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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 27.12.2010


Spuren ins Jetzt. Hedwig Dohm - Eine Biografie von Isabel Rohner
Ute Vetter

Die Frauenrechtlerin, Journalistin, Autorin und Publizistin Hedwig Dohm (1831- 1919) hatte vier Geburtsurkunden, wurde an einem Dienstag geboren und war mit 17 Geschwistern in der ...




... Friedrichstraße 235 groß geworden. Pünktlich zum Hedwig-Dohm-Jahr 2011 erschien im November 2010 im Ulrike-Helmer-Verlag eine sachlich-kurzweilige Biografie der Jubilarin Hedwig Dohm, geborene Schlesinger.

Hedwig Dohm war zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts eine radikale und nicht zu überhörende Stimme der Frauenbewegung. Das zeigt sich vor allem in ihren phantastisch brillanten Polemiken. Mit der für sie so typischen Ironie zerstückelte Hedwig Dohm antifeministische Aussprüche renommierter Männer und führte diese dann ad absurdum. Die Recht- und Chancenlosigkeit der Frauen war Zeit ihres Lebens ihr großes Thema.

"Weil Frauen Kinder gebären - darum sollen sie keine politischen Rechte haben. Ich behaupte, weil die Männer keine Kinder gebären, darum sollen sie keine politischen Rechte haben. Und ich finde die eine Behauptung ist mindestens ebenso tiefsinnig wie die andere." (Hedwig Dohm, 1876)

Vielleicht ist Hedwig Dohm als jüdische Urgroßmutter Erika Manns oder Großmutter Katja Manns einigen im Gedächtnis geblieben - sie jedoch auf diese Verbindung zu reduzieren, wäre hinlänglich unzulänglich. Das größere Interesse an männlicher Geschichte und männlichem Schaffen verstellt immer wieder die Sicht auf große Frauen. Hedwig Dohm wird dieses Schicksal nicht ereilen, denn die Autorin der Biografie "Spuren ins Jetzt" lässt das Leben der Hedwig Dohm aus dem Schatten treten. Die emanzipierte Erinnerung begann übrigens schon im Jahr 2006 mit der Veröffentlichung ihrer Aufsätze, Briefe und Romane in der Edition Hedwig Dohm. Die Herausgeberinnen dieser Gesamtausgabe, Isabel Rohner und Nikola Müller, initiierten auch den Aufruf zum Hedwig-Dohm-Jahr 2011.

Nachweislich erlebte Hedwig Dohm ihre Kindheit und Jugend in der Großstadt Berlin, das in ihren Kindertagen den Odem einer pulsierender Metropolen der Moderne nur hauchte. Hedwig Dohm ist älteste Tochter und wie neun weitere ihrer Geschwister ein unehelich geborenes Kind der Familie Jülich/Schlesinger. Wie kam es Anfang des 19. Jahrhunderts dazu? Und warum existieren diverse Geburtsurkunden von ihr? Warum verschwand diese bedeutende Aktivistin kurz nach ihrem Tod 1919 im Nichts, obwohl sie Anfang des letzten Jahrhunderts keine Unbekannte war? Fragen, die der Band versucht zu beantworten.

Die Biografin, Isabel Rohner, nähert sich der Persönlichkeit Hedwig Dohms respektvoll, behutsam und mit fachlicher Kompetenz. Sie suchte nach Zeugnissen, um bekannte Bilder zu prüfen. Ihren Angaben zufolge bergen Archive und Bibliotheken, nicht zu übersehende wahre Schätze. Auszüge privater und beruflicher Korrespondenz mit ihrer Tochter, ihren Verlegern und SchriftstellerInnen eröffnen einen Blick in ihr soziales Netzwerk. Die ersten Lebensjahre bleiben hingegen fragmentarisch. Dass der Nachlass nicht zusammenhängend gebündelt existiert, liegt wahrscheinlich an den Wirren der Weltkriege oder aber auch an dem Geschlecht der Protagonistin. Das muss hier offen bleiben.

