichen AutorInnen zwar gleichermaßen zu - diese kontraproduktiven Arbeitsgrundlagen verschärften sich im Fall der Schriftstellerinnen jedoch durch weitere benachteiligende Umstände ihres Schaffens. Die Krise des Exils deutet Ziegler auch als Krise weiblicher Selbstbestimmung. Das Buch liest sich dabei nicht ausschließlich als wissenschaftliche Untersuchung, sondern in seinen besten Momenten als lebendige Dokumentation, die das erzwungene Verstummen vieler Exil-Autorinnen sprechen lässt.

AVIVA-Tipp: Edda Ziegler wirft einen vielseitigen, aber formal und inhaltlich qualitativ durchwachsenen Blick auf die Erfahrung von Vertreibung und Exil sowie deren unauslöschliche Folgen. Die sehr kurzen biographischen Portraits bleiben weit hinter den Ausführungen zum historischen Kontext und Hintergrund zurück, sodass sie zum Teil wie eine etwas kaltschnäuzige Pflichtübung wirken. Insgesamt erreicht das Buch, vor allem durch geschickt integrierte Zitate der EmigrantInnen, dennoch eine eindringliche Verdeutlichung des traumatischen Exil-Erlebnisses und des Kraftaktes, den der Aufbau einer neuen, oft lebenslang provisorischen Existenz den Vertriebenen abverlangte.

Zur Autorin: Dr. phil. Edda Ziegler ist Dozentin für Neuere Deutsche Literatur und Buchwissenschaft, Autorin literaturwissenschaftlicher Sachbücher und Publizistin. Bis 2006 lehrte sie am Institut für Deutsche Philologie der Universität München und leitete dort das Projekt MANUSKRIPTUM (Münchener Kurse für Kreatives Schreiben). Sie veröffentlichte neben Biografien über Heinrich Heine und Theodor Fontane unter anderem ein Buch über Heine und die Frauen und eine Biographie über Christophine Reinwald, die Schwester Schillers. Edda Ziegler lebt und arbeitet in München. Weitere Infos und Kontakt:
www.edda-ziegler.de

Edda Ziegler
Verboten - verfemt - vertrieben. Schriftstellerinnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Deutscher Taschenbuch Verlag, erschienen Mai 2010
Taschenbuch, 368 Seiten
ISBN 978-3-423-34611-5
12, 90 Euro

Weitere Informationen finden Sie unter:

www.dtv.de

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Beitrag vom 07.07.2010

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