Mit der Biografie schöpft Isabel Rohner ein Buch, das sich vor allem fernab der bekannten autobiographischen Interpretationen der Texte und Romane Dohms bewegt. Eine klare Gliederung, das sehr handliche Format und der erfrischend informelle Stil bleiben im Gedächtnis. Die Autorin verdichtet die Lebensdaten und das Portrait ihre Protagonistin auf 152 Seiten angenehm kurzweilig. Sie wählt ganz bewusst einen sehr persönlichen Blick und ihre Präsenz als Biografin ist spürbar. Isabel Rohner machte die Spurensuche selbst zum Gegenstand des Buches:

"Und dennoch ist hier in Rom Dohms berühmter Roman mein Zugang zu ihr [...] Der Roman soll mir eine Tür sein zu Hedwig Dohms Wegen, zu ihrem Blick: So sehr der Roman Fiktion ist, Dohm wird die Straßen, die ihre Hauptfigur beschreibt, auch selber beschritten haben, die Kirchen selber besucht, die Kunstwerke mit eigenen Augengesehen haben..."

Knackige Zitate hat die Autorin den einzelnen Kapiteln vorangestellt. Sie geben eine Kostprobe zu Themen und Stil des Schaffens der Protagonistin und motivieren zeitlos Akzente im Leben zu setzen:
"Glaube nicht: es muss so sein, weil es nie anders war. Unmöglichkeiten sind Ausflüchte für sterile Gehirne. Schaffe Möglichkeiten."

Biographisches ist mal mehr, mal weniger chronologisch zusammengesetzt. Die einzelnen Kapitel sind nicht überfrachtet und auf 16 zusammenhängenden Seiten finden sich einige wenige Abbildungen. Der Anhang bietet übersichtlich Hinweise, Nachweise und einen tabellarischen Lebenslauf. Last but not least passt das gewählte Layout mit dem Pfefferminzgrün im Cover und dem Rot im Titel gut zusammen.

Insgesamt lädt der Band vor allem zu einer fachlich informativen Lektüre ein. Spekulationen werden von der Autorin Isabel Rohner unbedingt vermieden. Aufbereitet sind ausschließlich verifizierbare Daten und Fakten, sowie sorgsam recherchiertes Quellenmaterial. Die Biografie erinnert an eine Zeit, in der Mädchen kein Gymnasium besuchen durften und im Gegensatz zu Jungen nur begrenzt Zugang zu Institutionen und Bildung hatten.
Hedwig Dohm wird als eine kraftvolle, kämpferische Frau portraitiert. Die revolutionär syntaktische Verbindung Frauen-wahl-recht existierte in ihrer Zeit noch nicht. Die Spuren einer der ersten hör- und lesbaren Frauenrechtlerinnen führen unmissverständlich ins Hier und Jetzt.

Zur Autorin: Isabel Rohner, geboren 1979 in St. Gallen, studierte in Zürich und Köln Germanistik, Philosophie und Romanistik. 2005-2008 war sie Lehrbeauftragte und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Justus-Liebig-Universität Gießen und promovierte über die Werkrezeption von Hedwig Dohm. Seit 2006 gibt sie zusammen mit Nikola Müller die kommentierte Gesamtausgabe von Hedwig Dohms Werken heraus. Isabel Rohner ist Referentin für Hochschulmarketing an der Fern-Universität in Hagen.

AVIVA-Tipp: "Spuren ins Jetzt. Hedwig Dohm - Eine Biografie" ist die behutsame Annäherung an eine verlorengegangene Lebensgeschichte. Welche die unstillbare Neugier am Leben Hedwig Dohms nicht zügeln kann, sollte sich dem kleinen biografischen Meisterinwerk hingeben. Das Buch macht Lust auf mehr wortgewandte und polemische Hedwig Dohm und lässt ganz nebenbei eine Familiengeschichte des ausgehenden 19.Jahrhunderts durchscheinen. Insgesamt kann frau sich schnell in die Biografie einlesen und bei Bedarf damit weiter arbeiten.


Isabel Rohner
Spuren ins Jetzt. Hedwig Dohm - Eine Biografie

www.ulrike-helmer-verlag.de
Paperback, 160 Seiten
ISBN 978-3-89741-299-6
19.95 Euro

Weitere Infos unter: www.hedwigdohm.de und www.fernuni-hagen.de/ausstellung/hedwig_dohm

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Beitrag vom 27.12.2010

AVIVA-Redaktion